Gall, Luise von: Eine fromme Lüge. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 105–175. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Wie geht es der Gräfin? frug nun Bernhard, um nur etwas Anderes zu sprechen. O schlecht! Das Kind soll ein großer starker Junge sein, aber die Gräfin ist so schwach, sie konnte ja immer kaum auf den Füßen stehen, und obgleich sie die Nase hoch genug trägt, kann sie doch den Kopf nicht aufrecht halten, antwortete der Bediente und belachte seinen eigenen Witz. Bernhard befahl dem aus dem Stall zurückkehrenden Knecht, dem Reitknecht ein Glas Bier zu reichen, und kehrte an das Bett seiner Frau zurück, um ihr von seiner neuen Würde und von seiner morgenden kleinen Reise zu erzählen. Therese nahm, wie alle lebhaften und gutmüthigen Frauen, nur die heitere Seite der Sache auf und freute sich; sie sah im Antrage des Grafen eine besondere Zuneigung zu ihrem Manne und zog hundert günstige Schlüsse für ihre beiderseitige Zukunft daraus. Bernhard ließ sie sprechen; als sie aber fertig war, sagte er ruhig: Daß er mich zum Pathen gewählt hat, ist nichts als eine Buße, mit der er den Himmel zu bethören meint. Ich verstehe dich nicht, frug verwundert die Frau. Wenn ich noch Student in Berlin wäre, würde ich dir die Sache erklären, indem ich sagte: diese Pathenschaft ist der Ring, den Polykrates ins Meer warf, um die Götter mit seinem Glücke zu versöhnen. Wie geht es der Gräfin? frug nun Bernhard, um nur etwas Anderes zu sprechen. O schlecht! Das Kind soll ein großer starker Junge sein, aber die Gräfin ist so schwach, sie konnte ja immer kaum auf den Füßen stehen, und obgleich sie die Nase hoch genug trägt, kann sie doch den Kopf nicht aufrecht halten, antwortete der Bediente und belachte seinen eigenen Witz. Bernhard befahl dem aus dem Stall zurückkehrenden Knecht, dem Reitknecht ein Glas Bier zu reichen, und kehrte an das Bett seiner Frau zurück, um ihr von seiner neuen Würde und von seiner morgenden kleinen Reise zu erzählen. Therese nahm, wie alle lebhaften und gutmüthigen Frauen, nur die heitere Seite der Sache auf und freute sich; sie sah im Antrage des Grafen eine besondere Zuneigung zu ihrem Manne und zog hundert günstige Schlüsse für ihre beiderseitige Zukunft daraus. Bernhard ließ sie sprechen; als sie aber fertig war, sagte er ruhig: Daß er mich zum Pathen gewählt hat, ist nichts als eine Buße, mit der er den Himmel zu bethören meint. Ich verstehe dich nicht, frug verwundert die Frau. Wenn ich noch Student in Berlin wäre, würde ich dir die Sache erklären, indem ich sagte: diese Pathenschaft ist der Ring, den Polykrates ins Meer warf, um die Götter mit seinem Glücke zu versöhnen. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <pb facs="#f0015"/> <p>Wie geht es der Gräfin? frug nun Bernhard, um nur etwas Anderes zu sprechen.</p><lb/> <p>O schlecht! Das Kind soll ein großer starker Junge sein, aber die Gräfin ist so schwach, sie konnte ja immer kaum auf den Füßen stehen, und obgleich sie die Nase hoch genug trägt, kann sie doch den Kopf nicht aufrecht halten, antwortete der Bediente und belachte seinen eigenen Witz.</p><lb/> <p>Bernhard befahl dem aus dem Stall zurückkehrenden Knecht, dem Reitknecht ein Glas Bier zu reichen, und kehrte an das Bett seiner Frau zurück, um ihr von seiner neuen Würde und von seiner morgenden kleinen Reise zu erzählen.</p><lb/> <p>Therese nahm, wie alle lebhaften und gutmüthigen Frauen, nur die heitere Seite der Sache auf und freute sich; sie sah im Antrage des Grafen eine besondere Zuneigung zu ihrem Manne und zog hundert günstige Schlüsse für ihre beiderseitige Zukunft daraus.</p><lb/> <p>Bernhard ließ sie sprechen; als sie aber fertig war, sagte er ruhig: Daß er mich zum Pathen gewählt hat, ist nichts als eine Buße, mit der er den Himmel zu bethören meint.</p><lb/> <p>Ich verstehe dich nicht, frug verwundert die Frau.</p><lb/> <p>Wenn ich noch Student in Berlin wäre, würde ich dir die Sache erklären, indem ich sagte: diese Pathenschaft ist der Ring, den Polykrates ins Meer warf, um die Götter mit seinem Glücke zu versöhnen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Wie geht es der Gräfin? frug nun Bernhard, um nur etwas Anderes zu sprechen.
O schlecht! Das Kind soll ein großer starker Junge sein, aber die Gräfin ist so schwach, sie konnte ja immer kaum auf den Füßen stehen, und obgleich sie die Nase hoch genug trägt, kann sie doch den Kopf nicht aufrecht halten, antwortete der Bediente und belachte seinen eigenen Witz.
Bernhard befahl dem aus dem Stall zurückkehrenden Knecht, dem Reitknecht ein Glas Bier zu reichen, und kehrte an das Bett seiner Frau zurück, um ihr von seiner neuen Würde und von seiner morgenden kleinen Reise zu erzählen.
Therese nahm, wie alle lebhaften und gutmüthigen Frauen, nur die heitere Seite der Sache auf und freute sich; sie sah im Antrage des Grafen eine besondere Zuneigung zu ihrem Manne und zog hundert günstige Schlüsse für ihre beiderseitige Zukunft daraus.
Bernhard ließ sie sprechen; als sie aber fertig war, sagte er ruhig: Daß er mich zum Pathen gewählt hat, ist nichts als eine Buße, mit der er den Himmel zu bethören meint.
Ich verstehe dich nicht, frug verwundert die Frau.
Wenn ich noch Student in Berlin wäre, würde ich dir die Sache erklären, indem ich sagte: diese Pathenschaft ist der Ring, den Polykrates ins Meer warf, um die Götter mit seinem Glücke zu versöhnen.
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