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Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895.

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im Banne der glücklichen, kindlich frommen Tonseele, wußte, daß sie in jedem Augenblick ihrer gedachten. Und diese frohe Beruhigung erzeugte die zweite: unsere Tochter fühlt alles wie wir! Sie gehört - wie wir - zu den Begnadeten, für die es jene zweite bessere Welt auf Erden gibt, wo alles sich zu lösen vermag, das Reich, das nicht von dieser Welt ist, wenn auch mit ihr verknüpft durch die subtilsten und stärksten Fäden, das Reich der Kunst! Da sind wir nicht Eltern und Kind, da sind wir Genießende an einer Tafel, Seite an Seite.

Arme Emilie, wer wollte Dir's nicht nachfühlen, daß es Dir leichter war, von der Erde zu scheiden, als Abschied zu nehmen von der Kunst. Die Stimme, Dein Flügel, der Dich hatte hinaustragen sollen aus der Gemeinschaft mit den dumpfen Seelen, vernichtet, gebrochen - wie konntest Du Dich wieder zurechtfinden? O, sie hätten Dich untergekriegt mit ihrem ewig mahnenden gemeinen Bedürfniß lieber schnell untergehen, als langsam verkümmern - -

,O Du, für den ich ward! Mein Schirm, mein Schild, mein All!' sang die Eva. Nein, es war die Liebe, die Hingebung selbst, die dort sang! Solch einen Sopran hatte Frau Schaible noch nie gehört Auch der Souffleur war in die Höhe geschossen, reckte und streckte sich aufgeregt, um in den Saal nach dem Podium zu blicken. ,Die Kühle des Abends, o wie

im Banne der glücklichen, kindlich frommen Tonseele, wußte, daß sie in jedem Augenblick ihrer gedachten. Und diese frohe Beruhigung erzeugte die zweite: unsere Tochter fühlt alles wie wir! Sie gehört – wie wir – zu den Begnadeten, für die es jene zweite bessere Welt auf Erden gibt, wo alles sich zu lösen vermag, das Reich, das nicht von dieser Welt ist, wenn auch mit ihr verknüpft durch die subtilsten und stärksten Fäden, das Reich der Kunst! Da sind wir nicht Eltern und Kind, da sind wir Genießende an einer Tafel, Seite an Seite.

Arme Emilie, wer wollte Dir’s nicht nachfühlen, daß es Dir leichter war, von der Erde zu scheiden, als Abschied zu nehmen von der Kunst. Die Stimme, Dein Flügel, der Dich hatte hinaustragen sollen aus der Gemeinschaft mit den dumpfen Seelen, vernichtet, gebrochen – wie konntest Du Dich wieder zurechtfinden? O, sie hätten Dich untergekriegt mit ihrem ewig mahnenden gemeinen Bedürfniß lieber schnell untergehen, als langsam verkümmern – –

‚O Du, für den ich ward! Mein Schirm, mein Schild, mein All!’ sang die Eva. Nein, es war die Liebe, die Hingebung selbst, die dort sang! Solch einen Sopran hatte Frau Schaible noch nie gehört Auch der Souffleur war in die Höhe geschossen, reckte und streckte sich aufgeregt, um in den Saal nach dem Podium zu blicken. ‚Die Kühle des Abends, o wie

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[297/0305] im Banne der glücklichen, kindlich frommen Tonseele, wußte, daß sie in jedem Augenblick ihrer gedachten. Und diese frohe Beruhigung erzeugte die zweite: unsere Tochter fühlt alles wie wir! Sie gehört – wie wir – zu den Begnadeten, für die es jene zweite bessere Welt auf Erden gibt, wo alles sich zu lösen vermag, das Reich, das nicht von dieser Welt ist, wenn auch mit ihr verknüpft durch die subtilsten und stärksten Fäden, das Reich der Kunst! Da sind wir nicht Eltern und Kind, da sind wir Genießende an einer Tafel, Seite an Seite. Arme Emilie, wer wollte Dir’s nicht nachfühlen, daß es Dir leichter war, von der Erde zu scheiden, als Abschied zu nehmen von der Kunst. Die Stimme, Dein Flügel, der Dich hatte hinaustragen sollen aus der Gemeinschaft mit den dumpfen Seelen, vernichtet, gebrochen – wie konntest Du Dich wieder zurechtfinden? O, sie hätten Dich untergekriegt mit ihrem ewig mahnenden gemeinen Bedürfniß lieber schnell untergehen, als langsam verkümmern – – ‚O Du, für den ich ward! Mein Schirm, mein Schild, mein All!’ sang die Eva. Nein, es war die Liebe, die Hingebung selbst, die dort sang! Solch einen Sopran hatte Frau Schaible noch nie gehört Auch der Souffleur war in die Höhe geschossen, reckte und streckte sich aufgeregt, um in den Saal nach dem Podium zu blicken. ‚Die Kühle des Abends, o wie

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse [i. e. Ilse Akunian]: Flügel auf! Novellen. Berlin, 1895, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_fluegel_1895/305>, abgerufen am 11.06.2024.