Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite


1000 Toisen erreichte, und 7200 Schuh weit von dem Orte des Aufsteigens niederfiel.

Diesen Nachrichten zufolge hat man die Erfindung der aerostatischen Maschinen nicht dem Zufalle, sondern dem Nachdenken und wiederholten Bemühungen zu danken. Dennoch scheinen die Erfinder selbst von der Ursache des Aufsteigens ihrer Maschinen nicht ganz richtige Begriffe gehabt zu haben. Das Mittel, dessen sie sich bedienten, war, daß sie unter der Oefnung des ganz zusammengefalteten leinenen Sackes ein Strohfeuer anzündeten, und von Zeit zu Zeit etwas gekrempelte Wolle in dasselbe warfen. Dadurch entfaltete sich der Sack, schwoll auf, und stieg endlich in der Luft empor. Die Erfinder schrieben dieses Aufsteigen nicht der wahren Ursache zu, welche darinn besteht, daß der Sack mit erhitzter oder durchs Feuer verdünnter Luft angefüllt wird; sie glaubten vielmehr, es werde durch die Verbrennung des Strohes und der Wolle ein eignes Gas entbunden, welches leichter, als die atmosphärische Luft sey, und dem schon in einigen Schriften der Name Montgolfiersches Gas beygelegt ward. Dieses, so wie die Idee einer künstlichen Wolke, und der Vorschlag, die Elektricität dabey zu gebrauchen, zeigt, daß die Erfindung wenigstens auf einem sehr indirecten Wege gemacht worden sey.

Der Ruf von dieser erstaunenswürdigen Entdeckung verbreitete sich bald; weil aber die Mittel, deren sich die Montgolfiers bedienten, nicht sogleich bekannt wurden, so fielen die Pariser Naturforscher auf die Vermuthung, der Versuch zu Annonay werde sich vermittelst der brennbaren Luft nachahmen lassen. Charles, Professor der Physik zu Paris, verfertigte mit Hülfe der Gebrüder Robert, zweener geschickten Mechaniker, eine Kugel von Taffet mit Firniß von elastischem Harz überzogen, welche mit brennbarer Luft aus Eisen und Vitriolöl gefüllt und den 27 August 1783 im Champ de Mars in die Luft aufgelassen wurde. Ihr Durchmesser war 12 Fuß 2 Zoll; sie wog 25 Pfund, stieg in zwo Minuten auf eine Höhe von 488 Toisen, verschwand in den Wolken, und fiel nach


1000 Toiſen erreichte, und 7200 Schuh weit von dem Orte des Aufſteigens niederfiel.

Dieſen Nachrichten zufolge hat man die Erfindung der aeroſtatiſchen Maſchinen nicht dem Zufalle, ſondern dem Nachdenken und wiederholten Bemuͤhungen zu danken. Dennoch ſcheinen die Erfinder ſelbſt von der Urſache des Aufſteigens ihrer Maſchinen nicht ganz richtige Begriffe gehabt zu haben. Das Mittel, deſſen ſie ſich bedienten, war, daß ſie unter der Oefnung des ganz zuſammengefalteten leinenen Sackes ein Strohfeuer anzuͤndeten, und von Zeit zu Zeit etwas gekrempelte Wolle in daſſelbe warfen. Dadurch entfaltete ſich der Sack, ſchwoll auf, und ſtieg endlich in der Luft empor. Die Erfinder ſchrieben dieſes Aufſteigen nicht der wahren Urſache zu, welche darinn beſteht, daß der Sack mit erhitzter oder durchs Feuer verduͤnnter Luft angefuͤllt wird; ſie glaubten vielmehr, es werde durch die Verbrennung des Strohes und der Wolle ein eignes Gas entbunden, welches leichter, als die atmoſphaͤriſche Luft ſey, und dem ſchon in einigen Schriften der Name Montgolfierſches Gas beygelegt ward. Dieſes, ſo wie die Idee einer kuͤnſtlichen Wolke, und der Vorſchlag, die Elektricitaͤt dabey zu gebrauchen, zeigt, daß die Erfindung wenigſtens auf einem ſehr indirecten Wege gemacht worden ſey.

Der Ruf von dieſer erſtaunenswuͤrdigen Entdeckung verbreitete ſich bald; weil aber die Mittel, deren ſich die Montgolfiers bedienten, nicht ſogleich bekannt wurden, ſo fielen die Pariſer Naturforſcher auf die Vermuthung, der Verſuch zu Annonay werde ſich vermittelſt der brennbaren Luft nachahmen laſſen. Charles, Profeſſor der Phyſik zu Paris, verfertigte mit Huͤlfe der Gebruͤder Robert, zweener geſchickten Mechaniker, eine Kugel von Taffet mit Firniß von elaſtiſchem Harz uͤberzogen, welche mit brennbarer Luft aus Eiſen und Vitrioloͤl gefuͤllt und den 27 Auguſt 1783 im Champ de Mars in die Luft aufgelaſſen wurde. Ihr Durchmeſſer war 12 Fuß 2 Zoll; ſie wog 25 Pfund, ſtieg in zwo Minuten auf eine Hoͤhe von 488 Toiſen, verſchwand in den Wolken, und fiel nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0071" xml:id="P.1.57" n="57"/><lb/>
1000 Toi&#x017F;en erreichte, und 7200 Schuh weit von dem Orte des Auf&#x017F;teigens niederfiel.</p>
          <p>Die&#x017F;en Nachrichten zufolge hat man die Erfindung der aero&#x017F;tati&#x017F;chen Ma&#x017F;chinen nicht dem Zufalle, &#x017F;ondern dem Nachdenken und wiederholten Bemu&#x0364;hungen zu danken. Dennoch &#x017F;cheinen die Erfinder &#x017F;elb&#x017F;t von der Ur&#x017F;ache des Auf&#x017F;teigens ihrer Ma&#x017F;chinen nicht ganz richtige Begriffe gehabt zu haben. Das Mittel, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ich bedienten, war, daß &#x017F;ie unter der Oefnung des ganz zu&#x017F;ammengefalteten leinenen Sackes ein Strohfeuer anzu&#x0364;ndeten, und von Zeit zu Zeit etwas gekrempelte Wolle in da&#x017F;&#x017F;elbe warfen. Dadurch entfaltete &#x017F;ich der Sack, &#x017F;chwoll auf, und &#x017F;tieg endlich in der Luft empor. Die Erfinder &#x017F;chrieben die&#x017F;es Auf&#x017F;teigen nicht der wahren Ur&#x017F;ache zu, welche darinn be&#x017F;teht, daß der Sack mit <hi rendition="#b">erhitzter</hi> oder durchs Feuer <hi rendition="#b">verdu&#x0364;nnter Luft</hi> angefu&#x0364;llt wird; &#x017F;ie glaubten vielmehr, es werde durch die Verbrennung des Strohes und der Wolle ein eignes <hi rendition="#b">Gas</hi> entbunden, welches leichter, als die atmo&#x017F;pha&#x0364;ri&#x017F;che Luft &#x017F;ey, und dem &#x017F;chon in einigen Schriften der Name <hi rendition="#b">Montgolfier&#x017F;ches Gas</hi> beygelegt ward. Die&#x017F;es, &#x017F;o wie die Idee einer ku&#x0364;n&#x017F;tlichen Wolke, und der Vor&#x017F;chlag, die Elektricita&#x0364;t dabey zu gebrauchen, zeigt, daß die Erfindung wenig&#x017F;tens auf einem &#x017F;ehr indirecten Wege gemacht worden &#x017F;ey.</p>
          <p>Der Ruf von die&#x017F;er er&#x017F;taunenswu&#x0364;rdigen Entdeckung verbreitete &#x017F;ich bald; weil aber die Mittel, deren &#x017F;ich die Montgolfiers bedienten, nicht &#x017F;ogleich bekannt wurden, &#x017F;o fielen die Pari&#x017F;er Naturfor&#x017F;cher auf die Vermuthung, der Ver&#x017F;uch zu Annonay werde &#x017F;ich vermittel&#x017F;t der <hi rendition="#b">brennbaren Luft</hi> nachahmen la&#x017F;&#x017F;en. <hi rendition="#b">Charles,</hi> Profe&#x017F;&#x017F;or der Phy&#x017F;ik zu Paris, verfertigte mit Hu&#x0364;lfe der Gebru&#x0364;der <hi rendition="#b">Robert,</hi> zweener ge&#x017F;chickten Mechaniker, eine Kugel von Taffet mit Firniß von ela&#x017F;ti&#x017F;chem Harz u&#x0364;berzogen, welche mit brennbarer Luft aus Ei&#x017F;en und Vitriolo&#x0364;l gefu&#x0364;llt und den 27 Augu&#x017F;t 1783 im Champ de Mars in die Luft aufgela&#x017F;&#x017F;en wurde. Ihr Durchme&#x017F;&#x017F;er war 12 Fuß 2 Zoll; &#x017F;ie wog 25 Pfund, &#x017F;tieg in zwo Minuten auf eine Ho&#x0364;he von 488 Toi&#x017F;en, ver&#x017F;chwand in den Wolken, und fiel nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0071] 1000 Toiſen erreichte, und 7200 Schuh weit von dem Orte des Aufſteigens niederfiel. Dieſen Nachrichten zufolge hat man die Erfindung der aeroſtatiſchen Maſchinen nicht dem Zufalle, ſondern dem Nachdenken und wiederholten Bemuͤhungen zu danken. Dennoch ſcheinen die Erfinder ſelbſt von der Urſache des Aufſteigens ihrer Maſchinen nicht ganz richtige Begriffe gehabt zu haben. Das Mittel, deſſen ſie ſich bedienten, war, daß ſie unter der Oefnung des ganz zuſammengefalteten leinenen Sackes ein Strohfeuer anzuͤndeten, und von Zeit zu Zeit etwas gekrempelte Wolle in daſſelbe warfen. Dadurch entfaltete ſich der Sack, ſchwoll auf, und ſtieg endlich in der Luft empor. Die Erfinder ſchrieben dieſes Aufſteigen nicht der wahren Urſache zu, welche darinn beſteht, daß der Sack mit erhitzter oder durchs Feuer verduͤnnter Luft angefuͤllt wird; ſie glaubten vielmehr, es werde durch die Verbrennung des Strohes und der Wolle ein eignes Gas entbunden, welches leichter, als die atmoſphaͤriſche Luft ſey, und dem ſchon in einigen Schriften der Name Montgolfierſches Gas beygelegt ward. Dieſes, ſo wie die Idee einer kuͤnſtlichen Wolke, und der Vorſchlag, die Elektricitaͤt dabey zu gebrauchen, zeigt, daß die Erfindung wenigſtens auf einem ſehr indirecten Wege gemacht worden ſey. Der Ruf von dieſer erſtaunenswuͤrdigen Entdeckung verbreitete ſich bald; weil aber die Mittel, deren ſich die Montgolfiers bedienten, nicht ſogleich bekannt wurden, ſo fielen die Pariſer Naturforſcher auf die Vermuthung, der Verſuch zu Annonay werde ſich vermittelſt der brennbaren Luft nachahmen laſſen. Charles, Profeſſor der Phyſik zu Paris, verfertigte mit Huͤlfe der Gebruͤder Robert, zweener geſchickten Mechaniker, eine Kugel von Taffet mit Firniß von elaſtiſchem Harz uͤberzogen, welche mit brennbarer Luft aus Eiſen und Vitrioloͤl gefuͤllt und den 27 Auguſt 1783 im Champ de Mars in die Luft aufgelaſſen wurde. Ihr Durchmeſſer war 12 Fuß 2 Zoll; ſie wog 25 Pfund, ſtieg in zwo Minuten auf eine Hoͤhe von 488 Toiſen, verſchwand in den Wolken, und fiel nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Bibliothek des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte : Bereitstellung der Texttranskription. (2015-09-02T12:13:09Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-09-02T12:13:09Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): keine Angabe; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/71
Zitationshilfe: Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/71>, abgerufen am 28.04.2024.