Wir sehen demunerachtet augenscheinlich, daß wir an der Fröhlichkeit eben sowohl Theil nehmen können, als an der Betrübniß.
Alle Leidenschaften lassen sich in solche theilen, die aus dem Widerstande gegen das Uebel und den Schmerz, und in solche, die aus der Nei- gug gegen das Gute und das Vergnügen entste- hen. Jede Gattung theilt sich wieder, nach dem die Leidenschaft die Seele erhebt oder nieder- schlägt. Es giebt einen Widerwillen gegen das Uebel, der zum Widerstande führt, der mit einer Art von Aufwallung der Lebensgeister verbunden ist, der muthig und beynahe verwegen macht, das ist die zornartige Unlust. Es giebt einen andern, der zur Muthlosigkeit führt, der mit ei- ner Unterdrückung der Lebensgeister verbunden ist, der schwermüthig und verzweifelnd macht, das ist die Betrübniß. Eben so giebt es eine Freude, die stolz macht, die Zuversicht und weit aussehende Entwürfe einflößt; und eine andre,
X 2
uͤber das Intereſſirende.
und dem Mitleiden allein einen Namen gege- ben?
Wir ſehen demunerachtet augenſcheinlich, daß wir an der Froͤhlichkeit eben ſowohl Theil nehmen koͤnnen, als an der Betruͤbniß.
Alle Leidenſchaften laſſen ſich in ſolche theilen, die aus dem Widerſtande gegen das Uebel und den Schmerz, und in ſolche, die aus der Nei- gug gegen das Gute und das Vergnuͤgen entſte- hen. Jede Gattung theilt ſich wieder, nach dem die Leidenſchaft die Seele erhebt oder nieder- ſchlaͤgt. Es giebt einen Widerwillen gegen das Uebel, der zum Widerſtande fuͤhrt, der mit einer Art von Aufwallung der Lebensgeiſter verbunden iſt, der muthig und beynahe verwegen macht, das iſt die zornartige Unluſt. Es giebt einen andern, der zur Muthloſigkeit fuͤhrt, der mit ei- ner Unterdruͤckung der Lebensgeiſter verbunden iſt, der ſchwermuͤthig und verzweifelnd macht, das iſt die Betruͤbniß. Eben ſo giebt es eine Freude, die ſtolz macht, die Zuverſicht und weit ausſehende Entwuͤrfe einfloͤßt; und eine andre,
X 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0329"n="323"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">uͤber das Intereſſirende.</hi></fw><lb/>
und dem <hirendition="#fr">Mitleiden</hi> allein einen Namen gege-<lb/>
ben?</p><lb/><p>Wir ſehen demunerachtet augenſcheinlich,<lb/>
daß wir an der Froͤhlichkeit eben ſowohl Theil<lb/>
nehmen koͤnnen, als an der Betruͤbniß.</p><lb/><p>Alle Leidenſchaften laſſen ſich in ſolche theilen,<lb/>
die aus dem Widerſtande gegen das Uebel und<lb/>
den Schmerz, und in ſolche, die aus der Nei-<lb/>
gug gegen das Gute und das Vergnuͤgen entſte-<lb/>
hen. Jede Gattung theilt ſich wieder, nach<lb/>
dem die Leidenſchaft die Seele erhebt oder nieder-<lb/>ſchlaͤgt. Es giebt einen Widerwillen gegen das<lb/>
Uebel, der zum Widerſtande fuͤhrt, der mit einer<lb/>
Art von Aufwallung der Lebensgeiſter verbunden<lb/>
iſt, der muthig und beynahe verwegen macht,<lb/>
das iſt die <hirendition="#fr">zornartige Unluſt</hi>. Es giebt einen<lb/>
andern, der zur Muthloſigkeit fuͤhrt, der mit ei-<lb/>
ner Unterdruͤckung der Lebensgeiſter verbunden<lb/>
iſt, der ſchwermuͤthig und verzweifelnd macht,<lb/>
das iſt die <hirendition="#fr">Betruͤbniß</hi>. Eben ſo giebt es eine<lb/>
Freude, die ſtolz macht, die Zuverſicht und weit<lb/>
ausſehende Entwuͤrfe einfloͤßt; und eine andre,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">X 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[323/0329]
uͤber das Intereſſirende.
und dem Mitleiden allein einen Namen gege-
ben?
Wir ſehen demunerachtet augenſcheinlich,
daß wir an der Froͤhlichkeit eben ſowohl Theil
nehmen koͤnnen, als an der Betruͤbniß.
Alle Leidenſchaften laſſen ſich in ſolche theilen,
die aus dem Widerſtande gegen das Uebel und
den Schmerz, und in ſolche, die aus der Nei-
gug gegen das Gute und das Vergnuͤgen entſte-
hen. Jede Gattung theilt ſich wieder, nach
dem die Leidenſchaft die Seele erhebt oder nieder-
ſchlaͤgt. Es giebt einen Widerwillen gegen das
Uebel, der zum Widerſtande fuͤhrt, der mit einer
Art von Aufwallung der Lebensgeiſter verbunden
iſt, der muthig und beynahe verwegen macht,
das iſt die zornartige Unluſt. Es giebt einen
andern, der zur Muthloſigkeit fuͤhrt, der mit ei-
ner Unterdruͤckung der Lebensgeiſter verbunden
iſt, der ſchwermuͤthig und verzweifelnd macht,
das iſt die Betruͤbniß. Eben ſo giebt es eine
Freude, die ſtolz macht, die Zuverſicht und weit
ausſehende Entwuͤrfe einfloͤßt; und eine andre,
X 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/329>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.