Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Einige Gedanken die eine harmonische Erschütterung unsrer Nervenhervorbringen sollen; und die Erschütterungen des Vergnügens sind sanft. Um deswillen also ist körperlicher Schmerz kein schicklicher Stoff für den Dichter. Um deswillen soll Medea ihre Kin- der nicht auf dem Theater umbringen, und Atreus nicht seines Bruders Kinder vor den Au- gen der Zuschauer auftragen. Die Leidenschaf- ten, die uns von andern durch unsern Körper mitgetheilt werden; auch die, wo sich nur unse- re körperliche Sympathie sehr mit hineinmischt, sind immer unangenehme verdrüßliche Leiden- schaften; sie erlauben selten eine Mischung von Vergnügen, und sie erregen keinen Wohlgefallen über uns selbst und unsre Empfindlichkeit. Die zwote Art der Sympathie, die, welche Einige Gedanken die eine harmoniſche Erſchuͤtterung unſrer Nervenhervorbringen ſollen; und die Erſchuͤtterungen des Vergnuͤgens ſind ſanft. Um deswillen alſo iſt koͤrperlicher Schmerz kein ſchicklicher Stoff fuͤr den Dichter. Um deswillen ſoll Medea ihre Kin- der nicht auf dem Theater umbringen, und Atreus nicht ſeines Bruders Kinder vor den Au- gen der Zuſchauer auftragen. Die Leidenſchaf- ten, die uns von andern durch unſern Koͤrper mitgetheilt werden; auch die, wo ſich nur unſe- re koͤrperliche Sympathie ſehr mit hineinmiſcht, ſind immer unangenehme verdruͤßliche Leiden- ſchaften; ſie erlauben ſelten eine Miſchung von Vergnuͤgen, und ſie erregen keinen Wohlgefallen uͤber uns ſelbſt und unſre Empfindlichkeit. Die zwote Art der Sympathie, die, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0328" n="322"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Einige Gedanken</hi></fw><lb/> die eine harmoniſche Erſchuͤtterung unſrer Nerven<lb/> hervorbringen ſollen; und die Erſchuͤtterungen<lb/> des Vergnuͤgens ſind ſanft. Um deswillen alſo<lb/> iſt koͤrperlicher Schmerz kein ſchicklicher Stoff fuͤr<lb/> den Dichter. Um deswillen ſoll Medea ihre Kin-<lb/> der nicht auf dem Theater umbringen, und<lb/> Atreus nicht ſeines Bruders Kinder vor den Au-<lb/> gen der Zuſchauer auftragen. Die Leidenſchaf-<lb/> ten, die uns von andern durch unſern Koͤrper<lb/> mitgetheilt werden; auch die, wo ſich nur unſe-<lb/> re koͤrperliche Sympathie ſehr mit hineinmiſcht,<lb/> ſind immer unangenehme verdruͤßliche Leiden-<lb/> ſchaften; ſie erlauben ſelten eine Miſchung von<lb/> Vergnuͤgen, und ſie erregen keinen Wohlgefallen<lb/> uͤber uns ſelbſt und unſre Empfindlichkeit.</p><lb/> <p>Die zwote Art der Sympathie, die, welche<lb/> aus der Einbildungskraft und dem Verſetzen in<lb/> des andern Umſtaͤnde entſpringt, muß ebenfalls<lb/> bey dem Leiden merklicher, als bey jeder andern<lb/> Art der Empfindungen ſeyn. Denn, warum<lb/> haͤtte man faſt in allen Sprachen alle an-<lb/> dre Arten von Sympathie unbenannt gelaſſen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [322/0328]
Einige Gedanken
die eine harmoniſche Erſchuͤtterung unſrer Nerven
hervorbringen ſollen; und die Erſchuͤtterungen
des Vergnuͤgens ſind ſanft. Um deswillen alſo
iſt koͤrperlicher Schmerz kein ſchicklicher Stoff fuͤr
den Dichter. Um deswillen ſoll Medea ihre Kin-
der nicht auf dem Theater umbringen, und
Atreus nicht ſeines Bruders Kinder vor den Au-
gen der Zuſchauer auftragen. Die Leidenſchaf-
ten, die uns von andern durch unſern Koͤrper
mitgetheilt werden; auch die, wo ſich nur unſe-
re koͤrperliche Sympathie ſehr mit hineinmiſcht,
ſind immer unangenehme verdruͤßliche Leiden-
ſchaften; ſie erlauben ſelten eine Miſchung von
Vergnuͤgen, und ſie erregen keinen Wohlgefallen
uͤber uns ſelbſt und unſre Empfindlichkeit.
Die zwote Art der Sympathie, die, welche
aus der Einbildungskraft und dem Verſetzen in
des andern Umſtaͤnde entſpringt, muß ebenfalls
bey dem Leiden merklicher, als bey jeder andern
Art der Empfindungen ſeyn. Denn, warum
haͤtte man faſt in allen Sprachen alle an-
dre Arten von Sympathie unbenannt gelaſſen,
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