Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


Hypothesen über das Wesen der Farben.

Newton, vor dessen Zeiten über das Wesen der Farben gar nichts erträgliches gesagt worden ist, trägt in den seiner Optik beygefügten Fragen (Ed. latin. Samuel Clarke. Lond. 1706. 4. Quaest. 21. p. 317.), in welchen er sich ganz für das Emissionssystem erklärt, den Gedanken vor, es ließe sich die Verschiedenheit der Farben, und die Entstehung der verschiedenen Brechbarkeit des Lichts erklären, wenn man annähme, die Lichtstralen bestünden aus Theilchen von verschiedner Größe. Alsdann würden die kleinsten Theile die violette, als die dunkelste und schwächste Farbe, geben, und zugleich durch die Wirkung der brechenden Flächen am leichtsten von dem geraden Wege abgelenkt werden: die übrigen Theile hingegen würden so, wie jede Classe derselben größer wäre, die stärkern und lebhaftern Farben, nemlich Blau, Grün, Gelb und Roth geben, auch in eben dem Maaße immer schwerer von ihrem Wege abzulenken, d. i. weniger brechbar seyn. Die Anwandlungen des leichtern Durchgehens oder Zurückprallens zu erklären, dürfe man sich nur die Lichtstralen als kleine Theilchen vorstellen, welche durch ihre Anziehung, oder sonst eine Kraft in den Körpern, auf die sie wirken, Schwingungen erregen; wären diese Schwingungen schneller, als die Stralen selbst, so würden sie die Geschwindigkeit der Stralen abwechselnd schwächen und vergrößern, und also jene Anwandlungen in ihnen erzeugen. Da nun hievon die Farbe dünner Scheibgen abhängt, so werden nach ihm erleuchtete Körper nur diejenigen Gattungen von Stralen zurücksenden, deren Farbe mit der Dicke ihrer dünnsten Blättchen übereinstimmt, oder die beym Eingange in ihre Oberfläche in eine Anwandlung des leichtern Zurückgehens versetzt werden.

Man sieht leicht, daß diese Erklärung allzu gekünstelt ist. Sie läst sich aber einfacher darstellen, wenn man den Begrif von Anwandlungen hinweg läst, und nur folgendes beybehält. Die kleinsten Theilchen des Lichts sind am meisten brechbar, und erregen im Auge die Empfindung von Violet; größere sind weniger brechbar, und erregen andere


Hypotheſen uͤber das Weſen der Farben.

Newton, vor deſſen Zeiten uͤber das Weſen der Farben gar nichts ertraͤgliches geſagt worden iſt, traͤgt in den ſeiner Optik beygefuͤgten Fragen (Ed. latin. Samuel Clarke. Lond. 1706. 4. Quaeſt. 21. p. 317.), in welchen er ſich ganz fuͤr das Emiſſionsſyſtem erklaͤrt, den Gedanken vor, es ließe ſich die Verſchiedenheit der Farben, und die Entſtehung der verſchiedenen Brechbarkeit des Lichts erklaͤren, wenn man annaͤhme, die Lichtſtralen beſtuͤnden aus Theilchen von verſchiedner Groͤße. Alsdann wuͤrden die kleinſten Theile die violette, als die dunkelſte und ſchwaͤchſte Farbe, geben, und zugleich durch die Wirkung der brechenden Flaͤchen am leichtſten von dem geraden Wege abgelenkt werden: die uͤbrigen Theile hingegen wuͤrden ſo, wie jede Claſſe derſelben groͤßer waͤre, die ſtaͤrkern und lebhaftern Farben, nemlich Blau, Gruͤn, Gelb und Roth geben, auch in eben dem Maaße immer ſchwerer von ihrem Wege abzulenken, d. i. weniger brechbar ſeyn. Die Anwandlungen des leichtern Durchgehens oder Zuruͤckprallens zu erklaͤren, duͤrfe man ſich nur die Lichtſtralen als kleine Theilchen vorſtellen, welche durch ihre Anziehung, oder ſonſt eine Kraft in den Koͤrpern, auf die ſie wirken, Schwingungen erregen; waͤren dieſe Schwingungen ſchneller, als die Stralen ſelbſt, ſo wuͤrden ſie die Geſchwindigkeit der Stralen abwechſelnd ſchwaͤchen und vergroͤßern, und alſo jene Anwandlungen in ihnen erzeugen. Da nun hievon die Farbe duͤnner Scheibgen abhaͤngt, ſo werden nach ihm erleuchtete Koͤrper nur diejenigen Gattungen von Stralen zuruͤckſenden, deren Farbe mit der Dicke ihrer duͤnnſten Blaͤttchen uͤbereinſtimmt, oder die beym Eingange in ihre Oberflaͤche in eine Anwandlung des leichtern Zuruͤckgehens verſetzt werden.

Man ſieht leicht, daß dieſe Erklaͤrung allzu gekuͤnſtelt iſt. Sie laͤſt ſich aber einfacher darſtellen, wenn man den Begrif von Anwandlungen hinweg laͤſt, und nur folgendes beybehaͤlt. Die kleinſten Theilchen des Lichts ſind am meiſten brechbar, und erregen im Auge die Empfindung von Violet; groͤßere ſind weniger brechbar, und erregen andere

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="2">
            <p>
              <pb facs="#f0155" xml:id="P.2.149" n="149"/><lb/> <hi rendition="#c"> <hi rendition="#b">Hypothe&#x017F;en u&#x0364;ber das We&#x017F;en der Farben.</hi> </hi> </p>
            <p><hi rendition="#b">Newton,</hi> vor de&#x017F;&#x017F;en Zeiten u&#x0364;ber das We&#x017F;en der Farben gar nichts ertra&#x0364;gliches ge&#x017F;agt worden i&#x017F;t, tra&#x0364;gt in den &#x017F;einer Optik beygefu&#x0364;gten Fragen (<hi rendition="#aq">Ed. latin. <hi rendition="#i">Samuel Clarke.</hi> Lond. 1706. 4. Quae&#x017F;t. 21. p. 317.</hi>), in welchen er &#x017F;ich ganz fu&#x0364;r das Emi&#x017F;&#x017F;ions&#x017F;y&#x017F;tem erkla&#x0364;rt, den Gedanken vor, es ließe &#x017F;ich die Ver&#x017F;chiedenheit der Farben, und die Ent&#x017F;tehung der ver&#x017F;chiedenen Brechbarkeit des Lichts erkla&#x0364;ren, wenn man anna&#x0364;hme, die Licht&#x017F;tralen be&#x017F;tu&#x0364;nden aus <hi rendition="#b">Theilchen von ver&#x017F;chiedner Gro&#x0364;ße.</hi> Alsdann wu&#x0364;rden die klein&#x017F;ten Theile die violette, als die dunkel&#x017F;te und &#x017F;chwa&#x0364;ch&#x017F;te Farbe, geben, und zugleich durch die Wirkung der brechenden Fla&#x0364;chen am leicht&#x017F;ten von dem geraden Wege abgelenkt werden: die u&#x0364;brigen Theile hingegen wu&#x0364;rden &#x017F;o, wie jede Cla&#x017F;&#x017F;e der&#x017F;elben gro&#x0364;ßer wa&#x0364;re, die &#x017F;ta&#x0364;rkern und lebhaftern Farben, nemlich Blau, Gru&#x0364;n, Gelb und Roth geben, auch in eben dem Maaße immer &#x017F;chwerer von ihrem Wege abzulenken, d. i. weniger brechbar &#x017F;eyn. Die Anwandlungen des leichtern Durchgehens oder Zuru&#x0364;ckprallens zu erkla&#x0364;ren, du&#x0364;rfe man &#x017F;ich nur die Licht&#x017F;tralen als kleine Theilchen vor&#x017F;tellen, welche durch ihre Anziehung, oder &#x017F;on&#x017F;t eine Kraft in den Ko&#x0364;rpern, auf die &#x017F;ie wirken, Schwingungen erregen; wa&#x0364;ren die&#x017F;e Schwingungen &#x017F;chneller, als die Stralen &#x017F;elb&#x017F;t, &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie die Ge&#x017F;chwindigkeit der Stralen abwech&#x017F;elnd &#x017F;chwa&#x0364;chen und vergro&#x0364;ßern, und al&#x017F;o jene Anwandlungen in ihnen erzeugen. Da nun hievon die Farbe du&#x0364;nner Scheibgen abha&#x0364;ngt, &#x017F;o werden nach ihm erleuchtete Ko&#x0364;rper nur diejenigen Gattungen von Stralen zuru&#x0364;ck&#x017F;enden, deren Farbe mit der Dicke ihrer du&#x0364;nn&#x017F;ten Bla&#x0364;ttchen u&#x0364;berein&#x017F;timmt, oder die beym Eingange in ihre Oberfla&#x0364;che in eine Anwandlung des leichtern Zuru&#x0364;ckgehens ver&#x017F;etzt werden.</p>
            <p>Man &#x017F;ieht leicht, daß die&#x017F;e Erkla&#x0364;rung allzu geku&#x0364;n&#x017F;telt i&#x017F;t. Sie la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich aber einfacher dar&#x017F;tellen, wenn man den Begrif von Anwandlungen hinweg la&#x0364;&#x017F;t, und nur folgendes beybeha&#x0364;lt. Die klein&#x017F;ten Theilchen des Lichts &#x017F;ind am mei&#x017F;ten brechbar, und erregen im Auge die Empfindung von Violet; gro&#x0364;ßere &#x017F;ind weniger brechbar, und erregen andere<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0155] Hypotheſen uͤber das Weſen der Farben. Newton, vor deſſen Zeiten uͤber das Weſen der Farben gar nichts ertraͤgliches geſagt worden iſt, traͤgt in den ſeiner Optik beygefuͤgten Fragen (Ed. latin. Samuel Clarke. Lond. 1706. 4. Quaeſt. 21. p. 317.), in welchen er ſich ganz fuͤr das Emiſſionsſyſtem erklaͤrt, den Gedanken vor, es ließe ſich die Verſchiedenheit der Farben, und die Entſtehung der verſchiedenen Brechbarkeit des Lichts erklaͤren, wenn man annaͤhme, die Lichtſtralen beſtuͤnden aus Theilchen von verſchiedner Groͤße. Alsdann wuͤrden die kleinſten Theile die violette, als die dunkelſte und ſchwaͤchſte Farbe, geben, und zugleich durch die Wirkung der brechenden Flaͤchen am leichtſten von dem geraden Wege abgelenkt werden: die uͤbrigen Theile hingegen wuͤrden ſo, wie jede Claſſe derſelben groͤßer waͤre, die ſtaͤrkern und lebhaftern Farben, nemlich Blau, Gruͤn, Gelb und Roth geben, auch in eben dem Maaße immer ſchwerer von ihrem Wege abzulenken, d. i. weniger brechbar ſeyn. Die Anwandlungen des leichtern Durchgehens oder Zuruͤckprallens zu erklaͤren, duͤrfe man ſich nur die Lichtſtralen als kleine Theilchen vorſtellen, welche durch ihre Anziehung, oder ſonſt eine Kraft in den Koͤrpern, auf die ſie wirken, Schwingungen erregen; waͤren dieſe Schwingungen ſchneller, als die Stralen ſelbſt, ſo wuͤrden ſie die Geſchwindigkeit der Stralen abwechſelnd ſchwaͤchen und vergroͤßern, und alſo jene Anwandlungen in ihnen erzeugen. Da nun hievon die Farbe duͤnner Scheibgen abhaͤngt, ſo werden nach ihm erleuchtete Koͤrper nur diejenigen Gattungen von Stralen zuruͤckſenden, deren Farbe mit der Dicke ihrer duͤnnſten Blaͤttchen uͤbereinſtimmt, oder die beym Eingange in ihre Oberflaͤche in eine Anwandlung des leichtern Zuruͤckgehens verſetzt werden. Man ſieht leicht, daß dieſe Erklaͤrung allzu gekuͤnſtelt iſt. Sie laͤſt ſich aber einfacher darſtellen, wenn man den Begrif von Anwandlungen hinweg laͤſt, und nur folgendes beybehaͤlt. Die kleinſten Theilchen des Lichts ſind am meiſten brechbar, und erregen im Auge die Empfindung von Violet; groͤßere ſind weniger brechbar, und erregen andere

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/155
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch02_1798/155>, abgerufen am 09.10.2024.