sie ordnet und die Farben herbeyschafft, mit de- nen sie entworfen werden: dieses macht das Ei- genthümliche und das Seltne von diesem Genie. Fähigkeiten, die sich in gewissem Grade aufheben, müssen sich bey ihm vereinigeu; die Erinnerungs- kraft, die die Ideen durch ihre Folge und Verbin- dung aufweckt, muß mit dem Gedächtnisse, das ganze Reihen von Begebenheiten wieder darstellen kann, verbunden seyn; die Empfindungen müs- sen so ungestört bleiben, als wenn die Seele sich bloß mit dem Gegenstande selbst beschäftigte, und doch muß die Seele zugleich einen gehei- men Blick auf sich selbst thun, um diese Empfin- dungen gewahr zu werden, und sie in den ge- hörigen Schranken zu halten. Empfinden und Denken zugleich, das ist die große Kunst des Dich- ters.
Ich will nur noch einige allgemeine Merk- male, woran sich gute Köpfe überhaupt erkennen lassen, hinzusetzen:
Erstlich. Die Eitelkeit hat bey ihnen we- niger Einfluß, und die Erwartung des Lobes ist
G 2
der Faͤhigkeiten.
ſie ordnet und die Farben herbeyſchafft, mit de- nen ſie entworfen werden: dieſes macht das Ei- genthuͤmliche und das Seltne von dieſem Genie. Faͤhigkeiten, die ſich in gewiſſem Grade aufheben, muͤſſen ſich bey ihm vereinigeu; die Erinnerungs- kraft, die die Ideen durch ihre Folge und Verbin- dung aufweckt, muß mit dem Gedaͤchtniſſe, das ganze Reihen von Begebenheiten wieder darſtellen kann, verbunden ſeyn; die Empfindungen muͤſ- ſen ſo ungeſtoͤrt bleiben, als wenn die Seele ſich bloß mit dem Gegenſtande ſelbſt beſchaͤftigte, und doch muß die Seele zugleich einen gehei- men Blick auf ſich ſelbſt thun, um dieſe Empfin- dungen gewahr zu werden, und ſie in den ge- hoͤrigen Schranken zu halten. Empfinden und Denken zugleich, das iſt die große Kunſt des Dich- ters.
Ich will nur noch einige allgemeine Merk- male, woran ſich gute Koͤpfe uͤberhaupt erkennen laſſen, hinzuſetzen:
Erſtlich. Die Eitelkeit hat bey ihnen we- niger Einfluß, und die Erwartung des Lobes iſt
G 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0105"n="99"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">der Faͤhigkeiten.</hi></fw><lb/>ſie ordnet und die Farben herbeyſchafft, mit de-<lb/>
nen ſie entworfen werden: dieſes macht das Ei-<lb/>
genthuͤmliche und das Seltne von dieſem Genie.<lb/>
Faͤhigkeiten, die ſich in gewiſſem Grade aufheben,<lb/>
muͤſſen ſich bey ihm vereinigeu; die Erinnerungs-<lb/>
kraft, die die Ideen durch ihre Folge und Verbin-<lb/>
dung aufweckt, muß mit dem Gedaͤchtniſſe, das<lb/>
ganze Reihen von Begebenheiten wieder darſtellen<lb/>
kann, verbunden ſeyn; die Empfindungen muͤſ-<lb/>ſen ſo ungeſtoͤrt bleiben, als wenn die Seele ſich<lb/>
bloß mit dem Gegenſtande ſelbſt beſchaͤftigte,<lb/>
und doch muß die Seele zugleich einen gehei-<lb/>
men Blick auf ſich ſelbſt thun, um dieſe Empfin-<lb/>
dungen gewahr zu werden, und ſie in den ge-<lb/>
hoͤrigen Schranken zu halten. Empfinden und<lb/>
Denken zugleich, das iſt die große Kunſt des Dich-<lb/>
ters.</p><lb/><p>Ich will nur noch einige allgemeine Merk-<lb/>
male, woran ſich gute Koͤpfe uͤberhaupt erkennen<lb/>
laſſen, hinzuſetzen:</p><lb/><p>Erſtlich. Die Eitelkeit hat bey ihnen we-<lb/>
niger Einfluß, und die Erwartung des Lobes iſt<lb/><fwplace="bottom"type="sig">G 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[99/0105]
der Faͤhigkeiten.
ſie ordnet und die Farben herbeyſchafft, mit de-
nen ſie entworfen werden: dieſes macht das Ei-
genthuͤmliche und das Seltne von dieſem Genie.
Faͤhigkeiten, die ſich in gewiſſem Grade aufheben,
muͤſſen ſich bey ihm vereinigeu; die Erinnerungs-
kraft, die die Ideen durch ihre Folge und Verbin-
dung aufweckt, muß mit dem Gedaͤchtniſſe, das
ganze Reihen von Begebenheiten wieder darſtellen
kann, verbunden ſeyn; die Empfindungen muͤſ-
ſen ſo ungeſtoͤrt bleiben, als wenn die Seele ſich
bloß mit dem Gegenſtande ſelbſt beſchaͤftigte,
und doch muß die Seele zugleich einen gehei-
men Blick auf ſich ſelbſt thun, um dieſe Empfin-
dungen gewahr zu werden, und ſie in den ge-
hoͤrigen Schranken zu halten. Empfinden und
Denken zugleich, das iſt die große Kunſt des Dich-
ters.
Ich will nur noch einige allgemeine Merk-
male, woran ſich gute Koͤpfe uͤberhaupt erkennen
laſſen, hinzuſetzen:
Erſtlich. Die Eitelkeit hat bey ihnen we-
niger Einfluß, und die Erwartung des Lobes iſt
G 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Garve, Christian: Sammlung einiger Abhandlungen. Leipzig, 1779, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/garve_sammlung_1779/105>, abgerufen am 16.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.