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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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Wespen, Ottern, Eydexen, Schlangen, Aalen,
Schnecken, Schildkröten u. s. w. überzeugen. Selbst
die einfachen Theile des Menschen und der Thiere,
wenn sie aus dem lebendigen Leibe herausgeschnitten
sind, und das Thier schon völlig todt ist, zeigen noch
für sich ihre mechanische Bewegung des wechselnden
Zusammenziehens und Ausdehnens, als Herz, Mus-
keln, Fiebern u. s. w. und wenn sie schon völlig zur
Ruhe gekommen sind, so lassen sie sich durch einen
neuen körperlichen Reiz von Wärme, Luft, Wasser
oder Stechen und Ritzen, Bespritzen mit Salz, Elek-
trizität wieder in ihre ordentliche Bewegung setzen.
Da sie nun dieses außer dem thierischen Körper, oh-
ne Seele, ohne Leben und Empfindung für sich durch
blosse mechanische Kraft verrichten, so müssen sie es
um so viel mehr im lebendigen Körper, wo es an
Reiz niemals fehlt, und wo die einstimmige Mit-
und Gegenwirkung aller Theile behilflich ist, ohne
jene vorgegebene Seelenthätigkeit verrichten können.
Warum verliert die Seele alle Wirkung und Will-
kühr auf gelähmte Theile? -- Die menschlichen
Mißgeburten, die ohne Kopf neun Monate in Mut-
terleibe, und noch einige Zeit nach der Geburt gele-
bet haben, obschon sie eine Abweichung sind, zeigen
doch die deutlichsten Spuren gleichförmiger Einrichtung
und eben der weisesten Regeln, nach welchen die ein-
geprägte an sich blinde Kraft wirken muste.

Wenn man gegen so viele wichtige Gründe be-
haupten könnte, daß alle Eigenschaften, die man bis-
her einer besondern Substanz, der Seele, zuschrieb,

nichts

Weſpen, Ottern, Eydexen, Schlangen, Aalen,
Schnecken, Schildkroͤten u. ſ. w. uͤberzeugen. Selbſt
die einfachen Theile des Menſchen und der Thiere,
wenn ſie aus dem lebendigen Leibe herausgeſchnitten
ſind, und das Thier ſchon voͤllig todt iſt, zeigen noch
fuͤr ſich ihre mechaniſche Bewegung des wechſelnden
Zuſammenziehens und Ausdehnens, als Herz, Mus-
keln, Fiebern u. ſ. w. und wenn ſie ſchon voͤllig zur
Ruhe gekommen ſind, ſo laſſen ſie ſich durch einen
neuen koͤrperlichen Reiz von Waͤrme, Luft, Waſſer
oder Stechen und Ritzen, Beſpritzen mit Salz, Elek-
trizitaͤt wieder in ihre ordentliche Bewegung ſetzen.
Da ſie nun dieſes außer dem thieriſchen Koͤrper, oh-
ne Seele, ohne Leben und Empfindung fuͤr ſich durch
bloſſe mechaniſche Kraft verrichten, ſo muͤſſen ſie es
um ſo viel mehr im lebendigen Koͤrper, wo es an
Reiz niemals fehlt, und wo die einſtimmige Mit-
und Gegenwirkung aller Theile behilflich iſt, ohne
jene vorgegebene Seelenthaͤtigkeit verrichten koͤnnen.
Warum verliert die Seele alle Wirkung und Will-
kuͤhr auf gelaͤhmte Theile? — Die menſchlichen
Mißgeburten, die ohne Kopf neun Monate in Mut-
terleibe, und noch einige Zeit nach der Geburt gele-
bet haben, obſchon ſie eine Abweichung ſind, zeigen
doch die deutlichſten Spuren gleichfoͤrmiger Einrichtung
und eben der weiſeſten Regeln, nach welchen die ein-
gepraͤgte an ſich blinde Kraft wirken muſte.

Wenn man gegen ſo viele wichtige Gruͤnde be-
haupten koͤnnte, daß alle Eigenſchaften, die man bis-
her einer beſondern Subſtanz, der Seele, zuſchrieb,

nichts
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[173/0192] Weſpen, Ottern, Eydexen, Schlangen, Aalen, Schnecken, Schildkroͤten u. ſ. w. uͤberzeugen. Selbſt die einfachen Theile des Menſchen und der Thiere, wenn ſie aus dem lebendigen Leibe herausgeſchnitten ſind, und das Thier ſchon voͤllig todt iſt, zeigen noch fuͤr ſich ihre mechaniſche Bewegung des wechſelnden Zuſammenziehens und Ausdehnens, als Herz, Mus- keln, Fiebern u. ſ. w. und wenn ſie ſchon voͤllig zur Ruhe gekommen ſind, ſo laſſen ſie ſich durch einen neuen koͤrperlichen Reiz von Waͤrme, Luft, Waſſer oder Stechen und Ritzen, Beſpritzen mit Salz, Elek- trizitaͤt wieder in ihre ordentliche Bewegung ſetzen. Da ſie nun dieſes außer dem thieriſchen Koͤrper, oh- ne Seele, ohne Leben und Empfindung fuͤr ſich durch bloſſe mechaniſche Kraft verrichten, ſo muͤſſen ſie es um ſo viel mehr im lebendigen Koͤrper, wo es an Reiz niemals fehlt, und wo die einſtimmige Mit- und Gegenwirkung aller Theile behilflich iſt, ohne jene vorgegebene Seelenthaͤtigkeit verrichten koͤnnen. Warum verliert die Seele alle Wirkung und Will- kuͤhr auf gelaͤhmte Theile? — Die menſchlichen Mißgeburten, die ohne Kopf neun Monate in Mut- terleibe, und noch einige Zeit nach der Geburt gele- bet haben, obſchon ſie eine Abweichung ſind, zeigen doch die deutlichſten Spuren gleichfoͤrmiger Einrichtung und eben der weiſeſten Regeln, nach welchen die ein- gepraͤgte an ſich blinde Kraft wirken muſte. Wenn man gegen ſo viele wichtige Gruͤnde be- haupten koͤnnte, daß alle Eigenſchaften, die man bis- her einer beſondern Subſtanz, der Seele, zuſchrieb, nichts

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/192>, abgerufen am 30.04.2024.