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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

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Ueber die Prüfung
aber keine solchen, die in allen Sprachen Unge-
reimtheiten wären.

So wie die Sprache, so hat jeder andre Ge-
genstand des Wissens und des Thuns eine dop-
pelte Seite; eine Seite für den Fleiß und das Ge-
dächtniß, eine andre für das Nachdenken und
den Verstand. Man kann nach einem langen
Studio der Geschichte von ihr, außer einzelnen
merkwürdigen und großen Thatsachen, fast nichts
als ihre Philosophie wissen; und man kann hin-
gegen in der Mathematik nichts als eine Nach-
richt von ihren Sätzen lernen. Ob man also
gleich in der ersten Erziehung nicht schon der
Wissenschaft einen ausschließenden Vorzug geben
darf, die man nach der Wahl oder nach den Fä-
higkeiten des Lehrlings als sein künftiges Stu-
dium ansieht, theils, um nicht dadurch den Kopf
zu sehr einzuschränken, wenn man seinen natürli-
chen Hang durch eine zu frühzeitige Befriedigung
noch verstärkte, theils weil keine Ausübung einer
menschlichen Fähigkeit ohne einen gewissen Grad
von Vollkommenheit in den übrigen, vortreflich

Ueber die Pruͤfung
aber keine ſolchen, die in allen Sprachen Unge-
reimtheiten waͤren.

So wie die Sprache, ſo hat jeder andre Ge-
genſtand des Wiſſens und des Thuns eine dop-
pelte Seite; eine Seite fuͤr den Fleiß und das Ge-
daͤchtniß, eine andre fuͤr das Nachdenken und
den Verſtand. Man kann nach einem langen
Studio der Geſchichte von ihr, außer einzelnen
merkwuͤrdigen und großen Thatſachen, faſt nichts
als ihre Philoſophie wiſſen; und man kann hin-
gegen in der Mathematik nichts als eine Nach-
richt von ihren Saͤtzen lernen. Ob man alſo
gleich in der erſten Erziehung nicht ſchon der
Wiſſenſchaft einen ausſchließenden Vorzug geben
darf, die man nach der Wahl oder nach den Faͤ-
higkeiten des Lehrlings als ſein kuͤnftiges Stu-
dium anſieht, theils, um nicht dadurch den Kopf
zu ſehr einzuſchraͤnken, wenn man ſeinen natuͤrli-
chen Hang durch eine zu fruͤhzeitige Befriedigung
noch verſtaͤrkte, theils weil keine Ausuͤbung einer
menſchlichen Faͤhigkeit ohne einen gewiſſen Grad
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[76/0082] Ueber die Pruͤfung aber keine ſolchen, die in allen Sprachen Unge- reimtheiten waͤren. So wie die Sprache, ſo hat jeder andre Ge- genſtand des Wiſſens und des Thuns eine dop- pelte Seite; eine Seite fuͤr den Fleiß und das Ge- daͤchtniß, eine andre fuͤr das Nachdenken und den Verſtand. Man kann nach einem langen Studio der Geſchichte von ihr, außer einzelnen merkwuͤrdigen und großen Thatſachen, faſt nichts als ihre Philoſophie wiſſen; und man kann hin- gegen in der Mathematik nichts als eine Nach- richt von ihren Saͤtzen lernen. Ob man alſo gleich in der erſten Erziehung nicht ſchon der Wiſſenſchaft einen ausſchließenden Vorzug geben darf, die man nach der Wahl oder nach den Faͤ- higkeiten des Lehrlings als ſein kuͤnftiges Stu- dium anſieht, theils, um nicht dadurch den Kopf zu ſehr einzuſchraͤnken, wenn man ſeinen natuͤrli- chen Hang durch eine zu fruͤhzeitige Befriedigung noch verſtaͤrkte, theils weil keine Ausuͤbung einer menſchlichen Faͤhigkeit ohne einen gewiſſen Grad von Vollkommenheit in den uͤbrigen, vortreflich

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Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/82>, abgerufen am 23.11.2024.