Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Sei nicht ungerecht, Theobald, erwiderte sie [leis]e, ein Augenblick des Glückes giebt die Kraft, jedes kommende Unglück zu ertragen. Sie ließ die Hände auf seine Schulter sinken, neigte das Gesicht herab, und die Welt verschwand den Beiden in ein dufthauchendes, wogendes Blütenmeer. -- Mit trunkenen Blicken sich wieder erhebend, rief er hochaufathmend: Du hast Recht, Julia, ein solcher Augenblick wiegt das Elend eines ganzen Lebens auf; aber warum soll es nur ein einziger Augenblick sein in dieser endlosen Reihe ... warum, Julia? Du weißt es, erwiderte sie, seine Hand gegen ihre Stirne drückend; einmal mußte es so kommen, Theobald ... ich hab' es längst gewußt, nun aber ist es mir auch wieder wohl, und alle Angst von meinem Herzen genommen. Er schaute sie lange träumerisch an, wie sie ruhig vor ihm saß, der Lilie gleich, die ihre duftige Blüte, weder vor dem drohenden Gewitter, noch vor dem sengenden Sonnenstrahle zu bergen vermag; und doch fühlte seine Hand, wie ihre Stirne glühte und wie ein leises Schüttern durch ihre Glieder bebte. Und wenn wir uns deinem Vater anvertrauen, flüsterte er endlich, und gerade jetzt vielleicht, Julia? ... In Zeiten der Gefahr erst hat schon mancher Mann den andern schätzen gelernt! Sie schüttelte das Haupt mit einem wehmüthigen Lächeln, das aber sogleich verschwand, als er langsam Sei nicht ungerecht, Theobald, erwiderte sie [leis]e, ein Augenblick des Glückes giebt die Kraft, jedes kommende Unglück zu ertragen. Sie ließ die Hände auf seine Schulter sinken, neigte das Gesicht herab, und die Welt verschwand den Beiden in ein dufthauchendes, wogendes Blütenmeer. — Mit trunkenen Blicken sich wieder erhebend, rief er hochaufathmend: Du hast Recht, Julia, ein solcher Augenblick wiegt das Elend eines ganzen Lebens auf; aber warum soll es nur ein einziger Augenblick sein in dieser endlosen Reihe … warum, Julia? Du weißt es, erwiderte sie, seine Hand gegen ihre Stirne drückend; einmal mußte es so kommen, Theobald … ich hab' es längst gewußt, nun aber ist es mir auch wieder wohl, und alle Angst von meinem Herzen genommen. Er schaute sie lange träumerisch an, wie sie ruhig vor ihm saß, der Lilie gleich, die ihre duftige Blüte, weder vor dem drohenden Gewitter, noch vor dem sengenden Sonnenstrahle zu bergen vermag; und doch fühlte seine Hand, wie ihre Stirne glühte und wie ein leises Schüttern durch ihre Glieder bebte. Und wenn wir uns deinem Vater anvertrauen, flüsterte er endlich, und gerade jetzt vielleicht, Julia? … In Zeiten der Gefahr erst hat schon mancher Mann den andern schätzen gelernt! Sie schüttelte das Haupt mit einem wehmüthigen Lächeln, das aber sogleich verschwand, als er langsam <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <pb facs="#f0050"/> <p>Sei nicht ungerecht, Theobald, erwiderte sie <supplied>leis</supplied>e, ein Augenblick des Glückes giebt die Kraft, jedes kommende Unglück zu ertragen. Sie ließ die Hände auf seine Schulter sinken, neigte das Gesicht herab, und die Welt verschwand den Beiden in ein dufthauchendes, wogendes Blütenmeer. —</p><lb/> <p>Mit trunkenen Blicken sich wieder erhebend, rief er hochaufathmend: Du hast Recht, Julia, ein solcher Augenblick wiegt das Elend eines ganzen Lebens auf; aber warum soll es nur ein einziger Augenblick sein in dieser endlosen Reihe … warum, Julia?</p><lb/> <p>Du weißt es, erwiderte sie, seine Hand gegen ihre Stirne drückend; einmal mußte es so kommen, Theobald … ich hab' es längst gewußt, nun aber ist es mir auch wieder wohl, und alle Angst von meinem Herzen genommen.</p><lb/> <p>Er schaute sie lange träumerisch an, wie sie ruhig vor ihm saß, der Lilie gleich, die ihre duftige Blüte, weder vor dem drohenden Gewitter, noch vor dem sengenden Sonnenstrahle zu bergen vermag; und doch fühlte seine Hand, wie ihre Stirne glühte und wie ein leises Schüttern durch ihre Glieder bebte. Und wenn wir uns deinem Vater anvertrauen, flüsterte er endlich, und gerade jetzt vielleicht, Julia? … In Zeiten der Gefahr erst hat schon mancher Mann den andern schätzen gelernt!</p><lb/> <p>Sie schüttelte das Haupt mit einem wehmüthigen Lächeln, das aber sogleich verschwand, als er langsam<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
Sei nicht ungerecht, Theobald, erwiderte sie leise, ein Augenblick des Glückes giebt die Kraft, jedes kommende Unglück zu ertragen. Sie ließ die Hände auf seine Schulter sinken, neigte das Gesicht herab, und die Welt verschwand den Beiden in ein dufthauchendes, wogendes Blütenmeer. —
Mit trunkenen Blicken sich wieder erhebend, rief er hochaufathmend: Du hast Recht, Julia, ein solcher Augenblick wiegt das Elend eines ganzen Lebens auf; aber warum soll es nur ein einziger Augenblick sein in dieser endlosen Reihe … warum, Julia?
Du weißt es, erwiderte sie, seine Hand gegen ihre Stirne drückend; einmal mußte es so kommen, Theobald … ich hab' es längst gewußt, nun aber ist es mir auch wieder wohl, und alle Angst von meinem Herzen genommen.
Er schaute sie lange träumerisch an, wie sie ruhig vor ihm saß, der Lilie gleich, die ihre duftige Blüte, weder vor dem drohenden Gewitter, noch vor dem sengenden Sonnenstrahle zu bergen vermag; und doch fühlte seine Hand, wie ihre Stirne glühte und wie ein leises Schüttern durch ihre Glieder bebte. Und wenn wir uns deinem Vater anvertrauen, flüsterte er endlich, und gerade jetzt vielleicht, Julia? … In Zeiten der Gefahr erst hat schon mancher Mann den andern schätzen gelernt!
Sie schüttelte das Haupt mit einem wehmüthigen Lächeln, das aber sogleich verschwand, als er langsam
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