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Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865.

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allgemein als einzig in ihrer Art bezeichnet, und imponirten
den Anhängern der Umbildungstheorie in dem Maße, daß
sich einzelne versucht fühlten, in dem Neanderthalmenschen
eine Uebergangsform aus dem Affen in den Menschen, gleich-
sam einen zweiten Gorilla, kurz, den Repräsentanten eines
erloschenen Geschlechts zu erkennen, das im unmittelbaren
Uebergange die Thierwelt mit der Menschenwelt verbinde.

Fragt man, ob mit Ansichten und Aussprüchen dieser
Art die oben erwähnte Abstammung des Menschen von dem
Affen factisch erwiesen sei, so bemerke ich zunächst, daß die
Vertreter derselben den Neanderthaler Fund wohl nicht so
eilig und angelegentlich in dem angegebenen Sinne gedeu-
tet hätten, wenn nicht vor einigen Jahren -- 1859 -- der
berühmte englische Reisende und Naturforscher Charles
Darwin
die Fachgelehrten mit seiner Doctrin über "die
Entstehung der Species im Thier- und Pflanzenreiche durch
natürliche Züchtung" überrascht und dadurch der Theorie der
allmähligen Umbildung eine ebenso bedeutsame, wie neue
Stütze gegeben hätte. Die außerordentliche Verbreitung des
Darwin'schen Buches und die günstigen Urtheile, welche von
Sachverständigen über dasselbe veröffentlicht wurden, konnten
in den Augen der Meisten sein Ansehen und die Bedeutung
des neuen Lichtes nur erhöhen, das es über eines der wich-
tigsten und schwierigsten naturwissenschaftlichen Probleme zu
verbreiten schien. Liegt aber unter diesen Umständen, wo
Jedermann überrascht und Viele ob des immensen Fortschritts
freudig erregt waren, nicht die Vermuthung nahe, daß sich
auch Einzelne von dem neuen Lichte blenden ließen, und
indem sie demselben eine zu große Tragweite beimaßen, Er-
scheinungen in das Verhältniß von Ursache und Wirkung
brachten, die factisch vielleicht gar nicht im Zusammenhange
stehen? --

allgemein als einzig in ihrer Art bezeichnet, und imponirten
den Anhängern der Umbildungstheorie in dem Maße, daß
ſich einzelne verſucht fühlten, in dem Neanderthalmenſchen
eine Uebergangsform aus dem Affen in den Menſchen, gleich-
ſam einen zweiten Gorilla, kurz, den Repräſentanten eines
erloſchenen Geſchlechts zu erkennen, das im unmittelbaren
Uebergange die Thierwelt mit der Menſchenwelt verbinde.

Fragt man, ob mit Anſichten und Ausſprüchen dieſer
Art die oben erwähnte Abſtammung des Menſchen von dem
Affen factiſch erwieſen ſei, ſo bemerke ich zunächſt, daß die
Vertreter derſelben den Neanderthaler Fund wohl nicht ſo
eilig und angelegentlich in dem angegebenen Sinne gedeu-
tet hätten, wenn nicht vor einigen Jahren — 1859 — der
berühmte engliſche Reiſende und Naturforſcher Charles
Darwin
die Fachgelehrten mit ſeiner Doctrin über „die
Entſtehung der Species im Thier- und Pflanzenreiche durch
natürliche Züchtung“ überraſcht und dadurch der Theorie der
allmähligen Umbildung eine ebenſo bedeutſame, wie neue
Stütze gegeben hätte. Die außerordentliche Verbreitung des
Darwin'ſchen Buches und die günſtigen Urtheile, welche von
Sachverſtändigen über daſſelbe veröffentlicht wurden, konnten
in den Augen der Meiſten ſein Anſehen und die Bedeutung
des neuen Lichtes nur erhöhen, das es über eines der wich-
tigſten und ſchwierigſten naturwiſſenſchaftlichen Probleme zu
verbreiten ſchien. Liegt aber unter dieſen Umſtänden, wo
Jedermann überraſcht und Viele ob des immenſen Fortſchritts
freudig erregt waren, nicht die Vermuthung nahe, daß ſich
auch Einzelne von dem neuen Lichte blenden ließen, und
indem ſie demſelben eine zu große Tragweite beimaßen, Er-
ſcheinungen in das Verhältniß von Urſache und Wirkung
brachten, die factiſch vielleicht gar nicht im Zuſammenhange
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[22/0026] allgemein als einzig in ihrer Art bezeichnet, und imponirten den Anhängern der Umbildungstheorie in dem Maße, daß ſich einzelne verſucht fühlten, in dem Neanderthalmenſchen eine Uebergangsform aus dem Affen in den Menſchen, gleich- ſam einen zweiten Gorilla, kurz, den Repräſentanten eines erloſchenen Geſchlechts zu erkennen, das im unmittelbaren Uebergange die Thierwelt mit der Menſchenwelt verbinde. Fragt man, ob mit Anſichten und Ausſprüchen dieſer Art die oben erwähnte Abſtammung des Menſchen von dem Affen factiſch erwieſen ſei, ſo bemerke ich zunächſt, daß die Vertreter derſelben den Neanderthaler Fund wohl nicht ſo eilig und angelegentlich in dem angegebenen Sinne gedeu- tet hätten, wenn nicht vor einigen Jahren — 1859 — der berühmte engliſche Reiſende und Naturforſcher Charles Darwin die Fachgelehrten mit ſeiner Doctrin über „die Entſtehung der Species im Thier- und Pflanzenreiche durch natürliche Züchtung“ überraſcht und dadurch der Theorie der allmähligen Umbildung eine ebenſo bedeutſame, wie neue Stütze gegeben hätte. Die außerordentliche Verbreitung des Darwin'ſchen Buches und die günſtigen Urtheile, welche von Sachverſtändigen über daſſelbe veröffentlicht wurden, konnten in den Augen der Meiſten ſein Anſehen und die Bedeutung des neuen Lichtes nur erhöhen, das es über eines der wich- tigſten und ſchwierigſten naturwiſſenſchaftlichen Probleme zu verbreiten ſchien. Liegt aber unter dieſen Umſtänden, wo Jedermann überraſcht und Viele ob des immenſen Fortſchritts freudig erregt waren, nicht die Vermuthung nahe, daß ſich auch Einzelne von dem neuen Lichte blenden ließen, und indem ſie demſelben eine zu große Tragweite beimaßen, Er- ſcheinungen in das Verhältniß von Urſache und Wirkung brachten, die factiſch vielleicht gar nicht im Zuſammenhange ſtehen? —

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Zitationshilfe: Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fuhlrott_neanderthaler_1865/26>, abgerufen am 19.04.2024.