Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779.Ueber die Prüfung bringen sie ein Genie hervor. -- Ueberhaupt heißtGenie entweder alles, was in unsern Fähigkeiten von der Natur herrührt, und wird dem Erlern- ten oder der Gelehrsamkeit entgegengesezt; oder es zeigt eine höhere Klasse von Geist an, und in diesem Verstande nehmen wir es jezt. -- Es giebt also so viel Genies, als es Gegenstände für besondere Fähigkeiten giebt. Wir wollen zum Beyspiel das dichterische Genie nehmen. Es ist klar, daß seine herrschende Eigenschaft die Ein- bildungskraft seyn muß, die von richtigen, star- ken und feinen Empfindungen geleitet, von einer einsichtvollen, aber praktischen Vernunft ausge- bildet, und durch den Witz ausgeschmückt wird. Aber wenn die nachdenkende oder die philosophi- rende Vernunft dieser nicht zur Seite gienge, so würden sich diese Bilder und diese Begriffe nicht ausdrücken lassen; denn alle Worte sind Zeichen für abgezogne Begriffe. Diese Uebereinstimmung und Vereinigung also von Empfindungskraft und Vernunft, wovon die eine die Bilder, die nachgemacht werden sollen, vorstellt; die andre Ueber die Pruͤfung bringen ſie ein Genie hervor. — Ueberhaupt heißtGenie entweder alles, was in unſern Faͤhigkeiten von der Natur herruͤhrt, und wird dem Erlern- ten oder der Gelehrſamkeit entgegengeſezt; oder es zeigt eine hoͤhere Klaſſe von Geiſt an, und in dieſem Verſtande nehmen wir es jezt. — Es giebt alſo ſo viel Genies, als es Gegenſtaͤnde fuͤr beſondere Faͤhigkeiten giebt. Wir wollen zum Beyſpiel das dichteriſche Genie nehmen. Es iſt klar, daß ſeine herrſchende Eigenſchaft die Ein- bildungskraft ſeyn muß, die von richtigen, ſtar- ken und feinen Empfindungen geleitet, von einer einſichtvollen, aber praktiſchen Vernunft ausge- bildet, und durch den Witz ausgeſchmuͤckt wird. Aber wenn die nachdenkende oder die philoſophi- rende Vernunft dieſer nicht zur Seite gienge, ſo wuͤrden ſich dieſe Bilder und dieſe Begriffe nicht ausdruͤcken laſſen; denn alle Worte ſind Zeichen fuͤr abgezogne Begriffe. Dieſe Uebereinſtimmung und Vereinigung alſo von Empfindungskraft und Vernunft, wovon die eine die Bilder, die nachgemacht werden ſollen, vorſtellt; die andre <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="98"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Ueber die Pruͤfung</hi></fw><lb/> bringen ſie ein Genie hervor. — Ueberhaupt heißt<lb/> Genie entweder alles, was in unſern Faͤhigkeiten<lb/> von der Natur herruͤhrt, und wird dem Erlern-<lb/> ten oder der Gelehrſamkeit entgegengeſezt; oder<lb/> es zeigt eine hoͤhere Klaſſe von Geiſt an, und in<lb/> dieſem Verſtande nehmen wir es jezt. — Es<lb/> giebt alſo ſo viel Genies, als es Gegenſtaͤnde fuͤr<lb/> beſondere Faͤhigkeiten giebt. Wir wollen zum<lb/> Beyſpiel das dichteriſche Genie nehmen. Es iſt<lb/> klar, daß ſeine herrſchende Eigenſchaft die Ein-<lb/> bildungskraft ſeyn muß, die von richtigen, ſtar-<lb/> ken und feinen Empfindungen geleitet, von einer<lb/> einſichtvollen, aber praktiſchen Vernunft ausge-<lb/> bildet, und durch den Witz ausgeſchmuͤckt wird.<lb/> Aber wenn die nachdenkende oder die philoſophi-<lb/> rende Vernunft dieſer nicht zur Seite gienge, ſo<lb/> wuͤrden ſich dieſe Bilder und dieſe Begriffe nicht<lb/> ausdruͤcken laſſen; denn alle Worte ſind Zeichen<lb/> fuͤr abgezogne Begriffe. Dieſe Uebereinſtimmung<lb/> und Vereinigung alſo von Empfindungskraft<lb/> und Vernunft, wovon die eine die Bilder, die<lb/> nachgemacht werden ſollen, vorſtellt; die andre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [98/0104]
Ueber die Pruͤfung
bringen ſie ein Genie hervor. — Ueberhaupt heißt
Genie entweder alles, was in unſern Faͤhigkeiten
von der Natur herruͤhrt, und wird dem Erlern-
ten oder der Gelehrſamkeit entgegengeſezt; oder
es zeigt eine hoͤhere Klaſſe von Geiſt an, und in
dieſem Verſtande nehmen wir es jezt. — Es
giebt alſo ſo viel Genies, als es Gegenſtaͤnde fuͤr
beſondere Faͤhigkeiten giebt. Wir wollen zum
Beyſpiel das dichteriſche Genie nehmen. Es iſt
klar, daß ſeine herrſchende Eigenſchaft die Ein-
bildungskraft ſeyn muß, die von richtigen, ſtar-
ken und feinen Empfindungen geleitet, von einer
einſichtvollen, aber praktiſchen Vernunft ausge-
bildet, und durch den Witz ausgeſchmuͤckt wird.
Aber wenn die nachdenkende oder die philoſophi-
rende Vernunft dieſer nicht zur Seite gienge, ſo
wuͤrden ſich dieſe Bilder und dieſe Begriffe nicht
ausdruͤcken laſſen; denn alle Worte ſind Zeichen
fuͤr abgezogne Begriffe. Dieſe Uebereinſtimmung
und Vereinigung alſo von Empfindungskraft
und Vernunft, wovon die eine die Bilder, die
nachgemacht werden ſollen, vorſtellt; die andre
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