Jch habe sie wohl gekannt, redete der För- ster dazwischen, und um sie ab zu wehren, wollte ich selbst noch meinen alten Kopf den feindli- chen Reihen gegenüber stellen. Um wie viel mehr wir Jünglinge! fuhr der Fremde fort: welche Elende wären wir, wenn wir nicht unser Herzblut hingeben wollten für unser Vaterland und seine Verfassung, unter deren Schatten wir er- wuchsen, für den Kaiser, der die Wunden der Revolution heilte, den Bürgerkrieg endete, und den Ruhm der Nation auf den höchsten Gipfel erhob. Jeder Bürger fühlt sich Theilnehmer dieses Ruhms; sollte es nicht auch ein weib- liches Herz?
Diese Apostrophe an mein Geschlecht, reizte mich zum Mitgespräch, ich druckte mei- nen Freiheitssinn und meine glühende Vater- landsliebe in lebhaften Worten aus. Der Fremde schien mich mit Bewunderung zu hö- ren, es waren seine eigenen Begriffe, welche er aus einem fremden Munde vernahm. Mir ging es eben so, ich glaubte mein eigenes Jch zu hören. Jeder von uns setzte häufig, im Feuer des Gesprächs, den angefangenen Pe-
Jch habe ſie wohl gekannt, redete der Foͤr- ſter dazwiſchen, und um ſie ab zu wehren, wollte ich ſelbſt noch meinen alten Kopf den feindli- chen Reihen gegenuͤber ſtellen. Um wie viel mehr wir Juͤnglinge! fuhr der Fremde fort: welche Elende waͤren wir, wenn wir nicht unſer Herzblut hingeben wollten fuͤr unſer Vaterland und ſeine Verfaſſung, unter deren Schatten wir er- wuchſen, fuͤr den Kaiſer, der die Wunden der Revolution heilte, den Buͤrgerkrieg endete, und den Ruhm der Nation auf den hoͤchſten Gipfel erhob. Jeder Buͤrger fuͤhlt ſich Theilnehmer dieſes Ruhms; ſollte es nicht auch ein weib- liches Herz?
Dieſe Apoſtrophe an mein Geſchlecht, reizte mich zum Mitgeſpraͤch, ich druckte mei- nen Freiheitsſinn und meine gluͤhende Vater- landsliebe in lebhaften Worten aus. Der Fremde ſchien mich mit Bewunderung zu hoͤ- ren, es waren ſeine eigenen Begriffe, welche er aus einem fremden Munde vernahm. Mir ging es eben ſo, ich glaubte mein eigenes Jch zu hoͤren. Jeder von uns ſetzte haͤufig, im Feuer des Geſpraͤchs, den angefangenen Pe-
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Jch habe ſie wohl gekannt, redete der Foͤr-
ſter dazwiſchen, und um ſie ab zu wehren, wollte
ich ſelbſt noch meinen alten Kopf den feindli-
chen Reihen gegenuͤber ſtellen. Um wie viel
mehr wir Juͤnglinge! fuhr der Fremde fort:
welche Elende waͤren wir, wenn wir nicht unſer
Herzblut hingeben wollten fuͤr unſer Vaterland und
ſeine Verfaſſung, unter deren Schatten wir er-
wuchſen, fuͤr den Kaiſer, der die Wunden der
Revolution heilte, den Buͤrgerkrieg endete, und
den Ruhm der Nation auf den hoͤchſten Gipfel
erhob. Jeder Buͤrger fuͤhlt ſich Theilnehmer
dieſes Ruhms; ſollte es nicht auch ein weib-
liches Herz?
Dieſe Apoſtrophe an mein Geſchlecht,
reizte mich zum Mitgeſpraͤch, ich druckte mei-
nen Freiheitsſinn und meine gluͤhende Vater-
landsliebe in lebhaften Worten aus. Der
Fremde ſchien mich mit Bewunderung zu hoͤ-
ren, es waren ſeine eigenen Begriffe, welche
er aus einem fremden Munde vernahm. Mir
ging es eben ſo, ich glaubte mein eigenes Jch
zu hoͤren. Jeder von uns ſetzte haͤufig, im
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Frölich, Henriette: Virginia oder die Kolonie von Kentucky. Bd. 1. Hrsg. v. Jerta. Berlin, 1820, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/froelich_virginia01_1820/117>, abgerufen am 27.07.2024.
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