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Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Was willst du, Artmann?

Mein Kind! sagte Bernhard drohend.

Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen, stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von sich und rief:

Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren!

Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem Schutze ist es sicher.

Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter:

Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund, wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.

Was willst du, Artmann?

Mein Kind! sagte Bernhard drohend.

Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen, stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von sich und rief:

Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren!

Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem Schutze ist es sicher.

Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter:

Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund, wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.

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[0067] Was willst du, Artmann? Mein Kind! sagte Bernhard drohend. Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen, stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von sich und rief: Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren! Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem Schutze ist es sicher. Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter: Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund, wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/67>, abgerufen am 03.05.2024.