loren, wackre Jungen, aber ich tröstete mich, denn Frankreich war groß und glücklich. Soll all das Blut, welches der Freiheit geopfert wurde, vergebens geflossen seyn? Jch verbarg schluch- zend das Gesicht, und zeigte mit der Hand gen Himmel. Wohl, mein Fräulein, sagte er, Gottes Wege sind nicht unsre Wege, und dem Sterb- lichen geziemt Entsagung.
Hoch schlug mein Herz als ich den Ventoux in weiter Ferne erblickte, noch höher, als die weißen Gemäuer von Chaumerive sichtbar wurden. Der Wagen fuhr mir zu langsam, ich verließ ihn, und flog mit Windeseile auf dem Fußpfade dahin. Mir war als müßte ich all die lieben Verlorenen wieder finden. Ach, ich fand sie nicht! Aber ein treues Völkchen fand ich wieder, das mich mit ausschweifender Freude umarmte, fragte und hörte, und dann theilneh- mend mit mir weinte um meinen Vater und um mein Vaterland. Erquickende Thränen, welche mein verarmtes Herz wieder an die Menschheit banden! O hätte ich hier bleiben können, ge-
loren, wackre Jungen, aber ich troͤſtete mich, denn Frankreich war groß und gluͤcklich. Soll all das Blut, welches der Freiheit geopfert wurde, vergebens gefloſſen ſeyn? Jch verbarg ſchluch- zend das Geſicht, und zeigte mit der Hand gen Himmel. Wohl, mein Fraͤulein, ſagte er, Gottes Wege ſind nicht unſre Wege, und dem Sterb- lichen geziemt Entſagung.
Hoch ſchlug mein Herz als ich den Ventoux in weiter Ferne erblickte, noch hoͤher, als die weißen Gemaͤuer von Chaumerive ſichtbar wurden. Der Wagen fuhr mir zu langſam, ich verließ ihn, und flog mit Windeseile auf dem Fußpfade dahin. Mir war als muͤßte ich all die lieben Verlorenen wieder finden. Ach, ich fand ſie nicht! Aber ein treues Voͤlkchen fand ich wieder, das mich mit ausſchweifender Freude umarmte, fragte und hoͤrte, und dann theilneh- mend mit mir weinte um meinen Vater und um mein Vaterland. Erquickende Thraͤnen, welche mein verarmtes Herz wieder an die Menſchheit banden! O haͤtte ich hier bleiben koͤnnen, ge-
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[195[203]/0213]
loren, wackre Jungen, aber ich troͤſtete mich,
denn Frankreich war groß und gluͤcklich. Soll all
das Blut, welches der Freiheit geopfert wurde,
vergebens gefloſſen ſeyn? Jch verbarg ſchluch-
zend das Geſicht, und zeigte mit der Hand gen
Himmel. Wohl, mein Fraͤulein, ſagte er, Gottes
Wege ſind nicht unſre Wege, und dem Sterb-
lichen geziemt Entſagung.
Hoch ſchlug mein Herz als ich den Ventoux
in weiter Ferne erblickte, noch hoͤher, als die
weißen Gemaͤuer von Chaumerive ſichtbar
wurden. Der Wagen fuhr mir zu langſam,
ich verließ ihn, und flog mit Windeseile auf dem
Fußpfade dahin. Mir war als muͤßte ich all
die lieben Verlorenen wieder finden. Ach, ich
fand ſie nicht! Aber ein treues Voͤlkchen fand
ich wieder, das mich mit ausſchweifender Freude
umarmte, fragte und hoͤrte, und dann theilneh-
mend mit mir weinte um meinen Vater und um
mein Vaterland. Erquickende Thraͤnen, welche
mein verarmtes Herz wieder an die Menſchheit
banden! O haͤtte ich hier bleiben koͤnnen, ge-
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 195[203]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/213>, abgerufen am 27.07.2024.
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