Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.werden dürfte. Es stand ihm nun fest, daß die Schreiberin eine unglücklich verheirathete Frau war - gibt es überhaupt glücklich Verheirathete? daß sie Gewissensbisse hatte, weil sie zu weit gegangen; er hoffte, daß dieser Anfall vorübergehen und sie ihm zuführen werde, wenn nur er die Krise richtig benutzte. Und dazu fühlte er sich durchaus aufgelegt. Froh, daß auch ihm einmal wieder etwas zu thun blieb, und mehr denn je von dem Wunsch erfüllt, sie zu halten, dachte er sogleich auf eine Antwort, und die Worte glitten ihm warm vom Herzen in die Feder, ein volles Glücksgefühl kam über ihn, während er schrieb: Wer ist es, der dich für die Todten wirbt, Du wundervolle weiße Blume? Mit Unrecht ist's! du blühst im Heiligthume Sehnender Liebe, die aus Sehnsucht stirbt. Denn süße Leidenschaft enthüllt dein Duft; Du strömst ihn aus, als gält es, zu verbluten, Jäh zu vergeh'n in deinen weißen Gluten - Und du verschmähst mich? sprichst von Tod und Gruft? Kennst du das Leben? Wende dich nicht ab. Sieh, meine Wangen glühen purpurroth! Gib dich mir heute, morgen sind wir todt! Ich liebe dich! o wende dich nicht ab." Den folgenden Tag ging er in einem Rausch umher, der ihn trieb, sich vor keinem der Bekannten blicken zu lassen. Am Waldrand lag er, sah eine werden dürfte. Es stand ihm nun fest, daß die Schreiberin eine unglücklich verheirathete Frau war – gibt es überhaupt glücklich Verheirathete? daß sie Gewissensbisse hatte, weil sie zu weit gegangen; er hoffte, daß dieser Anfall vorübergehen und sie ihm zuführen werde, wenn nur er die Krise richtig benutzte. Und dazu fühlte er sich durchaus aufgelegt. Froh, daß auch ihm einmal wieder etwas zu thun blieb, und mehr denn je von dem Wunsch erfüllt, sie zu halten, dachte er sogleich auf eine Antwort, und die Worte glitten ihm warm vom Herzen in die Feder, ein volles Glücksgefühl kam über ihn, während er schrieb: Wer ist es, der dich für die Todten wirbt, Du wundervolle weiße Blume? Mit Unrecht ist’s! du blühst im Heiligthume Sehnender Liebe, die aus Sehnsucht stirbt. Denn süße Leidenschaft enthüllt dein Duft; Du strömst ihn aus, als gält es, zu verbluten, Jäh zu vergeh’n in deinen weißen Gluten – Und du verschmähst mich? sprichst von Tod und Gruft? Kennst du das Leben? Wende dich nicht ab. Sieh, meine Wangen glühen purpurroth! Gib dich mir heute, morgen sind wir todt! Ich liebe dich! o wende dich nicht ab.“ Den folgenden Tag ging er in einem Rausch umher, der ihn trieb, sich vor keinem der Bekannten blicken zu lassen. Am Waldrand lag er, sah eine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0074" n="66"/> werden dürfte. Es stand ihm nun fest, daß die Schreiberin eine unglücklich verheirathete Frau war – gibt es überhaupt glücklich Verheirathete? daß sie Gewissensbisse hatte, weil sie zu weit gegangen; er hoffte, daß dieser Anfall vorübergehen und sie ihm zuführen werde, wenn nur er die Krise richtig benutzte. Und dazu fühlte er sich durchaus aufgelegt. Froh, daß auch ihm einmal wieder etwas zu thun blieb, und mehr denn je von dem Wunsch erfüllt, sie zu halten, dachte er sogleich auf eine Antwort, und die Worte glitten ihm warm vom Herzen in die Feder, ein volles Glücksgefühl kam über ihn, während er schrieb:</p> <lg type="poem"> <lg> <l>Wer ist es, der dich für die Todten wirbt,</l><lb/> <l>Du wundervolle weiße Blume?</l><lb/> <l>Mit Unrecht ist’s! du blühst im Heiligthume</l><lb/> <l>Sehnender Liebe, die aus Sehnsucht stirbt.</l><lb/> </lg> <lg> <l>Denn süße Leidenschaft enthüllt dein Duft;</l><lb/> <l>Du strömst ihn aus, als gält es, zu verbluten,</l><lb/> <l>Jäh zu vergeh’n in deinen weißen Gluten –</l><lb/> <l>Und du verschmähst mich? sprichst von Tod und Gruft?</l><lb/> </lg> <lg> <l>Kennst du das Leben? Wende dich nicht ab.</l><lb/> <l>Sieh, meine Wangen glühen purpurroth!</l><lb/> <l>Gib dich mir heute, morgen sind wir todt!</l><lb/> <l>Ich liebe dich! o wende dich nicht ab.“</l><lb/> </lg> </lg> <p>Den folgenden Tag ging er in einem Rausch umher, der ihn trieb, sich vor keinem der Bekannten blicken zu lassen. Am Waldrand lag er, sah eine </p> </div> </body> </text> </TEI> [66/0074]
werden dürfte. Es stand ihm nun fest, daß die Schreiberin eine unglücklich verheirathete Frau war – gibt es überhaupt glücklich Verheirathete? daß sie Gewissensbisse hatte, weil sie zu weit gegangen; er hoffte, daß dieser Anfall vorübergehen und sie ihm zuführen werde, wenn nur er die Krise richtig benutzte. Und dazu fühlte er sich durchaus aufgelegt. Froh, daß auch ihm einmal wieder etwas zu thun blieb, und mehr denn je von dem Wunsch erfüllt, sie zu halten, dachte er sogleich auf eine Antwort, und die Worte glitten ihm warm vom Herzen in die Feder, ein volles Glücksgefühl kam über ihn, während er schrieb:
Wer ist es, der dich für die Todten wirbt,
Du wundervolle weiße Blume?
Mit Unrecht ist’s! du blühst im Heiligthume
Sehnender Liebe, die aus Sehnsucht stirbt.
Denn süße Leidenschaft enthüllt dein Duft;
Du strömst ihn aus, als gält es, zu verbluten,
Jäh zu vergeh’n in deinen weißen Gluten –
Und du verschmähst mich? sprichst von Tod und Gruft?
Kennst du das Leben? Wende dich nicht ab.
Sieh, meine Wangen glühen purpurroth!
Gib dich mir heute, morgen sind wir todt!
Ich liebe dich! o wende dich nicht ab.“
Den folgenden Tag ging er in einem Rausch umher, der ihn trieb, sich vor keinem der Bekannten blicken zu lassen. Am Waldrand lag er, sah eine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/74 |
Zitationshilfe: | Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/74>, abgerufen am 23.07.2024. |