Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gefangen, fand man am Wege die Leiche, die man eben in den Krug gebracht hatte, als Bernhard ankam. Es war vier Uhr, die gewöhnliche Speisestunde im Schlosse, und der Graf mit seiner Gemahlin saß bei der Tafel; zwischen ihnen auf einem hohen Stühlchen Theresens Kind, das erst seit einigen Tagen die Ehre genoß, mit seinen Aeltern zu speisen. Die Gräfin schob dem Kinde einige Süßigkeiten in den Mund, während der Graf lächelnd zusah, denn es gab jetzt schon Stunden, wo er ganz vergaß, daß der kleine Bernhard eigentlich nicht des Pachters Namen, sondern seinen eigenen, Clemens, trug und nicht sein Kind, sondern des Pachters Kind war! Da hörte man im Vorzimmer auffallend rasche und schwere Schritte erschallen, die beiden Lakaien, die bei Tafel aufwarteten, s[a]hen sich verwundert an, als die Thüre aufgerissen wurde und bleich, mit entstellten Zügen und lose flatterndem Halstuch, Bernhard Artmann auf der Schwelle erschien. Indem er die Drei am Tische abwechselnd mit irren, stieren Blicken ansah, blieb er wie ein Gespenst am Eingang stehen. Der Graf, von dessen Wangen auch alle Farbe wich, erhob sich und ihm entgegentretend frug er mit schwankender Stimme: gefangen, fand man am Wege die Leiche, die man eben in den Krug gebracht hatte, als Bernhard ankam. Es war vier Uhr, die gewöhnliche Speisestunde im Schlosse, und der Graf mit seiner Gemahlin saß bei der Tafel; zwischen ihnen auf einem hohen Stühlchen Theresens Kind, das erst seit einigen Tagen die Ehre genoß, mit seinen Aeltern zu speisen. Die Gräfin schob dem Kinde einige Süßigkeiten in den Mund, während der Graf lächelnd zusah, denn es gab jetzt schon Stunden, wo er ganz vergaß, daß der kleine Bernhard eigentlich nicht des Pachters Namen, sondern seinen eigenen, Clemens, trug und nicht sein Kind, sondern des Pachters Kind war! Da hörte man im Vorzimmer auffallend rasche und schwere Schritte erschallen, die beiden Lakaien, die bei Tafel aufwarteten, s[a]hen sich verwundert an, als die Thüre aufgerissen wurde und bleich, mit entstellten Zügen und lose flatterndem Halstuch, Bernhard Artmann auf der Schwelle erschien. Indem er die Drei am Tische abwechselnd mit irren, stieren Blicken ansah, blieb er wie ein Gespenst am Eingang stehen. Der Graf, von dessen Wangen auch alle Farbe wich, erhob sich und ihm entgegentretend frug er mit schwankender Stimme: <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0066"/> gefangen, fand man am Wege die Leiche, die man eben in den Krug gebracht hatte, als Bernhard ankam.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Es war vier Uhr, die gewöhnliche Speisestunde im Schlosse, und der Graf mit seiner Gemahlin saß bei der Tafel; zwischen ihnen auf einem hohen Stühlchen Theresens Kind, das erst seit einigen Tagen die Ehre genoß, mit seinen Aeltern zu speisen. Die Gräfin schob dem Kinde einige Süßigkeiten in den Mund, während der Graf lächelnd zusah, denn es gab jetzt schon Stunden, wo er ganz vergaß, daß der kleine Bernhard eigentlich nicht des Pachters Namen, sondern seinen eigenen, Clemens, trug und nicht sein Kind, sondern des Pachters Kind war!</p><lb/> <p>Da hörte man im Vorzimmer auffallend rasche und schwere Schritte erschallen, die beiden Lakaien, die bei Tafel aufwarteten, s<supplied>a</supplied>hen sich verwundert an, als die Thüre aufgerissen wurde und bleich, mit entstellten Zügen und lose flatterndem Halstuch, Bernhard Artmann auf der Schwelle erschien.</p><lb/> <p>Indem er die Drei am Tische abwechselnd mit irren, stieren Blicken ansah, blieb er wie ein Gespenst am Eingang stehen. Der Graf, von dessen Wangen auch alle Farbe wich, erhob sich und ihm entgegentretend frug er mit schwankender Stimme:</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
gefangen, fand man am Wege die Leiche, die man eben in den Krug gebracht hatte, als Bernhard ankam.
Es war vier Uhr, die gewöhnliche Speisestunde im Schlosse, und der Graf mit seiner Gemahlin saß bei der Tafel; zwischen ihnen auf einem hohen Stühlchen Theresens Kind, das erst seit einigen Tagen die Ehre genoß, mit seinen Aeltern zu speisen. Die Gräfin schob dem Kinde einige Süßigkeiten in den Mund, während der Graf lächelnd zusah, denn es gab jetzt schon Stunden, wo er ganz vergaß, daß der kleine Bernhard eigentlich nicht des Pachters Namen, sondern seinen eigenen, Clemens, trug und nicht sein Kind, sondern des Pachters Kind war!
Da hörte man im Vorzimmer auffallend rasche und schwere Schritte erschallen, die beiden Lakaien, die bei Tafel aufwarteten, sahen sich verwundert an, als die Thüre aufgerissen wurde und bleich, mit entstellten Zügen und lose flatterndem Halstuch, Bernhard Artmann auf der Schwelle erschien.
Indem er die Drei am Tische abwechselnd mit irren, stieren Blicken ansah, blieb er wie ein Gespenst am Eingang stehen. Der Graf, von dessen Wangen auch alle Farbe wich, erhob sich und ihm entgegentretend frug er mit schwankender Stimme:
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