Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.unbeschreibliche Verklärung über dem Thal; die erhöhte farbenbrennende Föhnstimmung über dem bronzenen Grün und dem türkisblauen See war ihm ein Spiegelbild seines Inneren. Lange hielt es ihn nicht draußen, er mußte wieder heim, mußte sehen, ob kein Brief für ihn da sei, ein hastiger Blick in die Thür, ein Kopfschütteln und Herumsuchen unter den Papieren des Schreibtisches, und dann wieder hinaus, denn es litt ihn nicht im geschlossenen Raum. Er hoffte zuversichtlich auf einen krönenden Schluß. Irgendwo wird sich doch eine Thür aufthun und sie hervorgehen, geradeswegs in seine Arme. Er brauchte diesmal nicht lange zu warten. Am zweiten Tage schon lag die ersehnte Antwort für ihn da. Sein Herz schlug, da er sie in die Hand nahm. Er ging an die Thür, schob den Riegel vor, wusch sich die heißen Hände und warf sich aufs Sopha, um in aller äußeren Ruhe zu lesen; er hatte sich, seit er das Couvert gesehen, fortwährend wiederholt, daß sich jetzt sein Schicksal entscheiden wolle. Er las: Eine arme Seele sitzt gefangen. Draußen singt es vor den Kerkerwänden. Nimmer wird ins Freie sie gelangen, Bleigewichte trägt sie an den Händen. Bleigewichte trägt sie an den Füßen.
Draußen liegt das Land, das sie verbannte, Draußen lockt die Stimme, die bekannte, Nur ihr Seufzer darf hinüber grüßen. unbeschreibliche Verklärung über dem Thal; die erhöhte farbenbrennende Föhnstimmung über dem bronzenen Grün und dem türkisblauen See war ihm ein Spiegelbild seines Inneren. Lange hielt es ihn nicht draußen, er mußte wieder heim, mußte sehen, ob kein Brief für ihn da sei, ein hastiger Blick in die Thür, ein Kopfschütteln und Herumsuchen unter den Papieren des Schreibtisches, und dann wieder hinaus, denn es litt ihn nicht im geschlossenen Raum. Er hoffte zuversichtlich auf einen krönenden Schluß. Irgendwo wird sich doch eine Thür aufthun und sie hervorgehen, geradeswegs in seine Arme. Er brauchte diesmal nicht lange zu warten. Am zweiten Tage schon lag die ersehnte Antwort für ihn da. Sein Herz schlug, da er sie in die Hand nahm. Er ging an die Thür, schob den Riegel vor, wusch sich die heißen Hände und warf sich aufs Sopha, um in aller äußeren Ruhe zu lesen; er hatte sich, seit er das Couvert gesehen, fortwährend wiederholt, daß sich jetzt sein Schicksal entscheiden wolle. Er las: Eine arme Seele sitzt gefangen. Draußen singt es vor den Kerkerwänden. Nimmer wird ins Freie sie gelangen, Bleigewichte trägt sie an den Händen. Bleigewichte trägt sie an den Füßen.
Draußen liegt das Land, das sie verbannte, Draußen lockt die Stimme, die bekannte, Nur ihr Seufzer darf hinüber grüßen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0075" n="67"/> unbeschreibliche Verklärung über dem Thal; die erhöhte farbenbrennende Föhnstimmung über dem bronzenen Grün und dem türkisblauen See war ihm ein Spiegelbild seines Inneren. Lange hielt es ihn nicht draußen, er mußte wieder heim, mußte sehen, ob kein Brief für ihn da sei, ein hastiger Blick in die Thür, ein Kopfschütteln und Herumsuchen unter den Papieren des Schreibtisches, und dann wieder hinaus, denn es litt ihn nicht im geschlossenen Raum. Er hoffte zuversichtlich auf einen krönenden Schluß. Irgendwo wird sich doch eine Thür aufthun und sie hervorgehen, geradeswegs in seine Arme. Er brauchte diesmal nicht lange zu warten. Am zweiten Tage schon lag die ersehnte Antwort für ihn da. Sein Herz schlug, da er sie in die Hand nahm. Er ging an die Thür, schob den Riegel vor, wusch sich die heißen Hände und warf sich aufs Sopha, um in aller äußeren Ruhe zu lesen; er hatte sich, seit er das Couvert gesehen, fortwährend wiederholt, daß sich jetzt sein Schicksal entscheiden wolle. Er las:</p> <lg type="poem"> <lg> <l>Eine arme Seele sitzt gefangen.</l><lb/> <l>Draußen singt es vor den Kerkerwänden.</l><lb/> <l>Nimmer wird ins Freie sie gelangen,</l><lb/> <l>Bleigewichte trägt sie an den Händen.</l><lb/> </lg> <lg> <l>Bleigewichte trägt sie an den Füßen.</l><lb/> <l>Draußen liegt das Land, das sie verbannte,</l><lb/> <l>Draußen lockt die Stimme, die bekannte,</l><lb/> <l>Nur ihr Seufzer darf hinüber grüßen.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [67/0075]
unbeschreibliche Verklärung über dem Thal; die erhöhte farbenbrennende Föhnstimmung über dem bronzenen Grün und dem türkisblauen See war ihm ein Spiegelbild seines Inneren. Lange hielt es ihn nicht draußen, er mußte wieder heim, mußte sehen, ob kein Brief für ihn da sei, ein hastiger Blick in die Thür, ein Kopfschütteln und Herumsuchen unter den Papieren des Schreibtisches, und dann wieder hinaus, denn es litt ihn nicht im geschlossenen Raum. Er hoffte zuversichtlich auf einen krönenden Schluß. Irgendwo wird sich doch eine Thür aufthun und sie hervorgehen, geradeswegs in seine Arme. Er brauchte diesmal nicht lange zu warten. Am zweiten Tage schon lag die ersehnte Antwort für ihn da. Sein Herz schlug, da er sie in die Hand nahm. Er ging an die Thür, schob den Riegel vor, wusch sich die heißen Hände und warf sich aufs Sopha, um in aller äußeren Ruhe zu lesen; er hatte sich, seit er das Couvert gesehen, fortwährend wiederholt, daß sich jetzt sein Schicksal entscheiden wolle. Er las:
Eine arme Seele sitzt gefangen.
Draußen singt es vor den Kerkerwänden.
Nimmer wird ins Freie sie gelangen,
Bleigewichte trägt sie an den Händen.
Bleigewichte trägt sie an den Füßen.
Draußen liegt das Land, das sie verbannte,
Draußen lockt die Stimme, die bekannte,
Nur ihr Seufzer darf hinüber grüßen.
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