Kunstwörter, aber desto mehr Sachen gelernt. Uebel angestellte Versuche haben oft die lächerlichsten Systeme erzeugt; aber durch die Beobachtung geleitet, entdeckte Newton seine erhabnen Theorien. Oft sind Begriffe, die man aus Versuchen erlangt, unvollkommen, stehen im Verhältnisse mit den getroffenen Veranstaltungen, und hängen von den Kenntnissen dessen ab, der die Versuche ersonnen hat. Endlich ist es fast immer mißlich, nach den im Kleinen angestellten Versuchen die großen Wirkungen der Natur zu beurtheilen, und was die Natur wirklich thut oder hervorbringt, wird man nie anders, als auf dem Wege der Beobachtung finden. Man muß aber nie vergessen, daß Beobachten und Experimentiren beyde nothwendig sind, um das, was die Erfahrung überhaupt lehren kan, vollständig zu machen. Die Beobachtung läßt Lücken, welche die Versuche ausfüllen müssen, und die Versuche lehren Sätze, die nur dann erst gewiß werden, wenn sie die Vergleichung mit den Beobachtungen aushalten.
Die Eigenschaften eines guten Beobachters hat Senebier im ersten Theile seines unten angeführten Werks aus einander gesetzt. Er erfordert von ihm hauptsächlich Genie und wissenschaftliche Kenntnisse, aber auch einen hinlänglichen Grad von philosophischem Scepticismus, der ihn theils gegen das allzugroße Vertrauen auf sich selbst wafne, welches Genie und Gelehrsamkeit so leicht einzuflößen pflegen, theils auch ihn abhalte, sich durch irgend ein Vorurtheil des Ansehens rc. blenden zu lassen. Er muß insbesondere ein Kenner der Mathematik, und durch sie an feste Verbindung von Begriffen und Schlüssen gewöhnt seyn; er muß die Verhältnisse in den beobachteten Gegenständen genau zu bestimmen wissen, obgleich oft die allzufrühe Anwendung mathematischer Berechnung auf Grundsätze, die noch nicht genug geprüft sind, schädlich seyn kan, indem der getäuschte Mathematiker den Irrthum durch den verführerischen Schein der Wahrheit nur noch mehr befestiget. Die Berechnung nützt nur dann, wenn die genaue Beobachtung nicht nur die Data hergiebt, sondern auch die Resultate bekräftiget. Endlich muß der Beobachter in
Kunſtwoͤrter, aber deſto mehr Sachen gelernt. Uebel angeſtellte Verſuche haben oft die laͤcherlichſten Syſteme erzeugt; aber durch die Beobachtung geleitet, entdeckte Newton ſeine erhabnen Theorien. Oft ſind Begriffe, die man aus Verſuchen erlangt, unvollkommen, ſtehen im Verhaͤltniſſe mit den getroffenen Veranſtaltungen, und haͤngen von den Kenntniſſen deſſen ab, der die Verſuche erſonnen hat. Endlich iſt es faſt immer mißlich, nach den im Kleinen angeſtellten Verſuchen die großen Wirkungen der Natur zu beurtheilen, und was die Natur wirklich thut oder hervorbringt, wird man nie anders, als auf dem Wege der Beobachtung finden. Man muß aber nie vergeſſen, daß Beobachten und Experimentiren beyde nothwendig ſind, um das, was die Erfahrung uͤberhaupt lehren kan, vollſtaͤndig zu machen. Die Beobachtung laͤßt Luͤcken, welche die Verſuche ausfuͤllen muͤſſen, und die Verſuche lehren Saͤtze, die nur dann erſt gewiß werden, wenn ſie die Vergleichung mit den Beobachtungen aushalten.
Die Eigenſchaften eines guten Beobachters hat Senebier im erſten Theile ſeines unten angefuͤhrten Werks aus einander geſetzt. Er erfordert von ihm hauptſaͤchlich Genie und wiſſenſchaftliche Kenntniſſe, aber auch einen hinlaͤnglichen Grad von philoſophiſchem Scepticismus, der ihn theils gegen das allzugroße Vertrauen auf ſich ſelbſt wafne, welches Genie und Gelehrſamkeit ſo leicht einzufloͤßen pflegen, theils auch ihn abhalte, ſich durch irgend ein Vorurtheil des Anſehens rc. blenden zu laſſen. Er muß insbeſondere ein Kenner der Mathematik, und durch ſie an feſte Verbindung von Begriffen und Schluͤſſen gewoͤhnt ſeyn; er muß die Verhaͤltniſſe in den beobachteten Gegenſtaͤnden genau zu beſtimmen wiſſen, obgleich oft die allzufruͤhe Anwendung mathematiſcher Berechnung auf Grundſaͤtze, die noch nicht genug gepruͤft ſind, ſchaͤdlich ſeyn kan, indem der getaͤuſchte Mathematiker den Irrthum durch den verfuͤhreriſchen Schein der Wahrheit nur noch mehr befeſtiget. Die Berechnung nuͤtzt nur dann, wenn die genaue Beobachtung nicht nur die Data hergiebt, ſondern auch die Reſultate bekraͤftiget. Endlich muß der Beobachter in
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Kunſtwoͤrter, aber deſto mehr Sachen gelernt. Uebel angeſtellte Verſuche haben oft die laͤcherlichſten Syſteme erzeugt; aber durch die Beobachtung geleitet, entdeckte Newton ſeine erhabnen Theorien. Oft ſind Begriffe, die man aus Verſuchen erlangt, unvollkommen, ſtehen im Verhaͤltniſſe mit den getroffenen Veranſtaltungen, und haͤngen von den Kenntniſſen deſſen ab, der die Verſuche erſonnen hat. Endlich iſt es faſt immer mißlich, nach den im Kleinen angeſtellten Verſuchen die großen Wirkungen der Natur zu beurtheilen, und was die Natur wirklich thut oder hervorbringt, wird man nie anders, als auf dem Wege der Beobachtung finden. Man muß aber nie vergeſſen, daß Beobachten und Experimentiren beyde nothwendig ſind, um das, was die Erfahrung uͤberhaupt lehren kan, vollſtaͤndig zu machen. Die Beobachtung laͤßt Luͤcken, welche die Verſuche ausfuͤllen muͤſſen, und die Verſuche lehren Saͤtze, die nur dann erſt gewiß werden, wenn ſie die Vergleichung mit den Beobachtungen aushalten.
Die Eigenſchaften eines guten Beobachters hat Senebier im erſten Theile ſeines unten angefuͤhrten Werks aus einander geſetzt. Er erfordert von ihm hauptſaͤchlich Genie und wiſſenſchaftliche Kenntniſſe, aber auch einen hinlaͤnglichen Grad von philoſophiſchem Scepticismus, der ihn theils gegen das allzugroße Vertrauen auf ſich ſelbſt wafne, welches Genie und Gelehrſamkeit ſo leicht einzufloͤßen pflegen, theils auch ihn abhalte, ſich durch irgend ein Vorurtheil des Anſehens rc. blenden zu laſſen. Er muß insbeſondere ein Kenner der Mathematik, und durch ſie an feſte Verbindung von Begriffen und Schluͤſſen gewoͤhnt ſeyn; er muß die Verhaͤltniſſe in den beobachteten Gegenſtaͤnden genau zu beſtimmen wiſſen, obgleich oft die allzufruͤhe Anwendung mathematiſcher Berechnung auf Grundſaͤtze, die noch nicht genug gepruͤft ſind, ſchaͤdlich ſeyn kan, indem der getaͤuſchte Mathematiker den Irrthum durch den verfuͤhreriſchen Schein der Wahrheit nur noch mehr befeſtiget. Die Berechnung nuͤtzt nur dann, wenn die genaue Beobachtung nicht nur die Data hergiebt, ſondern auch die Reſultate bekraͤftiget. Endlich muß der Beobachter in
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Gehler, Johann Samuel Traugott: Physikalisches Wörterbuch, oder, Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gehler_woerterbuch01_1798/305>, abgerufen am 23.11.2024.
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