finde, ist zwar eben die Hauptfrage, auf welche es bey Bestimmung der Natur und Wirkungsart der Kräfte sehr ankommen würde, s. Stetigkeit. Allein die Erscheinungen in der Körperwelt geben uns wenigstens keinen Anlaß, verstatten uns sogar keine Möglichkeit, das Gegentheil anzunehmen. Vielleicht mag es seyn, daß die Kräfte, welche die Geschwindigkeiten ändern, z. B. die Schwere, nicht stetig, sondern stoßweise wirken, und der vorigen Geschwindigkeit ihre Zusätze nicht ununterbrochen, sondern mit dazwischen fallenden Pausen geben -- aber wir bemerken dergleichen Stöße und Pausen nicht; ein Stein auf unserer Hand scheint ununterbrochen zu drücken, und wir fühlen ihn keinen Augenblick von der Schwere verlassen. Ließen wir also auch Stöße und Pausen in der Aenderung der Geschwindigkeiten zu, so fehlte uns doch alle Möglichkeit, die Anzahl derselben, und wie viel jeder wirkte, zu bestimmen. Erklärungen dieser Art würden alle Möglichkeit einer Berechnung aufheben, und die ganze höhere Mechanik umstoßen. Diese ist ganz darauf gebaut, daß beschleunigende Kräfte stetig wirken (diese Stetigkeit mag nun blos Erscheinung, oder sie mag wirklich seyn), und ihre Resultate kommen in Absicht auf Schwere und Centralkräfte mit unsern Erfahrungen vom Falle der Erdkörper und vom Laufe der Himmelskörper genau überein.
Sobald wir aber stetige Aenderungen der Geschwindigkeit annehmen, wird die ganze Lehre von veränderter Bewegung auf Rechnung des Unendlichen zurückgeführt. Beydes ist so genau verbunden, daß sich die Rechnung des Unendlichen nach Newtons Vorstellungsart, oder unter dem Namen der Fluxionsrechnung, sogar aus dem Begriffe von stetig veränderter Bewegung herleiten und erweisen läßt, wie dies Maclaurin(Treatise on fluxions, Edinb. 1742. I. T. 4.) mit einer ganz euklideischen Schärfe und Deutlichkeit gethan hat. Zwo Geschwindigkeiten in zwo nahen Stellen des Weges können also einander so nahe kommen, als man will, wenn man nur den Abstand beyder Stellen klein genug annimmt, oder, wie dies in der Sprache der Differentialrechnung lautet: Zwo Geschwindigkeiten
finde, iſt zwar eben die Hauptfrage, auf welche es bey Beſtimmung der Natur und Wirkungsart der Kraͤfte ſehr ankommen wuͤrde, ſ. Stetigkeit. Allein die Erſcheinungen in der Koͤrperwelt geben uns wenigſtens keinen Anlaß, verſtatten uns ſogar keine Moͤglichkeit, das Gegentheil anzunehmen. Vielleicht mag es ſeyn, daß die Kraͤfte, welche die Geſchwindigkeiten aͤndern, z. B. die Schwere, nicht ſtetig, ſondern ſtoßweiſe wirken, und der vorigen Geſchwindigkeit ihre Zuſaͤtze nicht ununterbrochen, ſondern mit dazwiſchen fallenden Pauſen geben — aber wir bemerken dergleichen Stoͤße und Pauſen nicht; ein Stein auf unſerer Hand ſcheint ununterbrochen zu druͤcken, und wir fuͤhlen ihn keinen Augenblick von der Schwere verlaſſen. Ließen wir alſo auch Stoͤße und Pauſen in der Aenderung der Geſchwindigkeiten zu, ſo fehlte uns doch alle Moͤglichkeit, die Anzahl derſelben, und wie viel jeder wirkte, zu beſtimmen. Erklaͤrungen dieſer Art wuͤrden alle Moͤglichkeit einer Berechnung aufheben, und die ganze hoͤhere Mechanik umſtoßen. Dieſe iſt ganz darauf gebaut, daß beſchleunigende Kraͤfte ſtetig wirken (dieſe Stetigkeit mag nun blos Erſcheinung, oder ſie mag wirklich ſeyn), und ihre Reſultate kommen in Abſicht auf Schwere und Centralkraͤfte mit unſern Erfahrungen vom Falle der Erdkoͤrper und vom Laufe der Himmelskoͤrper genau uͤberein.
Sobald wir aber ſtetige Aenderungen der Geſchwindigkeit annehmen, wird die ganze Lehre von veraͤnderter Bewegung auf Rechnung des Unendlichen zuruͤckgefuͤhrt. Beydes iſt ſo genau verbunden, daß ſich die Rechnung des Unendlichen nach Newtons Vorſtellungsart, oder unter dem Namen der Fluxionsrechnung, ſogar aus dem Begriffe von ſtetig veraͤnderter Bewegung herleiten und erweiſen laͤßt, wie dies Maclaurin(Treatiſe on fluxions, Edinb. 1742. I. T. 4.) mit einer ganz euklideiſchen Schaͤrfe und Deutlichkeit gethan hat. Zwo Geſchwindigkeiten in zwo nahen Stellen des Weges koͤnnen alſo einander ſo nahe kommen, als man will, wenn man nur den Abſtand beyder Stellen klein genug annimmt, oder, wie dies in der Sprache der Differentialrechnung lautet: Zwo Geſchwindigkeiten
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finde, iſt zwar eben die Hauptfrage, auf welche es bey Beſtimmung der Natur und Wirkungsart der Kraͤfte ſehr ankommen wuͤrde, ſ. Stetigkeit. Allein die Erſcheinungen in der Koͤrperwelt geben uns wenigſtens keinen Anlaß, verſtatten uns ſogar keine Moͤglichkeit, das Gegentheil anzunehmen. Vielleicht mag es ſeyn, daß die Kraͤfte, welche die Geſchwindigkeiten aͤndern, z. B. die Schwere, nicht ſtetig, ſondern ſtoßweiſe wirken, und der vorigen Geſchwindigkeit ihre Zuſaͤtze nicht ununterbrochen, ſondern mit dazwiſchen fallenden Pauſen geben — aber wir bemerken dergleichen Stoͤße und Pauſen nicht; ein Stein auf unſerer Hand ſcheint ununterbrochen zu druͤcken, und wir fuͤhlen ihn keinen Augenblick von der Schwere verlaſſen. Ließen wir alſo auch Stoͤße und Pauſen in der Aenderung der Geſchwindigkeiten zu, ſo fehlte uns doch alle Moͤglichkeit, die Anzahl derſelben, und wie viel jeder wirkte, zu beſtimmen. Erklaͤrungen dieſer Art wuͤrden alle Moͤglichkeit einer Berechnung aufheben, und die ganze hoͤhere Mechanik umſtoßen. Dieſe iſt ganz darauf gebaut, daß beſchleunigende Kraͤfte ſtetig wirken (dieſe Stetigkeit mag nun blos Erſcheinung, oder ſie mag wirklich ſeyn), und ihre Reſultate kommen in Abſicht auf Schwere und Centralkraͤfte mit unſern Erfahrungen vom Falle der Erdkoͤrper und vom Laufe der Himmelskoͤrper genau uͤberein.
Sobald wir aber ſtetige Aenderungen der Geſchwindigkeit annehmen, wird die ganze Lehre von veraͤnderter Bewegung auf Rechnung des Unendlichen zuruͤckgefuͤhrt. Beydes iſt ſo genau verbunden, daß ſich die Rechnung des Unendlichen nach Newtons Vorſtellungsart, oder unter dem Namen der Fluxionsrechnung, ſogar aus dem Begriffe von ſtetig veraͤnderter Bewegung herleiten und erweiſen laͤßt, wie dies Maclaurin (Treatiſe on fluxions, Edinb. 1742. I. T. 4.) mit einer ganz euklideiſchen Schaͤrfe und Deutlichkeit gethan hat. Zwo Geſchwindigkeiten in zwo nahen Stellen des Weges koͤnnen alſo einander ſo nahe kommen, als man will, wenn man nur den Abſtand beyder Stellen klein genug annimmt, oder, wie dies in der Sprache der Differentialrechnung lautet: Zwo Geſchwindigkeiten
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/348>, abgerufen am 23.11.2024.
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