Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Was willst du, Artmann?

Mein Kind! sagte Bernhard drohend.

Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen, stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von sich und rief:

Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren!

Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem Schutze ist es sicher.

Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter:

Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund, wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.

Was willst du, Artmann?

Mein Kind! sagte Bernhard drohend.

Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen, stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von sich und rief:

Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren!

Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem Schutze ist es sicher.

Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter:

Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund, wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="7">
        <pb facs="#f0067"/>
        <p>Was willst du, Artmann?</p><lb/>
        <p>Mein Kind! sagte Bernhard drohend.</p><lb/>
        <p>Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die      Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die      erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber      auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen,      stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von      sich und rief:</p><lb/>
        <p>Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren!</p><lb/>
        <p>Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem      Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte      dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem      Schutze ist es sicher.</p><lb/>
        <p>Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und      es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen      entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter:</p><lb/>
        <p>Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund,      wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] Was willst du, Artmann? Mein Kind! sagte Bernhard drohend. Der Graf wandte mit wiedereroberter Fassung sich um und bedeutete durch einen Wink die Gräfin, sich zu entfernen. Bernhard sah mit verschränkten Armen ruhig zu, wie sich die erschrockene Frau erhob und sich von einem der Bedienten ihre Mantille umhängen ließ; als aber auf ihren Befehl einer der Bedienten das Kind vom Stuhle nehmen wollte, um es ihr nachzutragen, stürzte Bernhard wie rasend hinzu, faßte den Lakaien an der Brust, schleuderte ihn weit von sich und rief: Wer das Kind wegbringen will, den erwürge ich. Niemand soll mehr mein Kind anrühren! Der Graf blickte nach seiner Frau, die noch immer zitternd dastand, und indem er mit dem Finger auf die Stirn deutete, gab er ihr ein Zeichen, daß Bernhard verrückt geworden, und sagte dann: Geh, Agnes, ich will allein mit Artmann reden, und lasse nur das Kind, hier unter meinem Schutze ist es sicher. Nur widerstrebend gehorchte die bebende Frau, weil sie Bernhard wirklich für wahnsinnig und es für heilige Pflicht hielt, ihre Gesundheit selbst zu schonen, da sie neuen Mutterhoffnungen entgegenging. Als sie draußen war, sagte der Graf zu seinem Pachter: Geh jetzt nach Hause, Bernhard, denn es würde mir leid thun, gegen einen alten Jugendfreund, wie du bist, meinen Leuten zu befehlen, Gewalt zu gebrauchen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T15:13:13Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T15:13:13Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/67
Zitationshilfe: Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gall_luege_1910/67>, abgerufen am 23.11.2024.