Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


schiefen Ebne von selbst losreissen und herabfließen, daher das Ganze nicht eher in Ruhe kömmt, als bis seine Oberfläche eine völlig wagrechte Ebne ist. Daß bey den elastischen Flüßigkeiten dieses nicht statt finde, fällt von selbst in die Augen.

Descartes sucht das Wesen der flüßigen Körper in einer beständigen innern Bewegung ihrer Theile; dagegen sieht er den Zusammenhang der festen Körper als eine Folge der Ruhe ihrer Theile an; Boerhaave aber hat weit richtiger das Feuer für die Ursache aller Flüßigkeit gehalten.

Unzählbare Beyspiele belehren uns, daß Festigkeit und Flüßigkeit keine wesentlichen Eigenschaften, sondern bloße Zustände der Körper sind. Sehr viele feste Körper werden durch die Wirkung des Feuers geschmolzen, oder in flüssige verwandelt; sehr viele flüßige hingegen bringt die Entziehung der Wärme zum Gefrieren, d. i. in den festen Zustand. Man hat also Gründe genug anzunehmen, daß die meisten Körper wesentlich weder fest noch flüßig sind, daß sie vielmehr nur durch den Ueberfluß der Wärme in den flüßigen Zustand versetzt werden, und daß also das Feuer die Ursache ihrer Flüßigkeit ist. Vielleicht bewirkt es die Flüßigkeit durch das Dazwischentreten seiner Theile zwischen die Theile der Körper, wodurch der Zusammenhang der letztern geschwächt wird.

Daß das Feuer nicht alle feste Körper flüßig macht, kömmt wohl nur daher, weil es viele derselben eher zersetzt, als schmelzt.

Man unterscheidet Grade der Flüßigkeit. Ein Körper ist flüßiger, wenn sich seine Theile leichter trennen, und beym Ausgießen mehr und kleinere Tropfen bilden. Ein stärkerer Grad des Feuers bewirkt unter gleichen Umständen auch einen höhern Grad der Flüßigkeit

Körper, welche sich schon im flüßigen Zustande befinden, können wieder andere feste Körper durch die Auflösung in eben diesen Zustand versetzen. Es giebt Substanzen, welche nicht unmittelbar durchs Feuer, wohl aber durch andere Flüßigkeiten flüßig werden. So werden die Gummiarten vom Feuer eher zerstört, als geschmolzen, ob sie sich


ſchiefen Ebne von ſelbſt losreiſſen und herabfließen, daher das Ganze nicht eher in Ruhe koͤmmt, als bis ſeine Oberflaͤche eine voͤllig wagrechte Ebne iſt. Daß bey den elaſtiſchen Fluͤßigkeiten dieſes nicht ſtatt finde, faͤllt von ſelbſt in die Augen.

Descartes ſucht das Weſen der fluͤßigen Koͤrper in einer beſtaͤndigen innern Bewegung ihrer Theile; dagegen ſieht er den Zuſammenhang der feſten Koͤrper als eine Folge der Ruhe ihrer Theile an; Boerhaave aber hat weit richtiger das Feuer fuͤr die Urſache aller Fluͤßigkeit gehalten.

Unzaͤhlbare Beyſpiele belehren uns, daß Feſtigkeit und Fluͤßigkeit keine weſentlichen Eigenſchaften, ſondern bloße Zuſtaͤnde der Koͤrper ſind. Sehr viele feſte Koͤrper werden durch die Wirkung des Feuers geſchmolzen, oder in fluͤſſige verwandelt; ſehr viele fluͤßige hingegen bringt die Entziehung der Waͤrme zum Gefrieren, d. i. in den feſten Zuſtand. Man hat alſo Gruͤnde genug anzunehmen, daß die meiſten Koͤrper weſentlich weder feſt noch fluͤßig ſind, daß ſie vielmehr nur durch den Ueberfluß der Waͤrme in den fluͤßigen Zuſtand verſetzt werden, und daß alſo das Feuer die Urſache ihrer Fluͤßigkeit iſt. Vielleicht bewirkt es die Fluͤßigkeit durch das Dazwiſchentreten ſeiner Theile zwiſchen die Theile der Koͤrper, wodurch der Zuſammenhang der letztern geſchwaͤcht wird.

Daß das Feuer nicht alle feſte Koͤrper fluͤßig macht, koͤmmt wohl nur daher, weil es viele derſelben eher zerſetzt, als ſchmelzt.

Man unterſcheidet Grade der Fluͤßigkeit. Ein Koͤrper iſt fluͤßiger, wenn ſich ſeine Theile leichter trennen, und beym Ausgießen mehr und kleinere Tropfen bilden. Ein ſtaͤrkerer Grad des Feuers bewirkt unter gleichen Umſtaͤnden auch einen hoͤhern Grad der Fluͤßigkeit

Koͤrper, welche ſich ſchon im fluͤßigen Zuſtande befinden, koͤnnen wieder andere feſte Koͤrper durch die Aufloͤſung in eben dieſen Zuſtand verſetzen. Es giebt Subſtanzen, welche nicht unmittelbar durchs Feuer, wohl aber durch andere Fluͤßigkeiten fluͤßig werden. So werden die Gummiarten vom Feuer eher zerſtoͤrt, als geſchmolzen, ob ſie ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0329" xml:id="P.2.323" n="323"/><lb/>
&#x017F;chiefen Ebne von &#x017F;elb&#x017F;t losrei&#x017F;&#x017F;en und herabfließen, daher das Ganze nicht eher in Ruhe ko&#x0364;mmt, als bis &#x017F;eine Oberfla&#x0364;che eine vo&#x0364;llig wagrechte Ebne i&#x017F;t. Daß bey den ela&#x017F;ti&#x017F;chen Flu&#x0364;ßigkeiten die&#x017F;es nicht &#x017F;tatt finde, fa&#x0364;llt von &#x017F;elb&#x017F;t in die Augen.</p>
            <p><hi rendition="#b">Descartes</hi> &#x017F;ucht das We&#x017F;en der flu&#x0364;ßigen Ko&#x0364;rper in einer be&#x017F;ta&#x0364;ndigen innern Bewegung ihrer Theile; dagegen &#x017F;ieht er den Zu&#x017F;ammenhang der fe&#x017F;ten Ko&#x0364;rper als eine Folge der Ruhe ihrer Theile an; <hi rendition="#b">Boerhaave</hi> aber hat weit richtiger das Feuer fu&#x0364;r die Ur&#x017F;ache aller Flu&#x0364;ßigkeit gehalten.</p>
            <p>Unza&#x0364;hlbare Bey&#x017F;piele belehren uns, daß Fe&#x017F;tigkeit und Flu&#x0364;ßigkeit keine we&#x017F;entlichen Eigen&#x017F;chaften, &#x017F;ondern bloße Zu&#x017F;ta&#x0364;nde der Ko&#x0364;rper &#x017F;ind. Sehr viele fe&#x017F;te Ko&#x0364;rper werden durch die Wirkung des Feuers <hi rendition="#b">ge&#x017F;chmolzen,</hi> oder in flu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige verwandelt; &#x017F;ehr viele flu&#x0364;ßige hingegen bringt die Entziehung der Wa&#x0364;rme zum <hi rendition="#b">Gefrieren,</hi> d. i. in den fe&#x017F;ten Zu&#x017F;tand. Man hat al&#x017F;o Gru&#x0364;nde genug anzunehmen, daß die mei&#x017F;ten Ko&#x0364;rper we&#x017F;entlich weder fe&#x017F;t noch flu&#x0364;ßig &#x017F;ind, daß &#x017F;ie vielmehr nur durch den Ueberfluß der Wa&#x0364;rme in den flu&#x0364;ßigen Zu&#x017F;tand ver&#x017F;etzt werden, und daß al&#x017F;o das <hi rendition="#b">Feuer</hi> die Ur&#x017F;ache ihrer Flu&#x0364;ßigkeit i&#x017F;t. Vielleicht bewirkt es die Flu&#x0364;ßigkeit durch das Dazwi&#x017F;chentreten &#x017F;einer Theile zwi&#x017F;chen die Theile der Ko&#x0364;rper, wodurch der Zu&#x017F;ammenhang der letztern ge&#x017F;chwa&#x0364;cht wird.</p>
            <p>Daß das Feuer nicht alle fe&#x017F;te Ko&#x0364;rper flu&#x0364;ßig macht, ko&#x0364;mmt wohl nur daher, weil es viele der&#x017F;elben eher zer&#x017F;etzt, als &#x017F;chmelzt.</p>
            <p>Man unter&#x017F;cheidet Grade der Flu&#x0364;ßigkeit. Ein Ko&#x0364;rper i&#x017F;t flu&#x0364;ßiger, wenn &#x017F;ich &#x017F;eine Theile leichter trennen, und beym Ausgießen mehr und kleinere Tropfen bilden. Ein &#x017F;ta&#x0364;rkerer Grad des Feuers bewirkt unter gleichen Um&#x017F;ta&#x0364;nden auch einen ho&#x0364;hern Grad der Flu&#x0364;ßigkeit</p>
            <p>Ko&#x0364;rper, welche &#x017F;ich &#x017F;chon im flu&#x0364;ßigen Zu&#x017F;tande befinden, ko&#x0364;nnen wieder andere fe&#x017F;te Ko&#x0364;rper durch die Auflo&#x0364;&#x017F;ung in eben die&#x017F;en Zu&#x017F;tand ver&#x017F;etzen. Es giebt Sub&#x017F;tanzen, welche nicht unmittelbar durchs Feuer, wohl aber durch andere Flu&#x0364;ßigkeiten flu&#x0364;ßig werden. So werden die Gummiarten vom Feuer eher zer&#x017F;to&#x0364;rt, als ge&#x017F;chmolzen, ob &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0329] ſchiefen Ebne von ſelbſt losreiſſen und herabfließen, daher das Ganze nicht eher in Ruhe koͤmmt, als bis ſeine Oberflaͤche eine voͤllig wagrechte Ebne iſt. Daß bey den elaſtiſchen Fluͤßigkeiten dieſes nicht ſtatt finde, faͤllt von ſelbſt in die Augen. Descartes ſucht das Weſen der fluͤßigen Koͤrper in einer beſtaͤndigen innern Bewegung ihrer Theile; dagegen ſieht er den Zuſammenhang der feſten Koͤrper als eine Folge der Ruhe ihrer Theile an; Boerhaave aber hat weit richtiger das Feuer fuͤr die Urſache aller Fluͤßigkeit gehalten. Unzaͤhlbare Beyſpiele belehren uns, daß Feſtigkeit und Fluͤßigkeit keine weſentlichen Eigenſchaften, ſondern bloße Zuſtaͤnde der Koͤrper ſind. Sehr viele feſte Koͤrper werden durch die Wirkung des Feuers geſchmolzen, oder in fluͤſſige verwandelt; ſehr viele fluͤßige hingegen bringt die Entziehung der Waͤrme zum Gefrieren, d. i. in den feſten Zuſtand. Man hat alſo Gruͤnde genug anzunehmen, daß die meiſten Koͤrper weſentlich weder feſt noch fluͤßig ſind, daß ſie vielmehr nur durch den Ueberfluß der Waͤrme in den fluͤßigen Zuſtand verſetzt werden, und daß alſo das Feuer die Urſache ihrer Fluͤßigkeit iſt. Vielleicht bewirkt es die Fluͤßigkeit durch das Dazwiſchentreten ſeiner Theile zwiſchen die Theile der Koͤrper, wodurch der Zuſammenhang der letztern geſchwaͤcht wird. Daß das Feuer nicht alle feſte Koͤrper fluͤßig macht, koͤmmt wohl nur daher, weil es viele derſelben eher zerſetzt, als ſchmelzt. Man unterſcheidet Grade der Fluͤßigkeit. Ein Koͤrper iſt fluͤßiger, wenn ſich ſeine Theile leichter trennen, und beym Ausgießen mehr und kleinere Tropfen bilden. Ein ſtaͤrkerer Grad des Feuers bewirkt unter gleichen Umſtaͤnden auch einen hoͤhern Grad der Fluͤßigkeit Koͤrper, welche ſich ſchon im fluͤßigen Zuſtande befinden, koͤnnen wieder andere feſte Koͤrper durch die Aufloͤſung in eben dieſen Zuſtand verſetzen. Es giebt Subſtanzen, welche nicht unmittelbar durchs Feuer, wohl aber durch andere Fluͤßigkeiten fluͤßig werden. So werden die Gummiarten vom Feuer eher zerſtoͤrt, als geſchmolzen, ob ſie ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/329
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/329>, abgerufen am 10.05.2024.