"Alles soll dem Flüchtlinge nach. -- Aber "es ist zu spät. -- Früher hätte ich ihn bestra- "fen sollen! -- Nein, das kann der zärtliche "Sohn nicht seyn, der seinen alten Vater aus "dem Feuer trug. -- O wenn ich doch ihn, sein "ganzes Heer, seinen Sohn, und mich selbst mit "ihnen hätte in den Untergang stürzen können!"
Jener Gedanke und diese Empfindung haben et- was mehr Auffallendes, als die übrigen Theile dieser Rede, weil sie eine mehr einleuchtende Wahr- heit haben. Ein empfindliches Herz, das Va- terliebe kennt, kann gegen die Liebe einer andern Art nicht ganz fühllos seyn. Der Zorn, der aus Liebe entsteht, wütet gegen sich selbst immer zu- gleich mit, indem er sich gegen den Beleidiger ausläßt.
Es folgen Verwünschungen gegen den Ae- neas, die zugleich Prophezeihungen von Vorfällen enthalten, die diesem wirklich in Italien begegnen; und der lezte Befehl an ihr Volk, die Römer ewig zu hassen.
Einige Gedanken
„Alles ſoll dem Fluͤchtlinge nach. — Aber „es iſt zu ſpaͤt. — Fruͤher haͤtte ich ihn beſtra- „fen ſollen! — Nein, das kann der zaͤrtliche „Sohn nicht ſeyn, der ſeinen alten Vater aus „dem Feuer trug. — O wenn ich doch ihn, ſein „ganzes Heer, ſeinen Sohn, und mich ſelbſt mit „ihnen haͤtte in den Untergang ſtuͤrzen koͤnnen!“
Jener Gedanke und dieſe Empfindung haben et- was mehr Auffallendes, als die uͤbrigen Theile dieſer Rede, weil ſie eine mehr einleuchtende Wahr- heit haben. Ein empfindliches Herz, das Va- terliebe kennt, kann gegen die Liebe einer andern Art nicht ganz fuͤhllos ſeyn. Der Zorn, der aus Liebe entſteht, wuͤtet gegen ſich ſelbſt immer zu- gleich mit, indem er ſich gegen den Beleidiger auslaͤßt.
Es folgen Verwuͤnſchungen gegen den Ae- neas, die zugleich Prophezeihungen von Vorfaͤllen enthalten, die dieſem wirklich in Italien begegnen; und der lezte Befehl an ihr Volk, die Roͤmer ewig zu haſſen.
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Einige Gedanken
„Alles ſoll dem Fluͤchtlinge nach. — Aber
„es iſt zu ſpaͤt. — Fruͤher haͤtte ich ihn beſtra-
„fen ſollen! — Nein, das kann der zaͤrtliche
„Sohn nicht ſeyn, der ſeinen alten Vater aus
„dem Feuer trug. — O wenn ich doch ihn, ſein
„ganzes Heer, ſeinen Sohn, und mich ſelbſt mit
„ihnen haͤtte in den Untergang ſtuͤrzen koͤnnen!“
Jener Gedanke und dieſe Empfindung haben et-
was mehr Auffallendes, als die uͤbrigen Theile
dieſer Rede, weil ſie eine mehr einleuchtende Wahr-
heit haben. Ein empfindliches Herz, das Va-
terliebe kennt, kann gegen die Liebe einer andern
Art nicht ganz fuͤhllos ſeyn. Der Zorn, der aus
Liebe entſteht, wuͤtet gegen ſich ſelbſt immer zu-
gleich mit, indem er ſich gegen den Beleidiger
auslaͤßt.
Es folgen Verwuͤnſchungen gegen den Ae-
neas, die zugleich Prophezeihungen von Vorfaͤllen
enthalten, die dieſem wirklich in Italien begegnen;
und der lezte Befehl an ihr Volk, die Roͤmer ewig
zu haſſen.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/426>, abgerufen am 23.11.2024.
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