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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798.

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werden, weil die Fibern des Muskels selbst mit seinem flechsenartigen Ende schiefe Winkel, etwa von 8 -- 10° machen.

Um die ganze Kraft des einzigen Deltoides genauer zu prüfen, muß man die Last P Taf. XVII. Fig. 60. bey G angebracht annehmen. So verfahren Borelli (prop. 82. 84.), Joh. Chph. Sturm (Ephemerides Nat. Curios. Dec. II. Ann. III. p. 459. Ann. IV. Append.) und Segner (in Nieuwetyts Gebrauch der Weltbetrachtung, aus d. Holl. Jena, 1747. 4. S. 104.). Setzt man hiebey CG = 3DE, und den Winkel DEA = 10°, so wird die Kraft des Muskels = 3. cosec. 10°. P = 17 P (Borelli setzt CD:CG = 1: 14, also diese Kraft = 14 P). Dies ist aber nur die Helfte der ganzen Kraft, weil die andere Helfte gegen den Punkt F, wo der Muskel fest ist, verwendet wird; man hat also die ganze Kraft auf 34 P (nach B. 28 P) zu schätzen. Diese muß nun noch wegen der Schiese der Fibern gegen die flechsenartigen Enden des Muskels, mit dem Cosinus dieser Schiefe dividirt, oder, was eben soviel ist, mit der Secante derselben multiplicirt werden, um die wahre Größe der aufgewendeten Kraft zu finden. Wenn man nun die Schiefe der Fibern im Deltoides = 30° setzt, wovon die Secante = 1, 15 ist, so findet man die völlige Kraft der Zusammenziehung = 34. 1, 15 P = 39 P (nach B. 32 P). Den Versuchen zufolge kan P 55 Pfund betragen. Nemlich ein Mensch kan mit ausgestrecktem Arme am Gelenk des Ellenbogens G 50 Pfund tragen, wozu noch das Gewicht des Arms von 5 Pfund kömmt. Mithin ist die ganze Kraft der Zusammenziehung des Deltoides = 39. 55 = 2145 Pfund (oder nach Borelli 1760 Pfund).

Diese Beyspiele zeigen, daß die Bewegung der Muskeln einen äusserst großen Aufwand von Kraft erfordert, von welcher allerdings ein großer Theil verlohren geht. Dennoch hat der Schöpfer diesen Bau der Muskeln nicht ohne die weiseste Absicht gewählt. Bey allen Bewegungen der thierischen Körper kömmt es nicht sowohl auf Ueberwindung großer Lasten, als vielmehr auf einen gewissen Grad der Geschwindigkeit, und auf einen bestimmten Raum an, welchen


werden, weil die Fibern des Muſkels ſelbſt mit ſeinem flechſenartigen Ende ſchiefe Winkel, etwa von 8 — 10° machen.

Um die ganze Kraft des einzigen Deltoides genauer zu pruͤfen, muß man die Laſt P Taf. XVII. Fig. 60. bey G angebracht annehmen. So verfahren Borelli (prop. 82. 84.), Joh. Chph. Sturm (Ephemerides Nat. Curioſ. Dec. II. Ann. III. p. 459. Ann. IV. Append.) und Segner (in Nieuwetyts Gebrauch der Weltbetrachtung, aus d. Holl. Jena, 1747. 4. S. 104.). Setzt man hiebey CG = 3DE, und den Winkel DEA = 10°, ſo wird die Kraft des Muſkels = 3. coſec. 10°. P = 17 P (Borelli ſetzt CD:CG = 1: 14, alſo dieſe Kraft = 14 P). Dies iſt aber nur die Helfte der ganzen Kraft, weil die andere Helfte gegen den Punkt F, wo der Muſkel feſt iſt, verwendet wird; man hat alſo die ganze Kraft auf 34 P (nach B. 28 P) zu ſchaͤtzen. Dieſe muß nun noch wegen der Schieſe der Fibern gegen die flechſenartigen Enden des Muſkels, mit dem Coſinus dieſer Schiefe dividirt, oder, was eben ſoviel iſt, mit der Secante derſelben multiplicirt werden, um die wahre Groͤße der aufgewendeten Kraft zu finden. Wenn man nun die Schiefe der Fibern im Deltoides = 30° ſetzt, wovon die Secante = 1, 15 iſt, ſo findet man die voͤllige Kraft der Zuſammenziehung = 34. 1, 15 P = 39 P (nach B. 32 P). Den Verſuchen zufolge kan P 55 Pfund betragen. Nemlich ein Menſch kan mit ausgeſtrecktem Arme am Gelenk des Ellenbogens G 50 Pfund tragen, wozu noch das Gewicht des Arms von 5 Pfund koͤmmt. Mithin iſt die ganze Kraft der Zuſammenziehung des Deltoides = 39. 55 = 2145 Pfund (oder nach Borelli 1760 Pfund).

Dieſe Beyſpiele zeigen, daß die Bewegung der Muſkeln einen aͤuſſerſt großen Aufwand von Kraft erfordert, von welcher allerdings ein großer Theil verlohren geht. Dennoch hat der Schoͤpfer dieſen Bau der Muſkeln nicht ohne die weiſeſte Abſicht gewaͤhlt. Bey allen Bewegungen der thieriſchen Koͤrper koͤmmt es nicht ſowohl auf Ueberwindung großer Laſten, als vielmehr auf einen gewiſſen Grad der Geſchwindigkeit, und auf einen beſtimmten Raum an, welchen

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[299/0305] werden, weil die Fibern des Muſkels ſelbſt mit ſeinem flechſenartigen Ende ſchiefe Winkel, etwa von 8 — 10° machen. Um die ganze Kraft des einzigen Deltoides genauer zu pruͤfen, muß man die Laſt P Taf. XVII. Fig. 60. bey G angebracht annehmen. So verfahren Borelli (prop. 82. 84.), Joh. Chph. Sturm (Ephemerides Nat. Curioſ. Dec. II. Ann. III. p. 459. Ann. IV. Append.) und Segner (in Nieuwetyts Gebrauch der Weltbetrachtung, aus d. Holl. Jena, 1747. 4. S. 104.). Setzt man hiebey CG = 3DE, und den Winkel DEA = 10°, ſo wird die Kraft des Muſkels = 3. coſec. 10°. P = 17 P (Borelli ſetzt CD:CG = 1: 14, alſo dieſe Kraft = 14 P). Dies iſt aber nur die Helfte der ganzen Kraft, weil die andere Helfte gegen den Punkt F, wo der Muſkel feſt iſt, verwendet wird; man hat alſo die ganze Kraft auf 34 P (nach B. 28 P) zu ſchaͤtzen. Dieſe muß nun noch wegen der Schieſe der Fibern gegen die flechſenartigen Enden des Muſkels, mit dem Coſinus dieſer Schiefe dividirt, oder, was eben ſoviel iſt, mit der Secante derſelben multiplicirt werden, um die wahre Groͤße der aufgewendeten Kraft zu finden. Wenn man nun die Schiefe der Fibern im Deltoides = 30° ſetzt, wovon die Secante = 1, 15 iſt, ſo findet man die voͤllige Kraft der Zuſammenziehung = 34. 1, 15 P = 39 P (nach B. 32 P). Den Verſuchen zufolge kan P 55 Pfund betragen. Nemlich ein Menſch kan mit ausgeſtrecktem Arme am Gelenk des Ellenbogens G 50 Pfund tragen, wozu noch das Gewicht des Arms von 5 Pfund koͤmmt. Mithin iſt die ganze Kraft der Zuſammenziehung des Deltoides = 39. 55 = 2145 Pfund (oder nach Borelli 1760 Pfund). Dieſe Beyſpiele zeigen, daß die Bewegung der Muſkeln einen aͤuſſerſt großen Aufwand von Kraft erfordert, von welcher allerdings ein großer Theil verlohren geht. Dennoch hat der Schoͤpfer dieſen Bau der Muſkeln nicht ohne die weiſeſte Abſicht gewaͤhlt. Bey allen Bewegungen der thieriſchen Koͤrper koͤmmt es nicht ſowohl auf Ueberwindung großer Laſten, als vielmehr auf einen gewiſſen Grad der Geſchwindigkeit, und auf einen beſtimmten Raum an, welchen

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 3. Leipzig, 1798, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch03_1798/305>, abgerufen am 13.05.2024.