an seine Lippen. Du sollst mich begleiten, und mich stärken, rief er, wenn die Niedergeschlagen- heit zu mächtig werden will! Guter William, sagte ich, und meine Thränen flossen stärker, ich wünschte, ich könnte ihnen mehr geben. Sie wünschen es, und können nicht? sagte er erblas- send. Jetzt noch nicht. Wann aber? Wenn wir beide unsre Reise beendigt haben. Was kann da verändert seyn? Viel, o viel, lieber William! Das Leben steht ja nie still, und in vier, fünf Monden, verändert sich die Erde so sehr. Auch das Herz? auch das Herz, Virginia? rief er heftig. O welche Aussicht eröffnen sie mir! Sie kennen die seltsame Lage meines Herzens, sagte ich, ich habe ihnen niemahls meine Gefühle verhehlt, und auch jetzt mag ich ihnen, einen fast mir selbst lächerlichen Gedanken nicht bergen. Es scheint mir nämlich, als könne nur am Fall des Niagara der Zwiespalt sich lö- sen, welcher in meiner Seele sich erhoben hat, seit ich unter ihrem Schutze lebe. Ach es ist nur der Wunsch nach weiter Entfernung von mir, sagte er, mit traurigem Kopfschütteln. Nein, nein! rief ich, ich verlasse sie mit Schmerz, aber ein
an ſeine Lippen. Du ſollſt mich begleiten, und mich ſtaͤrken, rief er, wenn die Niedergeſchlagen- heit zu maͤchtig werden will! Guter William, ſagte ich, und meine Thraͤnen floſſen ſtaͤrker, ich wuͤnſchte, ich koͤnnte ihnen mehr geben. Sie wuͤnſchen es, und koͤnnen nicht? ſagte er erblaſ- ſend. Jetzt noch nicht. Wann aber? Wenn wir beide unſre Reiſe beendigt haben. Was kann da veraͤndert ſeyn? Viel, o viel, lieber William! Das Leben ſteht ja nie ſtill, und in vier, fuͤnf Monden, veraͤndert ſich die Erde ſo ſehr. Auch das Herz? auch das Herz, Virginia? rief er heftig. O welche Ausſicht eroͤffnen ſie mir! Sie kennen die ſeltſame Lage meines Herzens, ſagte ich, ich habe ihnen niemahls meine Gefuͤhle verhehlt, und auch jetzt mag ich ihnen, einen faſt mir ſelbſt laͤcherlichen Gedanken nicht bergen. Es ſcheint mir naͤmlich, als koͤnne nur am Fall des Niagara der Zwieſpalt ſich loͤ- ſen, welcher in meiner Seele ſich erhoben hat, ſeit ich unter ihrem Schutze lebe. Ach es iſt nur der Wunſch nach weiter Entfernung von mir, ſagte er, mit traurigem Kopfſchuͤtteln. Nein, nein! rief ich, ich verlaſſe ſie mit Schmerz, aber ein
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an ſeine Lippen. Du ſollſt mich begleiten, und
mich ſtaͤrken, rief er, wenn die Niedergeſchlagen-
heit zu maͤchtig werden will! Guter William,
ſagte ich, und meine Thraͤnen floſſen ſtaͤrker, ich
wuͤnſchte, ich koͤnnte ihnen mehr geben. Sie
wuͤnſchen es, und koͤnnen nicht? ſagte er erblaſ-
ſend. Jetzt noch nicht. Wann aber? Wenn
wir beide unſre Reiſe beendigt haben. Was
kann da veraͤndert ſeyn? Viel, o viel, lieber
William! Das Leben ſteht ja nie ſtill, und in
vier, fuͤnf Monden, veraͤndert ſich die Erde ſo
ſehr. Auch das Herz? auch das Herz, Virginia?
rief er heftig. O welche Ausſicht eroͤffnen ſie
mir! Sie kennen die ſeltſame Lage meines
Herzens, ſagte ich, ich habe ihnen niemahls
meine Gefuͤhle verhehlt, und auch jetzt mag ich
ihnen, einen faſt mir ſelbſt laͤcherlichen Gedanken
nicht bergen. Es ſcheint mir naͤmlich, als koͤnne
nur am Fall des Niagara der Zwieſpalt ſich loͤ-
ſen, welcher in meiner Seele ſich erhoben hat, ſeit
ich unter ihrem Schutze lebe. Ach es iſt nur
der Wunſch nach weiter Entfernung von mir,
ſagte er, mit traurigem Kopfſchuͤtteln. Nein, nein!
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 2. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia02_1820/32>, abgerufen am 27.07.2024.
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