Mauern gebrochen. Meine Mutter fängt an zu begreifen, was vorgeht, sie zittert vor Schreck und Freude, sie sinkt auf die Knie und streckt die Arme nach dem fürchterlichen Gefängnisse aus; die Sinne vergehen ihr, die mitleidigen Umstehenden sind kaum im Stande sie gegen den gewaltsamen Andrang der Menge auf einige Augenblicke zu schützen. Da arbeitet sich Vic- tor durch das dichteste Gedränge, faßt seine ohnmächtige Schwester in seine Arme, drängt sich mit Riesenkraft rückwärts, und trägt sie in ihre Wohnung zurück. Sie schlägt die Augen auf, aber in demselben Momente stellen sich auch heftige unbekannte Schmerzen ein, alles verkündigt eine beschleunigte Entbindung. Vic- tor ruft um Hülfe, er übergibt sie der Sorg- falt der Frauen, spricht ihr Muth ein und selige Hoffnung, und eilt zurück, wohin Begei- sterung und Pflicht ihn rufen. Er legt mit der Stärke eines Rasenden Hand an, er ist der Zweite in der Breche. Wüthend packt er ei- nen der Jnvaliden, er muß ihm die Eingänge zu den Gefängnissen zeigen, und ohne auf die übrigen Ereignisse zu achten, ist sein einziges
Mauern gebrochen. Meine Mutter faͤngt an zu begreifen, was vorgeht, ſie zittert vor Schreck und Freude, ſie ſinkt auf die Knie und ſtreckt die Arme nach dem fuͤrchterlichen Gefaͤngniſſe aus; die Sinne vergehen ihr, die mitleidigen Umſtehenden ſind kaum im Stande ſie gegen den gewaltſamen Andrang der Menge auf einige Augenblicke zu ſchuͤtzen. Da arbeitet ſich Vic- tor durch das dichteſte Gedraͤnge, faßt ſeine ohnmaͤchtige Schweſter in ſeine Arme, draͤngt ſich mit Rieſenkraft ruͤckwaͤrts, und traͤgt ſie in ihre Wohnung zuruͤck. Sie ſchlaͤgt die Augen auf, aber in demſelben Momente ſtellen ſich auch heftige unbekannte Schmerzen ein, alles verkuͤndigt eine beſchleunigte Entbindung. Vic- tor ruft um Huͤlfe, er uͤbergibt ſie der Sorg- falt der Frauen, ſpricht ihr Muth ein und ſelige Hoffnung, und eilt zuruͤck, wohin Begei- ſterung und Pflicht ihn rufen. Er legt mit der Staͤrke eines Raſenden Hand an, er iſt der Zweite in der Breche. Wuͤthend packt er ei- nen der Jnvaliden, er muß ihm die Eingaͤnge zu den Gefaͤngniſſen zeigen, und ohne auf die uͤbrigen Ereigniſſe zu achten, iſt ſein einziges
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Mauern gebrochen. Meine Mutter faͤngt an
zu begreifen, was vorgeht, ſie zittert vor Schreck
und Freude, ſie ſinkt auf die Knie und ſtreckt
die Arme nach dem fuͤrchterlichen Gefaͤngniſſe
aus; die Sinne vergehen ihr, die mitleidigen
Umſtehenden ſind kaum im Stande ſie gegen
den gewaltſamen Andrang der Menge auf einige
Augenblicke zu ſchuͤtzen. Da arbeitet ſich Vic-
tor durch das dichteſte Gedraͤnge, faßt ſeine
ohnmaͤchtige Schweſter in ſeine Arme, draͤngt
ſich mit Rieſenkraft ruͤckwaͤrts, und traͤgt ſie in
ihre Wohnung zuruͤck. Sie ſchlaͤgt die Augen
auf, aber in demſelben Momente ſtellen ſich
auch heftige unbekannte Schmerzen ein, alles
verkuͤndigt eine beſchleunigte Entbindung. Vic-
tor ruft um Huͤlfe, er uͤbergibt ſie der Sorg-
falt der Frauen, ſpricht ihr Muth ein und
ſelige Hoffnung, und eilt zuruͤck, wohin Begei-
ſterung und Pflicht ihn rufen. Er legt mit der
Staͤrke eines Raſenden Hand an, er iſt der
Zweite in der Breche. Wuͤthend packt er ei-
nen der Jnvaliden, er muß ihm die Eingaͤnge
zu den Gefaͤngniſſen zeigen, und ohne auf die
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/51>, abgerufen am 16.02.2025.
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