"Was für ein Mann ist dieser Fremdling! "Wie schön, wie tapfer, wie edel! Es ist nicht "möglich seine hohe Abkunft zu verkennen. Und "was für Thaten er gethan, was für Gefahren "er ausgestanden hat! Ja wenn ich nach dem "Sichäus noch einen andern lieben könnte, so "würde es dieser gewesen seyn. Aber lieber "wollte ich sterben, ehe ich die Treue gegen die- "sen Gemahl verlezte."
Diese ganz einfältigen aber wahren Gedan- ken haben im Virgil, durch die Wahl der Wör- ter und ihre Stellung, eine poetische Würde be- kommen, ohne etwas von ihrem Natürlichen zu verlieren.
Zuerst redet sie von ihrer Liebe nur noch als von einer ungewissen, einer möglichen Nei- gung.
Huic uni forsan potui succumbere culpae.
Einen Augenblick drauf, geht sie einen Schritt weiter. Sie gesteht ein, daß sie den Aeneas wirklich liebt.
C c 2
uͤber das Intereſſireude.
„Was fuͤr ein Mann iſt dieſer Fremdling! „Wie ſchoͤn, wie tapfer, wie edel! Es iſt nicht „moͤglich ſeine hohe Abkunft zu verkennen. Und „was fuͤr Thaten er gethan, was fuͤr Gefahren „er ausgeſtanden hat! Ja wenn ich nach dem „Sichaͤus noch einen andern lieben koͤnnte, ſo „wuͤrde es dieſer geweſen ſeyn. Aber lieber „wollte ich ſterben, ehe ich die Treue gegen die- „ſen Gemahl verlezte.“
Dieſe ganz einfaͤltigen aber wahren Gedan- ken haben im Virgil, durch die Wahl der Woͤr- ter und ihre Stellung, eine poetiſche Wuͤrde be- kommen, ohne etwas von ihrem Natuͤrlichen zu verlieren.
Zuerſt redet ſie von ihrer Liebe nur noch als von einer ungewiſſen, einer moͤglichen Nei- gung.
Huic uni forſan potui ſuccumbere culpae.
Einen Augenblick drauf, geht ſie einen Schritt weiter. Sie geſteht ein, daß ſie den Aeneas wirklich liebt.
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uͤber das Intereſſireude.
„Was fuͤr ein Mann iſt dieſer Fremdling!
„Wie ſchoͤn, wie tapfer, wie edel! Es iſt nicht
„moͤglich ſeine hohe Abkunft zu verkennen. Und
„was fuͤr Thaten er gethan, was fuͤr Gefahren
„er ausgeſtanden hat! Ja wenn ich nach dem
„Sichaͤus noch einen andern lieben koͤnnte, ſo
„wuͤrde es dieſer geweſen ſeyn. Aber lieber
„wollte ich ſterben, ehe ich die Treue gegen die-
„ſen Gemahl verlezte.“
Dieſe ganz einfaͤltigen aber wahren Gedan-
ken haben im Virgil, durch die Wahl der Woͤr-
ter und ihre Stellung, eine poetiſche Wuͤrde be-
kommen, ohne etwas von ihrem Natuͤrlichen zu
verlieren.
Zuerſt redet ſie von ihrer Liebe nur noch
als von einer ungewiſſen, einer moͤglichen Nei-
gung.
Huic uni forſan potui ſuccumbere culpae.
Einen Augenblick drauf, geht ſie einen Schritt
weiter. Sie geſteht ein, daß ſie den Aeneas
wirklich liebt.
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Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/409>, abgerufen am 27.11.2024.
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