Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das Antlitz guter Menschen legt, sobald sie zur letzten Ruhe eingeschlummert, als der erste verklärende Morgenstrahl eines neuen, schönern Lebens. Es glitt auch kein Erröthen auf ihre Wangen, als sie Theobald die Hand entgegenreichte; sie schaute ihn nur an mit einem langen, trübschimmernden Blicke, der deutlicher denn alle Worte sagte: Wie schwer mußt du gelitten haben, mein Lieber! Dann senkten sich ihre Augen, und mit einem leichten Drucke der zitternden Hand zog sie ihn neben sich auf die Kniee vor dem Altare nieder. Die Orgel verstummte, und die Stimme des Geistlichen erhob sich. Er sprach von der Heiligkeit, von der göttlichen Einsetzung des ehelichen Lebens und von den hohen Pflichten, die zwei Menschen mit ihrer Verbindung zu demselben einzugehen haben. Theobald hörte diese Rede nur wie einen weithin verhallenden Schall an seinem Ohre vorüberziehen; während er deutlich fühlte, wie Juliens Hand in der seinigen immer heftiger erzitterte und mit einer fieberischen Glut erfüllt wurde. Aber als der Geistliche mit erhobener Stimme sie aufforderte, zu bezeugen, daß sie in Glück und Leid, in Leben und Sterben in treuer Liebe zusammenhalten und nach dem göttlichen Worte Eines sein wollten, fiel Juliens "Ja" mit demjenigen Theobald's zusammen, wie der reine Klang der Silberglocke. -- Die feierliche Handlung war beendigt. Die tiefen Orgeltöne begannen wieder anzuschwellen, und Theobald erhob sich, um seiner Anvermählten den Arm zu reichen; das Antlitz guter Menschen legt, sobald sie zur letzten Ruhe eingeschlummert, als der erste verklärende Morgenstrahl eines neuen, schönern Lebens. Es glitt auch kein Erröthen auf ihre Wangen, als sie Theobald die Hand entgegenreichte; sie schaute ihn nur an mit einem langen, trübschimmernden Blicke, der deutlicher denn alle Worte sagte: Wie schwer mußt du gelitten haben, mein Lieber! Dann senkten sich ihre Augen, und mit einem leichten Drucke der zitternden Hand zog sie ihn neben sich auf die Kniee vor dem Altare nieder. Die Orgel verstummte, und die Stimme des Geistlichen erhob sich. Er sprach von der Heiligkeit, von der göttlichen Einsetzung des ehelichen Lebens und von den hohen Pflichten, die zwei Menschen mit ihrer Verbindung zu demselben einzugehen haben. Theobald hörte diese Rede nur wie einen weithin verhallenden Schall an seinem Ohre vorüberziehen; während er deutlich fühlte, wie Juliens Hand in der seinigen immer heftiger erzitterte und mit einer fieberischen Glut erfüllt wurde. Aber als der Geistliche mit erhobener Stimme sie aufforderte, zu bezeugen, daß sie in Glück und Leid, in Leben und Sterben in treuer Liebe zusammenhalten und nach dem göttlichen Worte Eines sein wollten, fiel Juliens „Ja“ mit demjenigen Theobald's zusammen, wie der reine Klang der Silberglocke. — Die feierliche Handlung war beendigt. Die tiefen Orgeltöne begannen wieder anzuschwellen, und Theobald erhob sich, um seiner Anvermählten den Arm zu reichen; <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0103"/> das Antlitz guter Menschen legt, sobald sie zur letzten Ruhe eingeschlummert, als der erste verklärende Morgenstrahl eines neuen, schönern Lebens. Es glitt auch kein Erröthen auf ihre Wangen, als sie Theobald die Hand entgegenreichte; sie schaute ihn nur an mit einem langen, trübschimmernden Blicke, der deutlicher denn alle Worte sagte: Wie schwer mußt du gelitten haben, mein Lieber! Dann senkten sich ihre Augen, und mit einem leichten Drucke der zitternden Hand zog sie ihn neben sich auf die Kniee vor dem Altare nieder. Die Orgel verstummte, und die Stimme des Geistlichen erhob sich. Er sprach von der Heiligkeit, von der göttlichen Einsetzung des ehelichen Lebens und von den hohen Pflichten, die zwei Menschen mit ihrer Verbindung zu demselben einzugehen haben. Theobald hörte diese Rede nur wie einen weithin verhallenden Schall an seinem Ohre vorüberziehen; während er deutlich fühlte, wie Juliens Hand in der seinigen immer heftiger erzitterte und mit einer fieberischen Glut erfüllt wurde. Aber als der Geistliche mit erhobener Stimme sie aufforderte, zu bezeugen, daß sie in Glück und Leid, in Leben und Sterben in treuer Liebe zusammenhalten und nach dem göttlichen Worte Eines sein wollten, fiel Juliens „Ja“ mit demjenigen Theobald's zusammen, wie der reine Klang der Silberglocke. —</p><lb/> <p>Die feierliche Handlung war <choice><sic>beendigte</sic><corr>beendigt</corr></choice>. Die tiefen Orgeltöne begannen wieder anzuschwellen, und Theobald erhob sich, um seiner Anvermählten den Arm zu reichen;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
das Antlitz guter Menschen legt, sobald sie zur letzten Ruhe eingeschlummert, als der erste verklärende Morgenstrahl eines neuen, schönern Lebens. Es glitt auch kein Erröthen auf ihre Wangen, als sie Theobald die Hand entgegenreichte; sie schaute ihn nur an mit einem langen, trübschimmernden Blicke, der deutlicher denn alle Worte sagte: Wie schwer mußt du gelitten haben, mein Lieber! Dann senkten sich ihre Augen, und mit einem leichten Drucke der zitternden Hand zog sie ihn neben sich auf die Kniee vor dem Altare nieder. Die Orgel verstummte, und die Stimme des Geistlichen erhob sich. Er sprach von der Heiligkeit, von der göttlichen Einsetzung des ehelichen Lebens und von den hohen Pflichten, die zwei Menschen mit ihrer Verbindung zu demselben einzugehen haben. Theobald hörte diese Rede nur wie einen weithin verhallenden Schall an seinem Ohre vorüberziehen; während er deutlich fühlte, wie Juliens Hand in der seinigen immer heftiger erzitterte und mit einer fieberischen Glut erfüllt wurde. Aber als der Geistliche mit erhobener Stimme sie aufforderte, zu bezeugen, daß sie in Glück und Leid, in Leben und Sterben in treuer Liebe zusammenhalten und nach dem göttlichen Worte Eines sein wollten, fiel Juliens „Ja“ mit demjenigen Theobald's zusammen, wie der reine Klang der Silberglocke. —
Die feierliche Handlung war beendigt. Die tiefen Orgeltöne begannen wieder anzuschwellen, und Theobald erhob sich, um seiner Anvermählten den Arm zu reichen;
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Zitationshilfe: | Frey, Jacob: Das erfüllte Versprechen. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 23. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–107. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frey_versprechen_1910/103>, abgerufen am 27.07.2024. |