höchste. Sie sahe jede Nacht ihren Sohn, verwundet oder tod, in ihren Träumen. Um- sonst wendete mein Vater alle Vernunftgründe an; doch wenn das Herz heftig leidet, dann wird es von den Tröstungen des Verstandes, nur belei- digt. Jch bin keine Römerinn! sagte sie mit Heftigkeit. Und hast kein Vaterland? fragte mein Vater. Möge es doch zertrümmern, rief sie, wenn ich nur meinen theuern Sohn und euch behalte! Klara, liebe Klara, sagte mein Vater, sanft verweisend, der Schmerz tobt aus dir, du wirst dich wieder finden. Die Pflicht über Alles! Kein Gut der Erde tröstet uns, wenn diese verletzt wird.
Jch, meines Theils, suchte gar nicht sie zu trösten, ich weinte mit ihr. Mein armes Herz schwankte zwischen Hoffnung und Furcht, ich hätte selbst des Trostes bedurft; aber das Schauspiel des unbegränzten mütterlichen Schmer- zes gab mir feste Haltung. Jch gelobte mir, im Stillen, den etwanigen Schlägen des Schick- sals mit mehr Fassung zu begegnen. Endlich, nach mancher vergeblichen Bemühung um Nach- richt, langte ein Brief von den beiden Gelieb-
hoͤchſte. Sie ſahe jede Nacht ihren Sohn, verwundet oder tod, in ihren Traͤumen. Um- ſonſt wendete mein Vater alle Vernunftgruͤnde an; doch wenn das Herz heftig leidet, dann wird es von den Troͤſtungen des Verſtandes, nur belei- digt. Jch bin keine Roͤmerinn! ſagte ſie mit Heftigkeit. Und haſt kein Vaterland? fragte mein Vater. Moͤge es doch zertruͤmmern, rief ſie, wenn ich nur meinen theuern Sohn und euch behalte! Klara, liebe Klara, ſagte mein Vater, ſanft verweiſend, der Schmerz tobt aus dir, du wirſt dich wieder finden. Die Pflicht uͤber Alles! Kein Gut der Erde troͤſtet uns, wenn dieſe verletzt wird.
Jch, meines Theils, ſuchte gar nicht ſie zu troͤſten, ich weinte mit ihr. Mein armes Herz ſchwankte zwiſchen Hoffnung und Furcht, ich haͤtte ſelbſt des Troſtes bedurft; aber das Schauſpiel des unbegraͤnzten muͤtterlichen Schmer- zes gab mir feſte Haltung. Jch gelobte mir, im Stillen, den etwanigen Schlaͤgen des Schick- ſals mit mehr Faſſung zu begegnen. Endlich, nach mancher vergeblichen Bemuͤhung um Nach- richt, langte ein Brief von den beiden Gelieb-
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hoͤchſte. Sie ſahe jede Nacht ihren Sohn,
verwundet oder tod, in ihren Traͤumen. Um-
ſonſt wendete mein Vater alle Vernunftgruͤnde
an; doch wenn das Herz heftig leidet, dann wird
es von den Troͤſtungen des Verſtandes, nur belei-
digt. Jch bin keine Roͤmerinn! ſagte ſie mit
Heftigkeit. Und haſt kein Vaterland? fragte
mein Vater. Moͤge es doch zertruͤmmern, rief
ſie, wenn ich nur meinen theuern Sohn und
euch behalte! Klara, liebe Klara, ſagte mein
Vater, ſanft verweiſend, der Schmerz tobt aus
dir, du wirſt dich wieder finden. Die Pflicht
uͤber Alles! Kein Gut der Erde troͤſtet uns,
wenn dieſe verletzt wird.
Jch, meines Theils, ſuchte gar nicht ſie zu
troͤſten, ich weinte mit ihr. Mein armes Herz
ſchwankte zwiſchen Hoffnung und Furcht, ich
haͤtte ſelbſt des Troſtes bedurft; aber das
Schauſpiel des unbegraͤnzten muͤtterlichen Schmer-
zes gab mir feſte Haltung. Jch gelobte mir,
im Stillen, den etwanigen Schlaͤgen des Schick-
ſals mit mehr Faſſung zu begegnen. Endlich,
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/134>, abgerufen am 27.07.2024.
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