Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueber die Prüfung

Dieses hat noch eine andre Folge. Er wird
sich mit dem allgemeinen Gespräche in einer gros-
sen Gesellschaft schlecht behelfen, und wird doch
in einer Unterredung mit einer einzelnen Person,
wo eine bestimmte Materie der Vorwurf ist, vor-
treflich seyn können. Bey dem ersten ist ein Ge-
misch von tausend abgebrochenen und zerstückten
Gedanken, ein beständiger Uebergang von einem
Gegenstande zum andern. Man will durchaus
nichts ergründet, sondern alles nur berührt ha-
ben. Jede Idee, die vorgebracht wird, muß, so
zu sagen, auf der Oberfläche des Dinges liegen,
von der sie genommen ist; der Zugang zu ihr muß
leicht seyn, und sie muß eben so geschwind begrif-
fen als verlassen werden können. Unser guter
Philosoph wird nun hierbey nicht bloß durch die
Mannichfaltigkeit der Vorwürfe überhäuft; son-
dern er bleibt auch bey ihrem schnellen Fortgange
zurück; man läßt ihm nicht Zeit, seine Betrach-
tungen vorzubringen, oder wenn er sie gesagt
hat, so sind sie für die übrigen weder einleuchtend
noch treffend; sie hören sie also mit Kaltsinnigkeit

Ueber die Pruͤfung

Dieſes hat noch eine andre Folge. Er wird
ſich mit dem allgemeinen Geſpraͤche in einer groſ-
ſen Geſellſchaft ſchlecht behelfen, und wird doch
in einer Unterredung mit einer einzelnen Perſon,
wo eine beſtimmte Materie der Vorwurf iſt, vor-
treflich ſeyn koͤnnen. Bey dem erſten iſt ein Ge-
miſch von tauſend abgebrochenen und zerſtuͤckten
Gedanken, ein beſtaͤndiger Uebergang von einem
Gegenſtande zum andern. Man will durchaus
nichts ergruͤndet, ſondern alles nur beruͤhrt ha-
ben. Jede Idee, die vorgebracht wird, muß, ſo
zu ſagen, auf der Oberflaͤche des Dinges liegen,
von der ſie genommen iſt; der Zugang zu ihr muß
leicht ſeyn, und ſie muß eben ſo geſchwind begrif-
fen als verlaſſen werden koͤnnen. Unſer guter
Philoſoph wird nun hierbey nicht bloß durch die
Mannichfaltigkeit der Vorwuͤrfe uͤberhaͤuft; ſon-
dern er bleibt auch bey ihrem ſchnellen Fortgange
zuruͤck; man laͤßt ihm nicht Zeit, ſeine Betrach-
tungen vorzubringen, oder wenn er ſie geſagt
hat, ſo ſind ſie fuͤr die uͤbrigen weder einleuchtend
noch treffend; ſie hoͤren ſie alſo mit Kaltſinnigkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0070" n="64"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ueber die Pru&#x0364;fung</hi> </fw><lb/>
        <p>Die&#x017F;es hat noch eine andre Folge. Er wird<lb/>
&#x017F;ich mit dem allgemeinen Ge&#x017F;pra&#x0364;che in einer gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;chlecht behelfen, und wird doch<lb/>
in einer Unterredung mit einer einzelnen Per&#x017F;on,<lb/>
wo eine be&#x017F;timmte Materie der Vorwurf i&#x017F;t, vor-<lb/>
treflich &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen. Bey dem er&#x017F;ten i&#x017F;t ein Ge-<lb/>
mi&#x017F;ch von tau&#x017F;end abgebrochenen und zer&#x017F;tu&#x0364;ckten<lb/>
Gedanken, ein be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Uebergang von einem<lb/>
Gegen&#x017F;tande zum andern. Man will durchaus<lb/>
nichts ergru&#x0364;ndet, &#x017F;ondern alles nur beru&#x0364;hrt ha-<lb/>
ben. Jede Idee, die vorgebracht wird, muß, &#x017F;o<lb/>
zu &#x017F;agen, auf der Oberfla&#x0364;che des Dinges liegen,<lb/>
von der &#x017F;ie genommen i&#x017F;t; der Zugang zu ihr muß<lb/>
leicht &#x017F;eyn, und &#x017F;ie muß eben &#x017F;o ge&#x017F;chwind begrif-<lb/>
fen als verla&#x017F;&#x017F;en werden ko&#x0364;nnen. Un&#x017F;er guter<lb/>
Philo&#x017F;oph wird nun hierbey nicht bloß durch die<lb/>
Mannichfaltigkeit der Vorwu&#x0364;rfe u&#x0364;berha&#x0364;uft; &#x017F;on-<lb/>
dern er bleibt auch bey ihrem &#x017F;chnellen Fortgange<lb/>
zuru&#x0364;ck; man la&#x0364;ßt ihm nicht Zeit, &#x017F;eine Betrach-<lb/>
tungen vorzubringen, oder wenn er &#x017F;ie ge&#x017F;agt<lb/>
hat, &#x017F;o &#x017F;ind &#x017F;ie fu&#x0364;r die u&#x0364;brigen weder einleuchtend<lb/>
noch treffend; &#x017F;ie ho&#x0364;ren &#x017F;ie al&#x017F;o mit Kalt&#x017F;innigkeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0070] Ueber die Pruͤfung Dieſes hat noch eine andre Folge. Er wird ſich mit dem allgemeinen Geſpraͤche in einer groſ- ſen Geſellſchaft ſchlecht behelfen, und wird doch in einer Unterredung mit einer einzelnen Perſon, wo eine beſtimmte Materie der Vorwurf iſt, vor- treflich ſeyn koͤnnen. Bey dem erſten iſt ein Ge- miſch von tauſend abgebrochenen und zerſtuͤckten Gedanken, ein beſtaͤndiger Uebergang von einem Gegenſtande zum andern. Man will durchaus nichts ergruͤndet, ſondern alles nur beruͤhrt ha- ben. Jede Idee, die vorgebracht wird, muß, ſo zu ſagen, auf der Oberflaͤche des Dinges liegen, von der ſie genommen iſt; der Zugang zu ihr muß leicht ſeyn, und ſie muß eben ſo geſchwind begrif- fen als verlaſſen werden koͤnnen. Unſer guter Philoſoph wird nun hierbey nicht bloß durch die Mannichfaltigkeit der Vorwuͤrfe uͤberhaͤuft; ſon- dern er bleibt auch bey ihrem ſchnellen Fortgange zuruͤck; man laͤßt ihm nicht Zeit, ſeine Betrach- tungen vorzubringen, oder wenn er ſie geſagt hat, ſo ſind ſie fuͤr die uͤbrigen weder einleuchtend noch treffend; ſie hoͤren ſie alſo mit Kaltſinnigkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/70
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/70>, abgerufen am 05.05.2024.