provenzalischen Mädchen. Der kalte, englische Ernst hatte in Dir die französische Lebhaftig- keit zur sanftesten, einnehmendsten Heiterkeit gemäßigt. Uns allen kamst Du vor, wie ein Engel auf einem Gemählde. Deiner Seits fan- dest Du wieder die höchste Freude an unserm südlichen Leben, Dir war wie den Kindern seyn mag, welche man lange gewickelt, und denen man nun auf ein Mal ihre Bande löst. Dir schienen, wie Deine Mutter sich ausdruckte, Flügel ge- wachsen zu seyn. Hättest Du doch immer bei uns bleiben können! Aber so waren es nur drei kurze Jahre, welche wir vereint blieben, unzertrennlich diese ganze Zeit über. Deine Mutter ging nach Paris und knüpfte dort, nach dem Willen Deines Vaters, viele ihrer alten Bekanntschaften wieder an; Du bliebst unterdessen in unserm Hause, wo Du ganz als zweite Tochter behandelt und geliebt wur- dest. Du hast es kennen gelernt unser glückli- ches Haus; Dir brauche ich es nicht zu wie- derholen, wie Liebe und Zufriedenheit darin herrschten. Du kennst des Vaters freundlichen Ernst, seine belehrenden Gespräche, seine launi-
provenzaliſchen Maͤdchen. Der kalte, engliſche Ernſt hatte in Dir die franzoͤſiſche Lebhaftig- keit zur ſanfteſten, einnehmendſten Heiterkeit gemaͤßigt. Uns allen kamſt Du vor, wie ein Engel auf einem Gemaͤhlde. Deiner Seits fan- deſt Du wieder die hoͤchſte Freude an unſerm ſuͤdlichen Leben, Dir war wie den Kindern ſeyn mag, welche man lange gewickelt, und denen man nun auf ein Mal ihre Bande loͤſt. Dir ſchienen, wie Deine Mutter ſich ausdruckte, Fluͤgel ge- wachſen zu ſeyn. Haͤtteſt Du doch immer bei uns bleiben koͤnnen! Aber ſo waren es nur drei kurze Jahre, welche wir vereint blieben, unzertrennlich dieſe ganze Zeit uͤber. Deine Mutter ging nach Paris und knuͤpfte dort, nach dem Willen Deines Vaters, viele ihrer alten Bekanntſchaften wieder an; Du bliebſt unterdeſſen in unſerm Hauſe, wo Du ganz als zweite Tochter behandelt und geliebt wur- deſt. Du haſt es kennen gelernt unſer gluͤckli- ches Haus; Dir brauche ich es nicht zu wie- derholen, wie Liebe und Zufriedenheit darin herrſchten. Du kennſt des Vaters freundlichen Ernſt, ſeine belehrenden Geſpraͤche, ſeine launi-
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provenzaliſchen Maͤdchen. Der kalte, engliſche
Ernſt hatte in Dir die franzoͤſiſche Lebhaftig-
keit zur ſanfteſten, einnehmendſten Heiterkeit
gemaͤßigt. Uns allen kamſt Du vor, wie ein
Engel auf einem Gemaͤhlde. Deiner Seits fan-
deſt Du wieder die hoͤchſte Freude an unſerm
ſuͤdlichen Leben, Dir war wie den Kindern ſeyn
mag, welche man lange gewickelt, und denen man
nun auf ein Mal ihre Bande loͤſt. Dir ſchienen,
wie Deine Mutter ſich ausdruckte, Fluͤgel ge-
wachſen zu ſeyn. Haͤtteſt Du doch immer bei
uns bleiben koͤnnen! Aber ſo waren es nur
drei kurze Jahre, welche wir vereint blieben,
unzertrennlich dieſe ganze Zeit uͤber. Deine
Mutter ging nach Paris und knuͤpfte dort,
nach dem Willen Deines Vaters, viele ihrer
alten Bekanntſchaften wieder an; Du bliebſt
unterdeſſen in unſerm Hauſe, wo Du ganz
als zweite Tochter behandelt und geliebt wur-
deſt. Du haſt es kennen gelernt unſer gluͤckli-
ches Haus; Dir brauche ich es nicht zu wie-
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herrſchten. Du kennſt des Vaters freundlichen
Ernſt, ſeine belehrenden Geſpraͤche, ſeine launi-
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/98>, abgerufen am 27.07.2024.
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