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Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895.

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Zu meiner Ueberraschung beginnt sie unmittelbar nach dieser meiner Suggestion von dem Fürsten L .. zu reden, dessen Entweichung aus einem Irrenhause damals von sich reden machte, kramt neue Angstvorstellungen über Irrenhäuser aus, dass dort die Leute mit eiskaltem Douchen auf den Kopf behandelt, in einen Apparat gesetzt und so lange gedreht würden, bis sie ruhig sind. Ich hatte sie vor 3 Tagen, als sie über die Irrenhausfurcht zuerst klagte, nach der ersten Erzählung, dass die Kranken dort auf Sessel gebunden würden, unterbrochen. Ich merke, dass ich dadurch nichts erreiche, dass ich mir's doch nicht ersparen kann, sie in jedem Punkt bis zu Ende anzuhören. Nachdem dies nachgeholt ist, nehme ich ihr auch die neuen Schreckbilder weg, appellire an ihre Aufklärung, und dass sie mir doch mehr glauben darf als dem dummen Mädchen, von dem sie die Schauergeschichten über die Einrichtung der Irrenhäuser hat. Da ich bei diesen Nachträgen doch gelegentlich etwas Stottern bemerke, frage ich sie von Neuem, woher das Stottern rührt. - Keine Antwort. - Wissen Sie es nicht? - Nein. - Ja warum nicht? - Warum? Weil ich nicht darf (was heftig und ärgerlich hervorgestossen wird). Ich glaube in dieser Aeusserung einen Erfolg meiner Suggestion zu sehen, sie äussert aber das Verlangen, aus der Hypnose geweckt zu werden, dem ich willfahre.1

12. Mai. Sie hat wider mein Erwarten kurz und schlecht geschlafen. Ich finde sie in grosser Angst, übrigens ohne die gewohnten körperlichen Zeichen derselben. Sie will nicht sagen, was ihr ist; nur, dass sie schlecht geträumt hat und noch immer dieselben Dinge sieht. "Wie grässlich, wenn die lebendig werden sollten." Während der Massage macht sie einiges durch Fragen ab, wird dann heiter, erzählt von ihrem Verkehr auf ihrem Witwensitz an der Ostsee, von den bedeutenden Männern, die sie aus der benachbarten Stadt als Gäste zu laden pflegt und dgl.

1 Ich verstand diese kleine Scene erst am nächsten Tag. Ihre ungeberdige Natur, die sich im Wachen wie im künstlichen Schlaf gegen jeden Zwang aufbäumte, hatte sie darüber zornig werden lassen, dass ich ihre Erzählung für vollendet nahm und sie durch meine abschliessende Suggestion unterbrach. Ich habe viele andere Beweise dafür, dass sie meine Arbeit in ihrem hypnotischen Bewusstsein kritisch überwachte. Wahrscheinlich wollte sie mir den Vorwurf machen, dass ich sie heute in der Erzählung störe, wie ich sie vorhin bei den Irrenhausgräueln gestört hatte, getraute sich dessen aber nicht, sondern brachte diese Nachträge anscheinend unvermittelt vor, ohne den verbindenden Gedankengang zu verrathen. Am nächsten Tag klärte mich dann eine verweisende Bemerkung über meinen Fehlgriff auf.

Zu meiner Ueberraschung beginnt sie unmittelbar nach dieser meiner Suggestion von dem Fürsten L .. zu reden, dessen Entweichung aus einem Irrenhause damals von sich reden machte, kramt neue Angstvorstellungen über Irrenhäuser aus, dass dort die Leute mit eiskaltem Douchen auf den Kopf behandelt, in einen Apparat gesetzt und so lange gedreht würden, bis sie ruhig sind. Ich hatte sie vor 3 Tagen, als sie über die Irrenhausfurcht zuerst klagte, nach der ersten Erzählung, dass die Kranken dort auf Sessel gebunden würden, unterbrochen. Ich merke, dass ich dadurch nichts erreiche, dass ich mir’s doch nicht ersparen kann, sie in jedem Punkt bis zu Ende anzuhören. Nachdem dies nachgeholt ist, nehme ich ihr auch die neuen Schreckbilder weg, appellire an ihre Aufklärung, und dass sie mir doch mehr glauben darf als dem dummen Mädchen, von dem sie die Schauergeschichten über die Einrichtung der Irrenhäuser hat. Da ich bei diesen Nachträgen doch gelegentlich etwas Stottern bemerke, frage ich sie von Neuem, woher das Stottern rührt. – Keine Antwort. – Wissen Sie es nicht? – Nein. – Ja warum nicht? – Warum? Weil ich nicht darf (was heftig und ärgerlich hervorgestossen wird). Ich glaube in dieser Aeusserung einen Erfolg meiner Suggestion zu sehen, sie äussert aber das Verlangen, aus der Hypnose geweckt zu werden, dem ich willfahre.1

12. Mai. Sie hat wider mein Erwarten kurz und schlecht geschlafen. Ich finde sie in grosser Angst, übrigens ohne die gewohnten körperlichen Zeichen derselben. Sie will nicht sagen, was ihr ist; nur, dass sie schlecht geträumt hat und noch immer dieselben Dinge sieht. „Wie grässlich, wenn die lebendig werden sollten.“ Während der Massage macht sie einiges durch Fragen ab, wird dann heiter, erzählt von ihrem Verkehr auf ihrem Witwensitz an der Ostsee, von den bedeutenden Männern, die sie aus der benachbarten Stadt als Gäste zu laden pflegt und dgl.

1 Ich verstand diese kleine Scene erst am nächsten Tag. Ihre ungeberdige Natur, die sich im Wachen wie im künstlichen Schlaf gegen jeden Zwang aufbäumte, hatte sie darüber zornig werden lassen, dass ich ihre Erzählung für vollendet nahm und sie durch meine abschliessende Suggestion unterbrach. Ich habe viele andere Beweise dafür, dass sie meine Arbeit in ihrem hypnotischen Bewusstsein kritisch überwachte. Wahrscheinlich wollte sie mir den Vorwurf machen, dass ich sie heute in der Erzählung störe, wie ich sie vorhin bei den Irrenhausgräueln gestört hatte, getraute sich dessen aber nicht, sondern brachte diese Nachträge anscheinend unvermittelt vor, ohne den verbindenden Gedankengang zu verrathen. Am nächsten Tag klärte mich dann eine verweisende Bemerkung über meinen Fehlgriff auf.
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[50/0056] Zu meiner Ueberraschung beginnt sie unmittelbar nach dieser meiner Suggestion von dem Fürsten L .. zu reden, dessen Entweichung aus einem Irrenhause damals von sich reden machte, kramt neue Angstvorstellungen über Irrenhäuser aus, dass dort die Leute mit eiskaltem Douchen auf den Kopf behandelt, in einen Apparat gesetzt und so lange gedreht würden, bis sie ruhig sind. Ich hatte sie vor 3 Tagen, als sie über die Irrenhausfurcht zuerst klagte, nach der ersten Erzählung, dass die Kranken dort auf Sessel gebunden würden, unterbrochen. Ich merke, dass ich dadurch nichts erreiche, dass ich mir’s doch nicht ersparen kann, sie in jedem Punkt bis zu Ende anzuhören. Nachdem dies nachgeholt ist, nehme ich ihr auch die neuen Schreckbilder weg, appellire an ihre Aufklärung, und dass sie mir doch mehr glauben darf als dem dummen Mädchen, von dem sie die Schauergeschichten über die Einrichtung der Irrenhäuser hat. Da ich bei diesen Nachträgen doch gelegentlich etwas Stottern bemerke, frage ich sie von Neuem, woher das Stottern rührt. – Keine Antwort. – Wissen Sie es nicht? – Nein. – Ja warum nicht? – Warum? Weil ich nicht darf (was heftig und ärgerlich hervorgestossen wird). Ich glaube in dieser Aeusserung einen Erfolg meiner Suggestion zu sehen, sie äussert aber das Verlangen, aus der Hypnose geweckt zu werden, dem ich willfahre. 1 12. Mai. Sie hat wider mein Erwarten kurz und schlecht geschlafen. Ich finde sie in grosser Angst, übrigens ohne die gewohnten körperlichen Zeichen derselben. Sie will nicht sagen, was ihr ist; nur, dass sie schlecht geträumt hat und noch immer dieselben Dinge sieht. „Wie grässlich, wenn die lebendig werden sollten.“ Während der Massage macht sie einiges durch Fragen ab, wird dann heiter, erzählt von ihrem Verkehr auf ihrem Witwensitz an der Ostsee, von den bedeutenden Männern, die sie aus der benachbarten Stadt als Gäste zu laden pflegt und dgl. 1 Ich verstand diese kleine Scene erst am nächsten Tag. Ihre ungeberdige Natur, die sich im Wachen wie im künstlichen Schlaf gegen jeden Zwang aufbäumte, hatte sie darüber zornig werden lassen, dass ich ihre Erzählung für vollendet nahm und sie durch meine abschliessende Suggestion unterbrach. Ich habe viele andere Beweise dafür, dass sie meine Arbeit in ihrem hypnotischen Bewusstsein kritisch überwachte. Wahrscheinlich wollte sie mir den Vorwurf machen, dass ich sie heute in der Erzählung störe, wie ich sie vorhin bei den Irrenhausgräueln gestört hatte, getraute sich dessen aber nicht, sondern brachte diese Nachträge anscheinend unvermittelt vor, ohne den verbindenden Gedankengang zu verrathen. Am nächsten Tag klärte mich dann eine verweisende Bemerkung über meinen Fehlgriff auf.

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Zitationshilfe: Breuer, Josef und Freud, Sigmund: Studien über Hysterie. Leipzig u. a., 1895, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/freud_hysterie_1895/56>, abgerufen am 28.04.2024.