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Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865.

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Versuche, wonach von sachkundigen Theologen und schriftge-
lehrten Geologen schon frühzeitig jene sechs Schöpfungstage
als ebenso viele Schöpfungsepochen gedeutet und diese von
einer Dauer gedacht wurden, daß die Erde in ihrem Bil-
dungsgange alle Stadien einer allmähligen Entwickelung
durchlaufen und schließlich zur Aufnahme, gleichsam zum wür-
digen Empfange des von allen Wesen zuletzt erschaffenen
Menschen vorbereitet sein konnte.

Da man auch auf diesem freieren Standpunkte an der
bekannten jüdischen Zeitrechnung festhielt, wonach seit dem
letzten Schöpfungstage ungefähr 6000 Jahre verflossen sein
sollen, in der Meinung, daß dieser Zeitraum zu allen den
großen Veränderungen hingereicht habe, von denen die Ober-
flächenbildung der Erde Zeugniß giebt, so vertraten diese 6000
Jahre das höchste Maß, welches man dem Alter des menschli-
chen Geschlechts einräumen konnte.

Jch kann hier nicht näher untersuchen, wie weit Die-
jenigen Recht haben, die auf Grund chronologischer Forschun-
gen mit Zuversicht behaupten, daß die jüdische Zeitrechnung
auf ganz unzuverlässigen Annahmen beruhe, und daß die
Schriften des Alten Testaments -- abgesehen davon, daß sie
kein Lehrbuch der Naturkunde sind und gewiß auch nicht
sein wollen, -- zu einer festen Zeitrechnung gar keine Grund-
lagen darbieten. Auch kann ich die Erklärungsversuche auf
sich beruhen lassen, welche die Anhänger des fraglichen Stand-
punktes unternommen haben, um die Wahrscheinlichkeit einer
Uebereinstimmung zwischen dem Zeitmaß von einigen Tau-
send Jahren einerseits und den Structurverhältnissen der
Erdoberfläche und ihren zahlreichen Schichtenbildungen an-
dererseits zu vermitteln. Die ausführlichste Kritik würde ja
die Thatsache nicht beseitigen, daß die Zweifel, die auf den
Gebieten der historischen und naturwissenschaftlichen Forschung

Verſuche, wonach von ſachkundigen Theologen und ſchriftge-
lehrten Geologen ſchon frühzeitig jene ſechs Schöpfungstage
als ebenſo viele Schöpfungsepochen gedeutet und dieſe von
einer Dauer gedacht wurden, daß die Erde in ihrem Bil-
dungsgange alle Stadien einer allmähligen Entwickelung
durchlaufen und ſchließlich zur Aufnahme, gleichſam zum wür-
digen Empfange des von allen Weſen zuletzt erſchaffenen
Menſchen vorbereitet ſein konnte.

Da man auch auf dieſem freieren Standpunkte an der
bekannten jüdiſchen Zeitrechnung feſthielt, wonach ſeit dem
letzten Schöpfungstage ungefähr 6000 Jahre verfloſſen ſein
ſollen, in der Meinung, daß dieſer Zeitraum zu allen den
großen Veränderungen hingereicht habe, von denen die Ober-
flächenbildung der Erde Zeugniß giebt, ſo vertraten dieſe 6000
Jahre das höchſte Maß, welches man dem Alter des menſchli-
chen Geſchlechts einräumen konnte.

Jch kann hier nicht näher unterſuchen, wie weit Die-
jenigen Recht haben, die auf Grund chronologiſcher Forſchun-
gen mit Zuverſicht behaupten, daß die jüdiſche Zeitrechnung
auf ganz unzuverläſſigen Annahmen beruhe, und daß die
Schriften des Alten Teſtaments — abgeſehen davon, daß ſie
kein Lehrbuch der Naturkunde ſind und gewiß auch nicht
ſein wollen, — zu einer feſten Zeitrechnung gar keine Grund-
lagen darbieten. Auch kann ich die Erklärungsverſuche auf
ſich beruhen laſſen, welche die Anhänger des fraglichen Stand-
punktes unternommen haben, um die Wahrſcheinlichkeit einer
Uebereinſtimmung zwiſchen dem Zeitmaß von einigen Tau-
ſend Jahren einerſeits und den Structurverhältniſſen der
Erdoberfläche und ihren zahlreichen Schichtenbildungen an-
dererſeits zu vermitteln. Die ausführlichſte Kritik würde ja
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[9/0013] Verſuche, wonach von ſachkundigen Theologen und ſchriftge- lehrten Geologen ſchon frühzeitig jene ſechs Schöpfungstage als ebenſo viele Schöpfungsepochen gedeutet und dieſe von einer Dauer gedacht wurden, daß die Erde in ihrem Bil- dungsgange alle Stadien einer allmähligen Entwickelung durchlaufen und ſchließlich zur Aufnahme, gleichſam zum wür- digen Empfange des von allen Weſen zuletzt erſchaffenen Menſchen vorbereitet ſein konnte. Da man auch auf dieſem freieren Standpunkte an der bekannten jüdiſchen Zeitrechnung feſthielt, wonach ſeit dem letzten Schöpfungstage ungefähr 6000 Jahre verfloſſen ſein ſollen, in der Meinung, daß dieſer Zeitraum zu allen den großen Veränderungen hingereicht habe, von denen die Ober- flächenbildung der Erde Zeugniß giebt, ſo vertraten dieſe 6000 Jahre das höchſte Maß, welches man dem Alter des menſchli- chen Geſchlechts einräumen konnte. Jch kann hier nicht näher unterſuchen, wie weit Die- jenigen Recht haben, die auf Grund chronologiſcher Forſchun- gen mit Zuverſicht behaupten, daß die jüdiſche Zeitrechnung auf ganz unzuverläſſigen Annahmen beruhe, und daß die Schriften des Alten Teſtaments — abgeſehen davon, daß ſie kein Lehrbuch der Naturkunde ſind und gewiß auch nicht ſein wollen, — zu einer feſten Zeitrechnung gar keine Grund- lagen darbieten. Auch kann ich die Erklärungsverſuche auf ſich beruhen laſſen, welche die Anhänger des fraglichen Stand- punktes unternommen haben, um die Wahrſcheinlichkeit einer Uebereinſtimmung zwiſchen dem Zeitmaß von einigen Tau- ſend Jahren einerſeits und den Structurverhältniſſen der Erdoberfläche und ihren zahlreichen Schichtenbildungen an- dererſeits zu vermitteln. Die ausführlichſte Kritik würde ja die Thatſache nicht beſeitigen, daß die Zweifel, die auf den Gebieten der hiſtoriſchen und naturwiſſenſchaftlichen Forſchung

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Zitationshilfe: Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fuhlrott_neanderthaler_1865/13>, abgerufen am 28.03.2024.