Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

Verschiedenheiten in den Werken
innern Seite, die Philosophie seines Herzens, in
den Alten mehr oder nur eben so gut kennen lern-
te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern.
Vielleicht sind dafür Handlungen und Reden bey
jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als
sie es bey unsern Dichtern von der unstigen sind.
Unsere Imagination bekömmt dort vielleicht ge-
treuere Bilder: aber unser Verstand erhält weni-
ger Begriffe, oder weniger Unterschiede unter ähn-
lichen Begriffen. Unser Herz wird vielleicht hef-
tiger angegriffen; aber die Schläge sind einförmi-
ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un-
serer Empfindungen überhaupt in Bewegung zu
setzen, als eine jede einzelne Saite derselben beson-
ders zu rühren.

Kein Unterschied zwischen den alten und neuen
Dichtern ist sichtbarer als der, daß jene mehr
Dinge wußten und schilderten, dieser ihre Kennt-
nisse eingeschränkter, aber tiefer sind.

Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren
Dinge einen Theil, der, so zu sagen, das gemein-
schaftliche Gut aller menschlichen Geister aus-

Verſchiedenheiten in den Werken
innern Seite, die Philoſophie ſeines Herzens, in
den Alten mehr oder nur eben ſo gut kennen lern-
te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern.
Vielleicht ſind dafuͤr Handlungen und Reden bey
jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als
ſie es bey unſern Dichtern von der unſtigen ſind.
Unſere Imagination bekoͤmmt dort vielleicht ge-
treuere Bilder: aber unſer Verſtand erhaͤlt weni-
ger Begriffe, oder weniger Unterſchiede unter aͤhn-
lichen Begriffen. Unſer Herz wird vielleicht hef-
tiger angegriffen; aber die Schlaͤge ſind einfoͤrmi-
ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un-
ſerer Empfindungen uͤberhaupt in Bewegung zu
ſetzen, als eine jede einzelne Saite derſelben beſon-
ders zu ruͤhren.

Kein Unterſchied zwiſchen den alten und neuen
Dichtern iſt ſichtbarer als der, daß jene mehr
Dinge wußten und ſchilderten, dieſer ihre Kennt-
niſſe eingeſchraͤnkter, aber tiefer ſind.

Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren
Dinge einen Theil, der, ſo zu ſagen, das gemein-
ſchaftliche Gut aller menſchlichen Geiſter auſ-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="172"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ver&#x017F;chiedenheiten in den Werken</hi></fw><lb/>
innern Seite, die Philo&#x017F;ophie &#x017F;eines Herzens, in<lb/>
den Alten mehr oder nur eben &#x017F;o gut kennen lern-<lb/>
te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern.<lb/>
Vielleicht &#x017F;ind dafu&#x0364;r Handlungen und Reden bey<lb/>
jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als<lb/>
&#x017F;ie es bey un&#x017F;ern Dichtern von der un&#x017F;tigen &#x017F;ind.<lb/>
Un&#x017F;ere Imagination beko&#x0364;mmt dort vielleicht ge-<lb/>
treuere Bilder: aber un&#x017F;er Ver&#x017F;tand erha&#x0364;lt weni-<lb/>
ger Begriffe, oder weniger Unter&#x017F;chiede unter a&#x0364;hn-<lb/>
lichen Begriffen. Un&#x017F;er Herz wird vielleicht hef-<lb/>
tiger angegriffen; aber die Schla&#x0364;ge &#x017F;ind einfo&#x0364;rmi-<lb/>
ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un-<lb/>
&#x017F;erer Empfindungen u&#x0364;berhaupt in Bewegung zu<lb/>
&#x017F;etzen, als eine jede einzelne Saite der&#x017F;elben be&#x017F;on-<lb/>
ders zu ru&#x0364;hren.</p><lb/>
        <p>Kein Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen den alten und neuen<lb/>
Dichtern i&#x017F;t &#x017F;ichtbarer als der, daß jene mehr<lb/>
Dinge wußten und &#x017F;childerten, die&#x017F;er ihre Kennt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e einge&#x017F;chra&#x0364;nkter, aber tiefer &#x017F;ind.</p><lb/>
        <p>Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren<lb/>
Dinge einen Theil, der, &#x017F;o zu &#x017F;agen, das gemein-<lb/>
&#x017F;chaftliche Gut aller men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;ter au&#x017F;-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[172/0178] Verſchiedenheiten in den Werken innern Seite, die Philoſophie ſeines Herzens, in den Alten mehr oder nur eben ſo gut kennen lern- te, als in einigen vortreflichen Werken der Neuern. Vielleicht ſind dafuͤr Handlungen und Reden bey jenen genauere Kopien der damaligen Natur, als ſie es bey unſern Dichtern von der unſtigen ſind. Unſere Imagination bekoͤmmt dort vielleicht ge- treuere Bilder: aber unſer Verſtand erhaͤlt weni- ger Begriffe, oder weniger Unterſchiede unter aͤhn- lichen Begriffen. Unſer Herz wird vielleicht hef- tiger angegriffen; aber die Schlaͤge ſind einfoͤrmi- ger, und zielen mehr darauf ab, das Ganze un- ſerer Empfindungen uͤberhaupt in Bewegung zu ſetzen, als eine jede einzelne Saite derſelben beſon- ders zu ruͤhren. Kein Unterſchied zwiſchen den alten und neuen Dichtern iſt ſichtbarer als der, daß jene mehr Dinge wußten und ſchilderten, dieſer ihre Kennt- niſſe eingeſchraͤnkter, aber tiefer ſind. Es giebt izt unter dem Haufen der wißbaren Dinge einen Theil, der, ſo zu ſagen, das gemein- ſchaftliche Gut aller menſchlichen Geiſter auſ-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/178
Zitationshilfe: Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/178>, abgerufen am 25.11.2024.