Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

und schauete nach ihm auf. Zwei große schwere
Thränen hingen in seinen Augen. "Sie thaten
nur ihre Pflicht!" sagte er, und fuhr mit der
Hand über die Thränen, lächelte mich an, und
wiederholte: "sie thaten was sie mußten!" Da
kam meine Mutter herein, Emil auf dem Arme.
Sie war sehr bleich, und hatte geweint. Schwei-
gend zog sie den Gatten zum Sopha, setzte das
Kind auf seinen Schoß, und sich neben ihn.
Sie umschlang ihn, weinte heftig, und rief end-
lich im Ton der Verzweiflung: "diesen hülflosen
Kleinen könntest Du verlassen? mich? mich?"
und sank an seine Schulter. Mein Vater um-
faßte sie mit Zärtlichkeit, redete ihr zu, sprach
viel von Pflicht und Nothwendigkeit. Der
Knabe lächelte unbefangen drein, und spielte
mit des Vaters Locken. Mich mochte die Grup-
pe, an das Bild von Hektors Abschied erinnern,
ich schlug es auf, und sah ernsthaft, bald auf
Hektor, bald auf den Vater. Endlich richtete
sich meine Mutter wieder auf, und blickte mich
an. Virginia! rief sie, umarme die Knie dei-
nes Vaters! flehe ihn, daß er uns nicht verlasse!
"Die Frau da," antwortete ich in meinem kin-

und ſchauete nach ihm auf. Zwei große ſchwere
Thraͤnen hingen in ſeinen Augen. „Sie thaten
nur ihre Pflicht!‟ ſagte er, und fuhr mit der
Hand uͤber die Thraͤnen, laͤchelte mich an, und
wiederholte: „ſie thaten was ſie mußten!‟ Da
kam meine Mutter herein, Emil auf dem Arme.
Sie war ſehr bleich, und hatte geweint. Schwei-
gend zog ſie den Gatten zum Sopha, ſetzte das
Kind auf ſeinen Schoß, und ſich neben ihn.
Sie umſchlang ihn, weinte heftig, und rief end-
lich im Ton der Verzweiflung: „dieſen huͤlfloſen
Kleinen koͤnnteſt Du verlaſſen? mich? mich?‟
und ſank an ſeine Schulter. Mein Vater um-
faßte ſie mit Zaͤrtlichkeit, redete ihr zu, ſprach
viel von Pflicht und Nothwendigkeit. Der
Knabe laͤchelte unbefangen drein, und ſpielte
mit des Vaters Locken. Mich mochte die Grup-
pe, an das Bild von Hektors Abſchied erinnern,
ich ſchlug es auf, und ſah ernſthaft, bald auf
Hektor, bald auf den Vater. Endlich richtete
ſich meine Mutter wieder auf, und blickte mich
an. Virginia! rief ſie, umarme die Knie dei-
nes Vaters! flehe ihn, daß er uns nicht verlaſſe!
„Die Frau da,‟ antwortete ich in meinem kin-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0067" n="57"/>
und &#x017F;chauete nach ihm auf. Zwei große &#x017F;chwere<lb/>
Thra&#x0364;nen hingen in &#x017F;einen Augen. &#x201E;Sie thaten<lb/>
nur ihre Pflicht!&#x201F; &#x017F;agte er, und fuhr mit der<lb/>
Hand u&#x0364;ber die Thra&#x0364;nen, la&#x0364;chelte mich an, und<lb/>
wiederholte: &#x201E;&#x017F;ie thaten was &#x017F;ie mußten!&#x201F; Da<lb/>
kam meine Mutter herein, Emil auf dem Arme.<lb/>
Sie war &#x017F;ehr bleich, und hatte geweint. Schwei-<lb/>
gend zog &#x017F;ie den Gatten zum Sopha, &#x017F;etzte das<lb/>
Kind auf &#x017F;einen Schoß, und &#x017F;ich neben ihn.<lb/>
Sie um&#x017F;chlang ihn, weinte heftig, und rief end-<lb/>
lich im Ton der Verzweiflung: &#x201E;die&#x017F;en hu&#x0364;lflo&#x017F;en<lb/>
Kleinen ko&#x0364;nnte&#x017F;t Du verla&#x017F;&#x017F;en? mich? mich?&#x201F;<lb/>
und &#x017F;ank an &#x017F;eine Schulter. Mein Vater um-<lb/>
faßte &#x017F;ie mit Za&#x0364;rtlichkeit, redete ihr zu, &#x017F;prach<lb/>
viel von Pflicht und Nothwendigkeit. Der<lb/>
Knabe la&#x0364;chelte unbefangen drein, und &#x017F;pielte<lb/>
mit des Vaters Locken. Mich mochte die Grup-<lb/>
pe, an das Bild von Hektors Ab&#x017F;chied erinnern,<lb/>
ich &#x017F;chlug es auf, und &#x017F;ah ern&#x017F;thaft, bald auf<lb/>
Hektor, bald auf den Vater. Endlich richtete<lb/>
&#x017F;ich meine Mutter wieder auf, und blickte mich<lb/>
an. Virginia! rief &#x017F;ie, umarme die Knie dei-<lb/>
nes Vaters! flehe ihn, daß er uns nicht verla&#x017F;&#x017F;e!<lb/>
&#x201E;Die Frau da,&#x201F; antwortete ich in meinem kin-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0067] und ſchauete nach ihm auf. Zwei große ſchwere Thraͤnen hingen in ſeinen Augen. „Sie thaten nur ihre Pflicht!‟ ſagte er, und fuhr mit der Hand uͤber die Thraͤnen, laͤchelte mich an, und wiederholte: „ſie thaten was ſie mußten!‟ Da kam meine Mutter herein, Emil auf dem Arme. Sie war ſehr bleich, und hatte geweint. Schwei- gend zog ſie den Gatten zum Sopha, ſetzte das Kind auf ſeinen Schoß, und ſich neben ihn. Sie umſchlang ihn, weinte heftig, und rief end- lich im Ton der Verzweiflung: „dieſen huͤlfloſen Kleinen koͤnnteſt Du verlaſſen? mich? mich?‟ und ſank an ſeine Schulter. Mein Vater um- faßte ſie mit Zaͤrtlichkeit, redete ihr zu, ſprach viel von Pflicht und Nothwendigkeit. Der Knabe laͤchelte unbefangen drein, und ſpielte mit des Vaters Locken. Mich mochte die Grup- pe, an das Bild von Hektors Abſchied erinnern, ich ſchlug es auf, und ſah ernſthaft, bald auf Hektor, bald auf den Vater. Endlich richtete ſich meine Mutter wieder auf, und blickte mich an. Virginia! rief ſie, umarme die Knie dei- nes Vaters! flehe ihn, daß er uns nicht verlaſſe! „Die Frau da,‟ antwortete ich in meinem kin-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/67
Zitationshilfe: Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/67>, abgerufen am 15.05.2024.