Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Saales auf, in dem er, wie ihm eine Ahnung sagte, die todte Märtyrerin finden werde.

Sie lag wirklich da! Auf das Gastbett hatte man sie getragen, und die Tochter des Wirthes war beschäftigt, das Blut von dem schönen leblosen Gesicht zu waschen.

Laut weinend stürzte Bernhard zur Seite des Bettes nieder.

Therese, Therese, verzeihe mir! Nur noch einmal schlage deine süßen blauen Augen auf, um mir zu sagen, daß du mir nicht grollst, daß ich in frevlem Starrsinn dich mit deinem armen Herzen so allein gelassen! Therese, o Therese!

Aber sie schlug die Augen nicht mehr auf, nur ein unbeschreiblicher Zug um den Mund deutete an, daß sie trotz ihrem entsetzlichen Tode schmerzlos geschieden.

Ihre Pferde, die nur im Schritt oder höchstens im leichten Trab zu fahren gewohnt waren, hatten, von ihr mit athemloser Eile getrieben und gejagt, in tollem Rennen den Wagen an einem Steinpfeiler zerschellt. Therese, vom Wagen geschleudert, hatte wahrscheinlich schon im ersten Augenblicke sich tödtlich verletzt, indem sie mit dem Kopfe aufschlug, denn an demselben befand sich eine breite Wunde, aus der ein Strom von Blut gequollen war. Die Pferde, ganz scheu geworden, waren mit den Trümmern des Wagens weiter gerannt, und erst lange, nachdem man sie ein-

Saales auf, in dem er, wie ihm eine Ahnung sagte, die todte Märtyrerin finden werde.

Sie lag wirklich da! Auf das Gastbett hatte man sie getragen, und die Tochter des Wirthes war beschäftigt, das Blut von dem schönen leblosen Gesicht zu waschen.

Laut weinend stürzte Bernhard zur Seite des Bettes nieder.

Therese, Therese, verzeihe mir! Nur noch einmal schlage deine süßen blauen Augen auf, um mir zu sagen, daß du mir nicht grollst, daß ich in frevlem Starrsinn dich mit deinem armen Herzen so allein gelassen! Therese, o Therese!

Aber sie schlug die Augen nicht mehr auf, nur ein unbeschreiblicher Zug um den Mund deutete an, daß sie trotz ihrem entsetzlichen Tode schmerzlos geschieden.

Ihre Pferde, die nur im Schritt oder höchstens im leichten Trab zu fahren gewohnt waren, hatten, von ihr mit athemloser Eile getrieben und gejagt, in tollem Rennen den Wagen an einem Steinpfeiler zerschellt. Therese, vom Wagen geschleudert, hatte wahrscheinlich schon im ersten Augenblicke sich tödtlich verletzt, indem sie mit dem Kopfe aufschlug, denn an demselben befand sich eine breite Wunde, aus der ein Strom von Blut gequollen war. Die Pferde, ganz scheu geworden, waren mit den Trümmern des Wagens weiter gerannt, und erst lange, nachdem man sie ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <p><pb facs="#f0065"/>
Saales auf, in dem er, wie ihm eine Ahnung sagte, die todte Märtyrerin      finden werde.</p><lb/>
        <p>Sie lag wirklich da! Auf das Gastbett hatte man sie getragen, und die Tochter des Wirthes war      beschäftigt, das Blut von dem schönen leblosen Gesicht zu waschen.</p><lb/>
        <p>Laut weinend stürzte Bernhard zur Seite des Bettes nieder.</p><lb/>
        <p>Therese, Therese, verzeihe mir! Nur noch einmal schlage deine süßen blauen Augen auf, um mir      zu sagen, daß du mir nicht grollst, daß ich in frevlem Starrsinn dich mit deinem armen Herzen      so allein gelassen! Therese, o Therese!</p><lb/>
        <p>Aber sie schlug die Augen nicht mehr auf, nur ein unbeschreiblicher Zug um den Mund deutete      an, daß sie trotz ihrem entsetzlichen Tode schmerzlos geschieden.</p><lb/>
        <p>Ihre Pferde, die nur im Schritt oder höchstens im leichten Trab zu fahren gewohnt waren,      hatten, von ihr mit athemloser Eile getrieben und gejagt, in tollem Rennen den Wagen an einem      Steinpfeiler zerschellt. Therese, vom Wagen geschleudert, hatte wahrscheinlich schon im ersten      Augenblicke sich tödtlich verletzt, indem sie mit dem Kopfe aufschlug, denn an demselben befand      sich eine breite Wunde, aus der ein Strom von Blut gequollen war. Die Pferde, ganz scheu      geworden, waren mit den Trümmern des Wagens weiter gerannt, und erst lange, nachdem man sie      ein-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] Saales auf, in dem er, wie ihm eine Ahnung sagte, die todte Märtyrerin finden werde. Sie lag wirklich da! Auf das Gastbett hatte man sie getragen, und die Tochter des Wirthes war beschäftigt, das Blut von dem schönen leblosen Gesicht zu waschen. Laut weinend stürzte Bernhard zur Seite des Bettes nieder. Therese, Therese, verzeihe mir! Nur noch einmal schlage deine süßen blauen Augen auf, um mir zu sagen, daß du mir nicht grollst, daß ich in frevlem Starrsinn dich mit deinem armen Herzen so allein gelassen! Therese, o Therese! Aber sie schlug die Augen nicht mehr auf, nur ein unbeschreiblicher Zug um den Mund deutete an, daß sie trotz ihrem entsetzlichen Tode schmerzlos geschieden. Ihre Pferde, die nur im Schritt oder höchstens im leichten Trab zu fahren gewohnt waren, hatten, von ihr mit athemloser Eile getrieben und gejagt, in tollem Rennen den Wagen an einem Steinpfeiler zerschellt. Therese, vom Wagen geschleudert, hatte wahrscheinlich schon im ersten Augenblicke sich tödtlich verletzt, indem sie mit dem Kopfe aufschlug, denn an demselben befand sich eine breite Wunde, aus der ein Strom von Blut gequollen war. Die Pferde, ganz scheu geworden, waren mit den Trümmern des Wagens weiter gerannt, und erst lange, nachdem man sie ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/65
Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/65>, abgerufen am 04.05.2024.