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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Materie bewegen, ohne das Ganze mit zu bewegen. Dies heißt refpective Beweglichkeit der Theile (mobilitas partium respectiva) und ist ein Hauptkennzeichen der Flüssigkeit.

2. Die flüßigen Körper nehmen die Gestalt der Gefäße an, in die sie eingeschlossen werden, und lassen keinen Raum darinn leer, in den ihnen ein Weg offen steht (conformatio ad figuram vasis). Dies ist eine natürliche Folge der respectiven Beweglichkeit ihrer Theile, die ihnen erlaubt, den Gesetzen der Schwere oder Elasticität einzeln und ohne Beytritt des Ganzen zu folgen.

3. Ihre gleichartigen Theile sind so zart, daß sie einzeln genommen nicht in die Sinne fallen, daher die Oberfläche völlig zusammenhängend erscheint, ohne daß man, wie bey den festen Körpern, etwas von ihrer Structur daran wahrnimmt.

4. Ihre Theile hängen sich von selbst in Tropfen an einander, weil der Zusammenhang zwar gering ist, aber doch, besonders in den kleinern Theilen, etwas beträgt. Diese Tropfen nehmen, weil die Anziehung auf allen Seiten gleich stark ist, eine Kugelgestalt an, und zween derselben fließen, wenn man sie an einander bringt, in einen zusammen. Es ist aber hiebey zu bemerken, daß dies nur bey denjenigen flüßigen Materien wirklich statt findet, deren Elasticität unmerklich ist, wie beym Wasser, Weingeist, Oelen, geschmolzenen Metallen u. s. w., welche daher auch tropfbare Flüßigkeiten (liquida, liquides) genannt werden. Die stärker elastischen werden natürlicher Weise eben durch ihre Elasticität dieser Eigenschaft beraubt, und heissen elastische Flüßigkeiten, dergleichen die Dämpfe und Gasarten sind. Ohne Zweifel würden sie auch tropfbar seyn, wenn sie sich nicht stets nach allen Seiten auszubreiten strebten.

5. Die tropfbaren Flüßigkeiten nehmen, wenn sie in Ruhe sind, eine völlig ebne und wagrechte Oberfläche an, mit der das Bleyloth oder die Richtung der Schwere überall rechte Winkel macht. Dies ist eine Folge des geringen Zusammenhangs und der Feinheit der Theile, welche sich auf jeder


Materie bewegen, ohne das Ganze mit zu bewegen. Dies heißt refpective Beweglichkeit der Theile (mobilitas partium reſpectiva) und iſt ein Hauptkennzeichen der Fluͤſſigkeit.

2. Die fluͤßigen Koͤrper nehmen die Geſtalt der Gefaͤße an, in die ſie eingeſchloſſen werden, und laſſen keinen Raum darinn leer, in den ihnen ein Weg offen ſteht (conformatio ad figuram vaſis). Dies iſt eine natuͤrliche Folge der reſpectiven Beweglichkeit ihrer Theile, die ihnen erlaubt, den Geſetzen der Schwere oder Elaſticitaͤt einzeln und ohne Beytritt des Ganzen zu folgen.

3. Ihre gleichartigen Theile ſind ſo zart, daß ſie einzeln genommen nicht in die Sinne fallen, daher die Oberflaͤche voͤllig zuſammenhaͤngend erſcheint, ohne daß man, wie bey den feſten Koͤrpern, etwas von ihrer Structur daran wahrnimmt.

4. Ihre Theile haͤngen ſich von ſelbſt in Tropfen an einander, weil der Zuſammenhang zwar gering iſt, aber doch, beſonders in den kleinern Theilen, etwas betraͤgt. Dieſe Tropfen nehmen, weil die Anziehung auf allen Seiten gleich ſtark iſt, eine Kugelgeſtalt an, und zween derſelben fließen, wenn man ſie an einander bringt, in einen zuſammen. Es iſt aber hiebey zu bemerken, daß dies nur bey denjenigen fluͤßigen Materien wirklich ſtatt findet, deren Elaſticitaͤt unmerklich iſt, wie beym Waſſer, Weingeiſt, Oelen, geſchmolzenen Metallen u. ſ. w., welche daher auch tropfbare Fluͤßigkeiten (liquida, liquides) genannt werden. Die ſtaͤrker elaſtiſchen werden natuͤrlicher Weiſe eben durch ihre Elaſticitaͤt dieſer Eigenſchaft beraubt, und heiſſen elaſtiſche Fluͤßigkeiten, dergleichen die Daͤmpfe und Gasarten ſind. Ohne Zweifel wuͤrden ſie auch tropfbar ſeyn, wenn ſie ſich nicht ſtets nach allen Seiten auszubreiten ſtrebten.

5. Die tropfbaren Fluͤßigkeiten nehmen, wenn ſie in Ruhe ſind, eine voͤllig ebne und wagrechte Oberflaͤche an, mit der das Bleyloth oder die Richtung der Schwere uͤberall rechte Winkel macht. Dies iſt eine Folge des geringen Zuſammenhangs und der Feinheit der Theile, welche ſich auf jeder

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[322/0328] Materie bewegen, ohne das Ganze mit zu bewegen. Dies heißt refpective Beweglichkeit der Theile (mobilitas partium reſpectiva) und iſt ein Hauptkennzeichen der Fluͤſſigkeit. 2. Die fluͤßigen Koͤrper nehmen die Geſtalt der Gefaͤße an, in die ſie eingeſchloſſen werden, und laſſen keinen Raum darinn leer, in den ihnen ein Weg offen ſteht (conformatio ad figuram vaſis). Dies iſt eine natuͤrliche Folge der reſpectiven Beweglichkeit ihrer Theile, die ihnen erlaubt, den Geſetzen der Schwere oder Elaſticitaͤt einzeln und ohne Beytritt des Ganzen zu folgen. 3. Ihre gleichartigen Theile ſind ſo zart, daß ſie einzeln genommen nicht in die Sinne fallen, daher die Oberflaͤche voͤllig zuſammenhaͤngend erſcheint, ohne daß man, wie bey den feſten Koͤrpern, etwas von ihrer Structur daran wahrnimmt. 4. Ihre Theile haͤngen ſich von ſelbſt in Tropfen an einander, weil der Zuſammenhang zwar gering iſt, aber doch, beſonders in den kleinern Theilen, etwas betraͤgt. Dieſe Tropfen nehmen, weil die Anziehung auf allen Seiten gleich ſtark iſt, eine Kugelgeſtalt an, und zween derſelben fließen, wenn man ſie an einander bringt, in einen zuſammen. Es iſt aber hiebey zu bemerken, daß dies nur bey denjenigen fluͤßigen Materien wirklich ſtatt findet, deren Elaſticitaͤt unmerklich iſt, wie beym Waſſer, Weingeiſt, Oelen, geſchmolzenen Metallen u. ſ. w., welche daher auch tropfbare Fluͤßigkeiten (liquida, liquides) genannt werden. Die ſtaͤrker elaſtiſchen werden natuͤrlicher Weiſe eben durch ihre Elaſticitaͤt dieſer Eigenſchaft beraubt, und heiſſen elaſtiſche Fluͤßigkeiten, dergleichen die Daͤmpfe und Gasarten ſind. Ohne Zweifel wuͤrden ſie auch tropfbar ſeyn, wenn ſie ſich nicht ſtets nach allen Seiten auszubreiten ſtrebten. 5. Die tropfbaren Fluͤßigkeiten nehmen, wenn ſie in Ruhe ſind, eine voͤllig ebne und wagrechte Oberflaͤche an, mit der das Bleyloth oder die Richtung der Schwere uͤberall rechte Winkel macht. Dies iſt eine Folge des geringen Zuſammenhangs und der Feinheit der Theile, welche ſich auf jeder

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Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/328>, abgerufen am 10.05.2024.