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Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780.

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Auch der Mallebranche muß nicht ganz verges-
sen werden. Bey der Entwickelung der Grundsätze
dieses gelehrten Mönchs findet man bald, daß die na-
türlichen Folgen derselben, uns zu dem System der
Stoicker zurückführen, nemlich zu der allgemeinen
Weltseele, von der alle Wesen belebt und Theile sind.
Wenn wir alles in Gott sehen, wenn alle unsre Em-
pfindungen, unsre Gedanken, unser Wollen und Begeh-
ren unmittelbar von seiner intellektuellen Einwürkung
auf unsre Organen herrühren; so sind wir bloße Ma-
schienen, die durch göttliche Hände in Bewegung ge-
setzt werden. Die Gottheit bleibt alsdann nur allein
übrig und der Mensch verschwindet ganz.

Ich traue unserm Herrn Professor zu viel Ueber-
legung zu, als daß er den weisen Locke vergessen soll-
te; er ist der einzige Metaphysiker, der die Einbildungs-
kraft der gesunden Vernunft ganz aufopfert, der nur
der Erfahrung folgt, und vorsichtig stille steht, so bald
dieser sichre Führer ihn verläßt. Bey der Moral wird
unser Lehrer etwas vom Sokrates sagen, dem Mar-
kus Aurelius
Gerechtigkeit wiederfahren laßen, und
sich vorzüglich bey dem Buch des Cicero de officiis
verweilen, dem besten, das je über die Moral geschrie-
ben worden, und jemals geschrieben werden wird.

Mit den Aerzten habe ich nur zwey Worte zu re-
den. Sie müssen besonders ihre Schüler gewöhnen,
die Symptomen der Krankheiten sorgfältig zu unter-

suchen,

Auch der Mallebranche muß nicht ganz vergeſ-
ſen werden. Bey der Entwickelung der Grundſaͤtze
dieſes gelehrten Moͤnchs findet man bald, daß die na-
tuͤrlichen Folgen derſelben, uns zu dem Syſtem der
Stoicker zuruͤckfuͤhren, nemlich zu der allgemeinen
Weltſeele, von der alle Weſen belebt und Theile ſind.
Wenn wir alles in Gott ſehen, wenn alle unſre Em-
pfindungen, unſre Gedanken, unſer Wollen und Begeh-
ren unmittelbar von ſeiner intellektuellen Einwuͤrkung
auf unſre Organen herruͤhren; ſo ſind wir bloße Ma-
ſchienen, die durch goͤttliche Haͤnde in Bewegung ge-
ſetzt werden. Die Gottheit bleibt alsdann nur allein
uͤbrig und der Menſch verſchwindet ganz.

Ich traue unſerm Herrn Profeſſor zu viel Ueber-
legung zu, als daß er den weiſen Locke vergeſſen ſoll-
te; er iſt der einzige Metaphyſiker, der die Einbildungs-
kraft der geſunden Vernunft ganz aufopfert, der nur
der Erfahrung folgt, und vorſichtig ſtille ſteht, ſo bald
dieſer ſichre Fuͤhrer ihn verlaͤßt. Bey der Moral wird
unſer Lehrer etwas vom Sokrates ſagen, dem Mar-
kus Aurelius
Gerechtigkeit wiederfahren laßen, und
ſich vorzuͤglich bey dem Buch des Cicero de officiis
verweilen, dem beſten, das je uͤber die Moral geſchrie-
ben worden, und jemals geſchrieben werden wird.

Mit den Aerzten habe ich nur zwey Worte zu re-
den. Sie muͤſſen beſonders ihre Schuͤler gewoͤhnen,
die Symptomen der Krankheiten ſorgfaͤltig zu unter-

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[42/0048] Auch der Mallebranche muß nicht ganz vergeſ- ſen werden. Bey der Entwickelung der Grundſaͤtze dieſes gelehrten Moͤnchs findet man bald, daß die na- tuͤrlichen Folgen derſelben, uns zu dem Syſtem der Stoicker zuruͤckfuͤhren, nemlich zu der allgemeinen Weltſeele, von der alle Weſen belebt und Theile ſind. Wenn wir alles in Gott ſehen, wenn alle unſre Em- pfindungen, unſre Gedanken, unſer Wollen und Begeh- ren unmittelbar von ſeiner intellektuellen Einwuͤrkung auf unſre Organen herruͤhren; ſo ſind wir bloße Ma- ſchienen, die durch goͤttliche Haͤnde in Bewegung ge- ſetzt werden. Die Gottheit bleibt alsdann nur allein uͤbrig und der Menſch verſchwindet ganz. Ich traue unſerm Herrn Profeſſor zu viel Ueber- legung zu, als daß er den weiſen Locke vergeſſen ſoll- te; er iſt der einzige Metaphyſiker, der die Einbildungs- kraft der geſunden Vernunft ganz aufopfert, der nur der Erfahrung folgt, und vorſichtig ſtille ſteht, ſo bald dieſer ſichre Fuͤhrer ihn verlaͤßt. Bey der Moral wird unſer Lehrer etwas vom Sokrates ſagen, dem Mar- kus Aurelius Gerechtigkeit wiederfahren laßen, und ſich vorzuͤglich bey dem Buch des Cicero de officiis verweilen, dem beſten, das je uͤber die Moral geſchrie- ben worden, und jemals geſchrieben werden wird. Mit den Aerzten habe ich nur zwey Worte zu re- den. Sie muͤſſen beſonders ihre Schuͤler gewoͤhnen, die Symptomen der Krankheiten ſorgfaͤltig zu unter- ſuchen,

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Zitationshilfe: Friedrich II., König von Preußen: Über die deutsche Literatur. Übers. v. Christian Konrad Wilhelm Dohm. Berlin, 1780, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/friedrich_literatur_1780/48>, abgerufen am 25.11.2024.