Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.den meisten seiner Genossen, so wird er schon selbst sich zu helfen wissen. Gewiß, da ist jetzt auch wieder nur das einfältige Gerede der Leute und die dadurch veranlaßte Laune des Vaters Schuld gewesen; wie du so thöricht sein kannst, Julie! Aber all diese gewöhnlichen Trostmittel gegen eine unsichere Erwartung wollten nicht mehr verfangen, und nur mit Mühe vermochte das Fräulein ein ängstliches Erschrecken zu verbergen, als das Mädchen den fremden Gesellen meldete. Julia empfand beim ersten Anblicke des Eintretenden, daß ihre Unruhe nicht vergeblich gewesen. Sie hätte gerne eine Art Zierpuppe gesehen, wie sie in diesem Stande häufig vorkommen, die gerade durch das Gesuchte und Auffallende ihres Putzes den müßigen Stadtklatsch hervorgerufen haben mochte; nun aber stand ein junger, zwar sauber, aber einfach gekleideter Mann vor ihr, über den die Natur ihr reichstes Füllhorn männlicher Schönheit schien ausgegossen zu haben. Juliens erster Gedanke war, als er sich mit leisem Erröthen vor ihr verneigte: Nun haben Beide recht, die Leute und mein Vater; dem Stande, den er angibt, kann er nicht angehören, darin ist er weder erzogen, noch dafür geboren. Sie warf noch einen Blick auf die schlanke und doch kräftig gebaute Gestalt, auf das fein gebildete und doch eine selbstbewußte Entschlossenheit wiederspiegelnde Antlitz, von dem vor ihrem prüfenden Auge das leise Erröthen bis über die Helle, von dunkelgoldenen Haaren umrahmte Stirn hinauf glitt, und wen- den meisten seiner Genossen, so wird er schon selbst sich zu helfen wissen. Gewiß, da ist jetzt auch wieder nur das einfältige Gerede der Leute und die dadurch veranlaßte Laune des Vaters Schuld gewesen; wie du so thöricht sein kannst, Julie! Aber all diese gewöhnlichen Trostmittel gegen eine unsichere Erwartung wollten nicht mehr verfangen, und nur mit Mühe vermochte das Fräulein ein ängstliches Erschrecken zu verbergen, als das Mädchen den fremden Gesellen meldete. Julia empfand beim ersten Anblicke des Eintretenden, daß ihre Unruhe nicht vergeblich gewesen. Sie hätte gerne eine Art Zierpuppe gesehen, wie sie in diesem Stande häufig vorkommen, die gerade durch das Gesuchte und Auffallende ihres Putzes den müßigen Stadtklatsch hervorgerufen haben mochte; nun aber stand ein junger, zwar sauber, aber einfach gekleideter Mann vor ihr, über den die Natur ihr reichstes Füllhorn männlicher Schönheit schien ausgegossen zu haben. Juliens erster Gedanke war, als er sich mit leisem Erröthen vor ihr verneigte: Nun haben Beide recht, die Leute und mein Vater; dem Stande, den er angibt, kann er nicht angehören, darin ist er weder erzogen, noch dafür geboren. Sie warf noch einen Blick auf die schlanke und doch kräftig gebaute Gestalt, auf das fein gebildete und doch eine selbstbewußte Entschlossenheit wiederspiegelnde Antlitz, von dem vor ihrem prüfenden Auge das leise Erröthen bis über die Helle, von dunkelgoldenen Haaren umrahmte Stirn hinauf glitt, und wen- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0026"/> den meisten seiner Genossen, so wird er schon selbst sich zu helfen wissen. Gewiß, da ist jetzt auch wieder nur das einfältige Gerede der Leute und die dadurch veranlaßte Laune des Vaters Schuld gewesen; wie du so thöricht sein kannst, Julie! Aber all diese gewöhnlichen Trostmittel gegen eine unsichere Erwartung wollten nicht mehr verfangen, und nur mit Mühe vermochte das Fräulein ein ängstliches Erschrecken zu verbergen, als das Mädchen den fremden Gesellen meldete.</p><lb/> <p>Julia empfand beim ersten Anblicke des Eintretenden, daß ihre Unruhe nicht vergeblich gewesen. Sie hätte gerne eine Art Zierpuppe gesehen, wie sie in diesem Stande häufig vorkommen, die gerade durch das Gesuchte und Auffallende ihres Putzes den müßigen Stadtklatsch hervorgerufen haben mochte; nun aber stand ein junger, zwar sauber, aber einfach gekleideter Mann vor ihr, über den die Natur ihr reichstes Füllhorn männlicher Schönheit schien ausgegossen zu haben. Juliens erster Gedanke war, als er sich mit leisem Erröthen vor ihr verneigte: Nun haben Beide recht, die Leute und mein Vater; dem Stande, den er angibt, kann er nicht angehören, darin ist er weder erzogen, noch dafür geboren. Sie warf noch einen Blick auf die schlanke und doch kräftig gebaute Gestalt, auf das fein gebildete und doch eine selbstbewußte Entschlossenheit wiederspiegelnde Antlitz, von dem vor ihrem prüfenden Auge das leise Erröthen bis über die Helle, von dunkelgoldenen Haaren umrahmte Stirn hinauf glitt, und wen-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
den meisten seiner Genossen, so wird er schon selbst sich zu helfen wissen. Gewiß, da ist jetzt auch wieder nur das einfältige Gerede der Leute und die dadurch veranlaßte Laune des Vaters Schuld gewesen; wie du so thöricht sein kannst, Julie! Aber all diese gewöhnlichen Trostmittel gegen eine unsichere Erwartung wollten nicht mehr verfangen, und nur mit Mühe vermochte das Fräulein ein ängstliches Erschrecken zu verbergen, als das Mädchen den fremden Gesellen meldete.
Julia empfand beim ersten Anblicke des Eintretenden, daß ihre Unruhe nicht vergeblich gewesen. Sie hätte gerne eine Art Zierpuppe gesehen, wie sie in diesem Stande häufig vorkommen, die gerade durch das Gesuchte und Auffallende ihres Putzes den müßigen Stadtklatsch hervorgerufen haben mochte; nun aber stand ein junger, zwar sauber, aber einfach gekleideter Mann vor ihr, über den die Natur ihr reichstes Füllhorn männlicher Schönheit schien ausgegossen zu haben. Juliens erster Gedanke war, als er sich mit leisem Erröthen vor ihr verneigte: Nun haben Beide recht, die Leute und mein Vater; dem Stande, den er angibt, kann er nicht angehören, darin ist er weder erzogen, noch dafür geboren. Sie warf noch einen Blick auf die schlanke und doch kräftig gebaute Gestalt, auf das fein gebildete und doch eine selbstbewußte Entschlossenheit wiederspiegelnde Antlitz, von dem vor ihrem prüfenden Auge das leise Erröthen bis über die Helle, von dunkelgoldenen Haaren umrahmte Stirn hinauf glitt, und wen-
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/26>, abgerufen am 05.07.2024. |