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Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865.

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gegen die Richtigkeit der obigen Zeitrechnung dann und wann
erhoben wurden, bis zur jüngsten Zeit auf gewisse Lebens-
kreise beschränkt geblieben sind, während das größere Publi-
cum, unberührt von diesen Zweifeln, auch in vorliegender
Frage jene Zuversicht zu der Autorität der Bibel bewahrt
hat, welche die Grundlage für unsere gesammte öffentliche
Erziehung abgiebt und bei welcher die Standpunkte, von denen
ich rede, so unzulänglich sie sein mögen, ebenso berechtigt
wie erklärlich erscheinen müssen.

Wenn nun, geehrte Anwesende, die moderne Wissen-
schaft Lehren verkündigt, die mit diesen Standpunkten im
Widerspruche stehen und dieselben unhaltbar erscheinen lassen,
so darf zur richtigen Würdigung dieser Thatsache vor Allem
nicht außer Acht gelassen werden, daß die Wissenschaft als
solche, unbekümmert um etwaige Conflicte mit irgend welchen
herkömmlichen Auffassungen, selbstständig ihre Wege wandelt
und überall nur die Wahrheit sucht. Man wird dann ein-
räumen, daß unter dieser Firma auch das Problem über
das Alter des menschlichen Geschlechts die unzweifelhafte Be-
rechtigung hat, in dem modernen Gewande aufzutreten, in
das die Natur- und Alterthumsforscher unserer Tage dasselbe
gekleidet haben. Jn diesem Gewande aber, wie wir sehen
werden, nimmt dasselbe für die Entwickelung der Erde d. h.
für den Bildungsgang ihrer Oberfläche nicht Tausende, son-
dern Millionen von Jahren in Anspruch; auch berech-
net es die Zeit, welche seit dem Erscheinen des Menschen
auf der Erde verflossen ist, auf mindestens 100,000 Jahre.
Jn dem großartigen Schöpfungsdrama, das sich nun vor
uns entrollt und sich nach Maßgabe geologischer That-
sachen muß vollzogen haben, kann also die Dauer der jüdi-
schen Zeitrechnung nur die Bedeutung eines winzigen Mo-
ments behalten.

gegen die Richtigkeit der obigen Zeitrechnung dann und wann
erhoben wurden, bis zur jüngſten Zeit auf gewiſſe Lebens-
kreiſe beſchränkt geblieben ſind, während das größere Publi-
cum, unberührt von dieſen Zweifeln, auch in vorliegender
Frage jene Zuverſicht zu der Autorität der Bibel bewahrt
hat, welche die Grundlage für unſere geſammte öffentliche
Erziehung abgiebt und bei welcher die Standpunkte, von denen
ich rede, ſo unzulänglich ſie ſein mögen, ebenſo berechtigt
wie erklärlich erſcheinen müſſen.

Wenn nun, geehrte Anweſende, die moderne Wiſſen-
ſchaft Lehren verkündigt, die mit dieſen Standpunkten im
Widerſpruche ſtehen und dieſelben unhaltbar erſcheinen laſſen,
ſo darf zur richtigen Würdigung dieſer Thatſache vor Allem
nicht außer Acht gelaſſen werden, daß die Wiſſenſchaft als
ſolche, unbekümmert um etwaige Conflicte mit irgend welchen
herkömmlichen Auffaſſungen, ſelbſtſtändig ihre Wege wandelt
und überall nur die Wahrheit ſucht. Man wird dann ein-
räumen, daß unter dieſer Firma auch das Problem über
das Alter des menſchlichen Geſchlechts die unzweifelhafte Be-
rechtigung hat, in dem modernen Gewande aufzutreten, in
das die Natur- und Alterthumsforſcher unſerer Tage daſſelbe
gekleidet haben. Jn dieſem Gewande aber, wie wir ſehen
werden, nimmt daſſelbe für die Entwickelung der Erde d. h.
für den Bildungsgang ihrer Oberfläche nicht Tauſende, ſon-
dern Millionen von Jahren in Anſpruch; auch berech-
net es die Zeit, welche ſeit dem Erſcheinen des Menſchen
auf der Erde verfloſſen iſt, auf mindeſtens 100,000 Jahre.
Jn dem großartigen Schöpfungsdrama, das ſich nun vor
uns entrollt und ſich nach Maßgabe geologiſcher That-
ſachen muß vollzogen haben, kann alſo die Dauer der jüdi-
ſchen Zeitrechnung nur die Bedeutung eines winzigen Mo-
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[10/0014] gegen die Richtigkeit der obigen Zeitrechnung dann und wann erhoben wurden, bis zur jüngſten Zeit auf gewiſſe Lebens- kreiſe beſchränkt geblieben ſind, während das größere Publi- cum, unberührt von dieſen Zweifeln, auch in vorliegender Frage jene Zuverſicht zu der Autorität der Bibel bewahrt hat, welche die Grundlage für unſere geſammte öffentliche Erziehung abgiebt und bei welcher die Standpunkte, von denen ich rede, ſo unzulänglich ſie ſein mögen, ebenſo berechtigt wie erklärlich erſcheinen müſſen. Wenn nun, geehrte Anweſende, die moderne Wiſſen- ſchaft Lehren verkündigt, die mit dieſen Standpunkten im Widerſpruche ſtehen und dieſelben unhaltbar erſcheinen laſſen, ſo darf zur richtigen Würdigung dieſer Thatſache vor Allem nicht außer Acht gelaſſen werden, daß die Wiſſenſchaft als ſolche, unbekümmert um etwaige Conflicte mit irgend welchen herkömmlichen Auffaſſungen, ſelbſtſtändig ihre Wege wandelt und überall nur die Wahrheit ſucht. Man wird dann ein- räumen, daß unter dieſer Firma auch das Problem über das Alter des menſchlichen Geſchlechts die unzweifelhafte Be- rechtigung hat, in dem modernen Gewande aufzutreten, in das die Natur- und Alterthumsforſcher unſerer Tage daſſelbe gekleidet haben. Jn dieſem Gewande aber, wie wir ſehen werden, nimmt daſſelbe für die Entwickelung der Erde d. h. für den Bildungsgang ihrer Oberfläche nicht Tauſende, ſon- dern Millionen von Jahren in Anſpruch; auch berech- net es die Zeit, welche ſeit dem Erſcheinen des Menſchen auf der Erde verfloſſen iſt, auf mindeſtens 100,000 Jahre. Jn dem großartigen Schöpfungsdrama, das ſich nun vor uns entrollt und ſich nach Maßgabe geologiſcher That- ſachen muß vollzogen haben, kann alſo die Dauer der jüdi- ſchen Zeitrechnung nur die Bedeutung eines winzigen Mo- ments behalten.

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Zitationshilfe: Fuhlrott, Carl: Der fossile Mensch aus dem Neanderthal und sein Verhältniß zum Alter des Menschengeschlechts. Duisburg, 1865, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fuhlrott_neanderthaler_1865/14>, abgerufen am 28.03.2024.