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Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791.

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nichts als Folgen der thätigen, auf unendlich ver-
schiedene Weise zusammengesetzten, einstimmig unterein-
ander wirkenden und gegenwirkenden Materie seyen;
daß jedes Werkzeug, jedes Eingeweide, je nachdem
seine Urstoffe und seine Zusammensetzung verschieden sind,
seine eigene verschiedene Kraft, seine eigene Empfin-
dung und sein eignes Leben habe, welche nur insofern
von dem Zusammenhange aller Theile abhängen, als
dieser zur Unterstützung des Kreislaufes, zur Beför-
derung der Nahrung und der Absönderung u. s. w. nö-
thig ist: -- Wenn man endlich behaupten könnte,
daß jede Art von Gefühl und Empfindung, so, wie
das Denken, wesentlich nichts als verschiedene Arten
von Bewustseyn seyen; und folglich das Bewustseyn,
jenes unbegreifliche Gefühl des lebendigen Körpers,
aus Eigenschaften einfacher oder zusammengesetzter
Körper erklärt werden könnte -- was aber ewig allen
Weltweisen der Stein des Anstosses bleiben wird: --
so wäre dadurch allen Streitigkeiten dieser Art ein
Ende gemacht. --

Außer dem, was im zweyten Kapitel bei der
Reizbarkeit vorkommen wird, will ich denjenigen,
welche das Weesen der Seele zu zergliedern, und
derselben einen Sitz anzuweisen wissen, folgendes
aus dem philosophischen Arzte zur Beherzigung
anempfohlen haben: "Man streitet auch dage-
gen, hießet es, daß just das Denken als die Weesen-
heit der Seele betrachtet wird. Ihr verwundert euch,
sagen die Philosophen, über das Vermögen, zu den-
ken, und ihr heißet es Seele. Ist das Empfinden, das

Ge-

nichts als Folgen der thaͤtigen, auf unendlich ver-
ſchiedene Weiſe zuſammengeſetzten, einſtimmig unterein-
ander wirkenden und gegenwirkenden Materie ſeyen;
daß jedes Werkzeug, jedes Eingeweide, je nachdem
ſeine Urſtoffe und ſeine Zuſammenſetzung verſchieden ſind,
ſeine eigene verſchiedene Kraft, ſeine eigene Empfin-
dung und ſein eignes Leben habe, welche nur inſofern
von dem Zuſammenhange aller Theile abhaͤngen, als
dieſer zur Unterſtuͤtzung des Kreislaufes, zur Befoͤr-
derung der Nahrung und der Abſoͤnderung u. ſ. w. noͤ-
thig iſt: — Wenn man endlich behaupten koͤnnte,
daß jede Art von Gefuͤhl und Empfindung, ſo, wie
das Denken, weſentlich nichts als verſchiedene Arten
von Bewuſtſeyn ſeyen; und folglich das Bewuſtſeyn,
jenes unbegreifliche Gefuͤhl des lebendigen Koͤrpers,
aus Eigenſchaften einfacher oder zuſammengeſetzter
Koͤrper erklaͤrt werden koͤnnte — was aber ewig allen
Weltweiſen der Stein des Anſtoſſes bleiben wird: —
ſo waͤre dadurch allen Streitigkeiten dieſer Art ein
Ende gemacht. —

Außer dem, was im zweyten Kapitel bei der
Reizbarkeit vorkommen wird, will ich denjenigen,
welche das Weeſen der Seele zu zergliedern, und
derſelben einen Sitz anzuweiſen wiſſen, folgendes
aus dem philoſophiſchen Arzte zur Beherzigung
anempfohlen haben: “Man ſtreitet auch dage-
gen, hießet es, daß juſt das Denken als die Weeſen-
heit der Seele betrachtet wird. Ihr verwundert euch,
ſagen die Philoſophen, uͤber das Vermoͤgen, zu den-
ken, und ihr heißet es Seele. Iſt das Empfinden, das

Ge-
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[174/0193] nichts als Folgen der thaͤtigen, auf unendlich ver- ſchiedene Weiſe zuſammengeſetzten, einſtimmig unterein- ander wirkenden und gegenwirkenden Materie ſeyen; daß jedes Werkzeug, jedes Eingeweide, je nachdem ſeine Urſtoffe und ſeine Zuſammenſetzung verſchieden ſind, ſeine eigene verſchiedene Kraft, ſeine eigene Empfin- dung und ſein eignes Leben habe, welche nur inſofern von dem Zuſammenhange aller Theile abhaͤngen, als dieſer zur Unterſtuͤtzung des Kreislaufes, zur Befoͤr- derung der Nahrung und der Abſoͤnderung u. ſ. w. noͤ- thig iſt: — Wenn man endlich behaupten koͤnnte, daß jede Art von Gefuͤhl und Empfindung, ſo, wie das Denken, weſentlich nichts als verſchiedene Arten von Bewuſtſeyn ſeyen; und folglich das Bewuſtſeyn, jenes unbegreifliche Gefuͤhl des lebendigen Koͤrpers, aus Eigenſchaften einfacher oder zuſammengeſetzter Koͤrper erklaͤrt werden koͤnnte — was aber ewig allen Weltweiſen der Stein des Anſtoſſes bleiben wird: — ſo waͤre dadurch allen Streitigkeiten dieſer Art ein Ende gemacht. — Außer dem, was im zweyten Kapitel bei der Reizbarkeit vorkommen wird, will ich denjenigen, welche das Weeſen der Seele zu zergliedern, und derſelben einen Sitz anzuweiſen wiſſen, folgendes aus dem philoſophiſchen Arzte zur Beherzigung anempfohlen haben: “Man ſtreitet auch dage- gen, hießet es, daß juſt das Denken als die Weeſen- heit der Seele betrachtet wird. Ihr verwundert euch, ſagen die Philoſophen, uͤber das Vermoͤgen, zu den- ken, und ihr heißet es Seele. Iſt das Empfinden, das Ge-

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Zitationshilfe: Gall, Franz Joseph: Philosophisch-medizinische Untersuchungen über Natur und Kunst im kranken und gesunden Zustand des Menschen. Wien, 1791, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_untersuchungen_1791/193>, abgerufen am 30.04.2024.