Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einem bloßen Schatten erschreckt, die Stadt verließet ... es kam mir bisher immer auch vor, als hättet Ihr Euch vor keiner Gefahr zu fürchten; jetzt hingegen muß ich selbst wünschen, daß Ihr Euern Cousinen schnell nach Neuenburg folgt. Und Ihr rathet mir das, Theobald? Diese mitternächtliche Rathssitzung ängstigt mich; denn solches mag nur in Zeiten dringender Gefahr vorkommen. Ihr habt noch andere Gründe, Theobald, sagte das Fräulein, nachdem sie ihn mit einem langen, fragenden Blick angeschaut, ich seh' es Euch deutlich an, und sonst würdet Ihr mit Euerm Rathe wenigstens zuwarten, bis der Vater zurückgekommen; doch ist's mir auch lieb, wenn ich jetzt nichts Weiteres erfahren muß, das meine Angst vermehren könnte. Aber ich kann die Stadt nicht verlassen, wo du und der Vater zurückbleiben ... jetzt nicht, Theobald. Julia! Theobald! Er lag vor ihr auf den Knieen und lehnte sein glühendes Antlitz auf ihren Schooß; sie saß still, ohne Abwehr, ihre beiden Hände wie in seliger Andacht gefaltet auf sein Haupt gelegt. O Julia, was machst du aus mir, rief er, sein Gesicht erhebend; ich Unglückseliger, der durch die geöffneten Pforten des Himmels schauen darf, nur um die Qualen seiner Verdamm[ni]ß zu vermehren. einem bloßen Schatten erschreckt, die Stadt verließet … es kam mir bisher immer auch vor, als hättet Ihr Euch vor keiner Gefahr zu fürchten; jetzt hingegen muß ich selbst wünschen, daß Ihr Euern Cousinen schnell nach Neuenburg folgt. Und Ihr rathet mir das, Theobald? Diese mitternächtliche Rathssitzung ängstigt mich; denn solches mag nur in Zeiten dringender Gefahr vorkommen. Ihr habt noch andere Gründe, Theobald, sagte das Fräulein, nachdem sie ihn mit einem langen, fragenden Blick angeschaut, ich seh' es Euch deutlich an, und sonst würdet Ihr mit Euerm Rathe wenigstens zuwarten, bis der Vater zurückgekommen; doch ist's mir auch lieb, wenn ich jetzt nichts Weiteres erfahren muß, das meine Angst vermehren könnte. Aber ich kann die Stadt nicht verlassen, wo du und der Vater zurückbleiben … jetzt nicht, Theobald. Julia! Theobald! Er lag vor ihr auf den Knieen und lehnte sein glühendes Antlitz auf ihren Schooß; sie saß still, ohne Abwehr, ihre beiden Hände wie in seliger Andacht gefaltet auf sein Haupt gelegt. O Julia, was machst du aus mir, rief er, sein Gesicht erhebend; ich Unglückseliger, der durch die geöffneten Pforten des Himmels schauen darf, nur um die Qualen seiner Verdamm[ni]ß zu vermehren. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0049"/> einem bloßen Schatten erschreckt, die Stadt verließet … es kam mir bisher immer auch vor, als hättet Ihr Euch vor keiner Gefahr zu fürchten; jetzt hingegen muß ich selbst wünschen, daß Ihr Euern Cousinen schnell nach Neuenburg folgt.</p><lb/> <p>Und Ihr rathet mir das, Theobald?</p><lb/> <p>Diese mitternächtliche Rathssitzung ängstigt mich; denn solches mag nur in Zeiten dringender Gefahr vorkommen.</p><lb/> <p>Ihr habt noch andere Gründe, Theobald, sagte das Fräulein, nachdem sie ihn mit einem langen, fragenden Blick angeschaut, ich seh' es Euch deutlich an, und sonst würdet Ihr mit Euerm Rathe wenigstens zuwarten, bis der Vater zurückgekommen; doch ist's mir auch lieb, wenn ich jetzt nichts Weiteres erfahren muß, das meine Angst vermehren könnte. Aber ich kann die Stadt nicht verlassen, wo du und der Vater zurückbleiben … jetzt nicht, Theobald.</p><lb/> <p>Julia!</p><lb/> <p>Theobald!</p><lb/> <p>Er lag vor ihr auf den Knieen und lehnte sein glühendes Antlitz auf ihren Schooß; sie saß still, ohne Abwehr, ihre beiden Hände wie in seliger Andacht gefaltet auf sein Haupt gelegt. O Julia, was machst du aus mir, rief er, sein Gesicht erhebend; ich Unglückseliger, der durch die geöffneten Pforten des Himmels schauen darf, nur um die Qualen seiner Verdamm<supplied>ni</supplied>ß zu vermehren.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0049]
einem bloßen Schatten erschreckt, die Stadt verließet … es kam mir bisher immer auch vor, als hättet Ihr Euch vor keiner Gefahr zu fürchten; jetzt hingegen muß ich selbst wünschen, daß Ihr Euern Cousinen schnell nach Neuenburg folgt.
Und Ihr rathet mir das, Theobald?
Diese mitternächtliche Rathssitzung ängstigt mich; denn solches mag nur in Zeiten dringender Gefahr vorkommen.
Ihr habt noch andere Gründe, Theobald, sagte das Fräulein, nachdem sie ihn mit einem langen, fragenden Blick angeschaut, ich seh' es Euch deutlich an, und sonst würdet Ihr mit Euerm Rathe wenigstens zuwarten, bis der Vater zurückgekommen; doch ist's mir auch lieb, wenn ich jetzt nichts Weiteres erfahren muß, das meine Angst vermehren könnte. Aber ich kann die Stadt nicht verlassen, wo du und der Vater zurückbleiben … jetzt nicht, Theobald.
Julia!
Theobald!
Er lag vor ihr auf den Knieen und lehnte sein glühendes Antlitz auf ihren Schooß; sie saß still, ohne Abwehr, ihre beiden Hände wie in seliger Andacht gefaltet auf sein Haupt gelegt. O Julia, was machst du aus mir, rief er, sein Gesicht erhebend; ich Unglückseliger, der durch die geöffneten Pforten des Himmels schauen darf, nur um die Qualen seiner Verdammniß zu vermehren.
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/49>, abgerufen am 05.07.2024. |