dischen Sinn, und zeigte auf das Bild, "die Frau da weint nicht, daß der Vater seine Pflicht thun muß. Sie hält ihn nicht, Virginia darf ihn auch nicht halten." Römermädchen! rief mein Vater, und riß mich in seinen Arm. Aber ein verzweiflungsvoller Blick meiner Mutter fiel auf mich, und in demselben Augenblick sank sie leb- los zu Boden. Jch stürzte mich mit Geschrei und Thränen über sie hin. Mein Vater hob sie in seine Arme, sie wurde zu Bett gebracht, und ein heftiges Fieber kündigte sich mit den bedenk- lichsten Zeichen an. Jhre Krankheit dauerte lange, und sie wurde nur dadurch am Leben erhalten, daß mein Vater ihr das feierliche Ver- sprechen ablegte, sie niemals zu verlassen. Mei- nem Vater mußte es schwer geworden seyn, sein Pflichtgefühl, im Kampf mit der Liebe, zum Schweigen zu bringen. Manche seiner spätern unfreiwilligen Aeußerungen deuteten darauf. Doch nahm er sich sehr in Acht, meine Mutter das mindeste davon merken zu lassen. Ueber Ge- fühle dieser Art war ich in der Folge seine ein- zige Vertraute. Jn dem Herzen meiner Mut- ter schien sich, durch diesen Vorfall, eine leise
diſchen Sinn, und zeigte auf das Bild, „die Frau da weint nicht, daß der Vater ſeine Pflicht thun muß. Sie haͤlt ihn nicht, Virginia darf ihn auch nicht halten.‟ Roͤmermaͤdchen! rief mein Vater, und riß mich in ſeinen Arm. Aber ein verzweiflungsvoller Blick meiner Mutter fiel auf mich, und in demſelben Augenblick ſank ſie leb- los zu Boden. Jch ſtuͤrzte mich mit Geſchrei und Thraͤnen uͤber ſie hin. Mein Vater hob ſie in ſeine Arme, ſie wurde zu Bett gebracht, und ein heftiges Fieber kuͤndigte ſich mit den bedenk- lichſten Zeichen an. Jhre Krankheit dauerte lange, und ſie wurde nur dadurch am Leben erhalten, daß mein Vater ihr das feierliche Ver- ſprechen ablegte, ſie niemals zu verlaſſen. Mei- nem Vater mußte es ſchwer geworden ſeyn, ſein Pflichtgefuͤhl, im Kampf mit der Liebe, zum Schweigen zu bringen. Manche ſeiner ſpaͤtern unfreiwilligen Aeußerungen deuteten darauf. Doch nahm er ſich ſehr in Acht, meine Mutter das mindeſte davon merken zu laſſen. Ueber Ge- fuͤhle dieſer Art war ich in der Folge ſeine ein- zige Vertraute. Jn dem Herzen meiner Mut- ter ſchien ſich, durch dieſen Vorfall, eine leiſe
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diſchen Sinn, und zeigte auf das Bild, „die
Frau da weint nicht, daß der Vater ſeine Pflicht
thun muß. Sie haͤlt ihn nicht, Virginia darf
ihn auch nicht halten.‟ Roͤmermaͤdchen! rief
mein Vater, und riß mich in ſeinen Arm. Aber
ein verzweiflungsvoller Blick meiner Mutter fiel
auf mich, und in demſelben Augenblick ſank ſie leb-
los zu Boden. Jch ſtuͤrzte mich mit Geſchrei und
Thraͤnen uͤber ſie hin. Mein Vater hob ſie in
ſeine Arme, ſie wurde zu Bett gebracht, und
ein heftiges Fieber kuͤndigte ſich mit den bedenk-
lichſten Zeichen an. Jhre Krankheit dauerte
lange, und ſie wurde nur dadurch am Leben
erhalten, daß mein Vater ihr das feierliche Ver-
ſprechen ablegte, ſie niemals zu verlaſſen. Mei-
nem Vater mußte es ſchwer geworden ſeyn,
ſein Pflichtgefuͤhl, im Kampf mit der Liebe, zum
Schweigen zu bringen. Manche ſeiner ſpaͤtern
unfreiwilligen Aeußerungen deuteten darauf. Doch
nahm er ſich ſehr in Acht, meine Mutter das
mindeſte davon merken zu laſſen. Ueber Ge-
fuͤhle dieſer Art war ich in der Folge ſeine ein-
zige Vertraute. Jn dem Herzen meiner Mut-
ter ſchien ſich, durch dieſen Vorfall, eine leiſe
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/68>, abgerufen am 27.07.2024.
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