nen Ahorndolden auf den Boden, ihr Honigduft kam in Wellen angetrieben; in dem noch winterschwarzen Epheu an den Hauswänden lärmten die Spatzen. Wolff blieb stehen und zog die Uhr. Dann sagten Beide mit dem gleichen lebhaften Ton und Aufblick: "Wann sehen wir uns wieder?" Und schnell be¬ schlossen sie, daß es schon morgen sein solle, in Wolff's Atelier. Mit festem Händedruck schieden sie; der Ver¬ liebte kehrte auf seinem Wege um -- und zu dem Spitzer'schen Hause zurück, nicht ohne viel ironisches Kopfschütteln über sich selbst und den Rath an den neuen Freund, seine Freiheit festzuhalten; Alfred schlenderte noch ziellos weiter. Der sanfte Abend hatte es ihm angethan; dazu all' dies Liebesgesäusel. Der Gedanke an seinen kahlen Käfig schreckte ihn mehr als je -- ach, es drang keine holde Stimme mehr herein, es kamen keine Götterbilder mehr zu Besuch. Eine stille Sehnsucht nach den Abenden, da er ihr zugehört, ergriff ihn, als habe er nur damals wirk¬ lich gelebt -- die Erinnerung an die ihm wider¬ fahrene Enttäuschung drängte er gewaltsam zurück, sobald sie wieder aufsteigen wollte. Er gerieth zu¬ letzt in eine solche Verträumung hinein, daß es ihm deutlich war, als sage Jemand ihm ins Ohr: "Geh nach Hause, sie ist wieder da." Er stürmte nun heim und trat klopfenden Herzens in sein Zimmerchen; es war von außen verschlossen, das kam ihm garnicht
nen Ahorndolden auf den Boden, ihr Honigduft kam in Wellen angetrieben; in dem noch winterſchwarzen Epheu an den Hauswänden lärmten die Spatzen. Wolff blieb ſtehen und zog die Uhr. Dann ſagten Beide mit dem gleichen lebhaften Ton und Aufblick: „Wann ſehen wir uns wieder?“ Und ſchnell be¬ ſchloſſen ſie, daß es ſchon morgen ſein ſolle, in Wolff's Atelier. Mit feſtem Händedruck ſchieden ſie; der Ver¬ liebte kehrte auf ſeinem Wege um — und zu dem Spitzer'ſchen Hauſe zurück, nicht ohne viel ironiſches Kopfſchütteln über ſich ſelbſt und den Rath an den neuen Freund, ſeine Freiheit feſtzuhalten; Alfred ſchlenderte noch ziellos weiter. Der ſanfte Abend hatte es ihm angethan; dazu all' dies Liebesgeſäuſel. Der Gedanke an ſeinen kahlen Käfig ſchreckte ihn mehr als je — ach, es drang keine holde Stimme mehr herein, es kamen keine Götterbilder mehr zu Beſuch. Eine ſtille Sehnſucht nach den Abenden, da er ihr zugehört, ergriff ihn, als habe er nur damals wirk¬ lich gelebt — die Erinnerung an die ihm wider¬ fahrene Enttäuſchung drängte er gewaltſam zurück, ſobald ſie wieder aufſteigen wollte. Er gerieth zu¬ letzt in eine ſolche Verträumung hinein, daß es ihm deutlich war, als ſage Jemand ihm ins Ohr: „Geh nach Hauſe, ſie iſt wieder da.“ Er ſtürmte nun heim und trat klopfenden Herzens in ſein Zimmerchen; es war von außen verſchloſſen, das kam ihm garnicht
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nen Ahorndolden auf den Boden, ihr Honigduft kam
in Wellen angetrieben; in dem noch winterſchwarzen
Epheu an den Hauswänden lärmten die Spatzen.
Wolff blieb ſtehen und zog die Uhr. Dann ſagten
Beide mit dem gleichen lebhaften Ton und Aufblick:
„Wann ſehen wir uns wieder?“ Und ſchnell be¬
ſchloſſen ſie, daß es ſchon morgen ſein ſolle, in Wolff's
Atelier. Mit feſtem Händedruck ſchieden ſie; der Ver¬
liebte kehrte auf ſeinem Wege um — und zu dem
Spitzer'ſchen Hauſe zurück, nicht ohne viel ironiſches
Kopfſchütteln über ſich ſelbſt und den Rath an den
neuen Freund, ſeine Freiheit feſtzuhalten; Alfred
ſchlenderte noch ziellos weiter. Der ſanfte Abend
hatte es ihm angethan; dazu all' dies Liebesgeſäuſel.
Der Gedanke an ſeinen kahlen Käfig ſchreckte ihn mehr
als je — ach, es drang keine holde Stimme mehr
herein, es kamen keine Götterbilder mehr zu Beſuch.
Eine ſtille Sehnſucht nach den Abenden, da er ihr
zugehört, ergriff ihn, als habe er nur damals wirk¬
lich gelebt — die Erinnerung an die ihm wider¬
fahrene Enttäuſchung drängte er gewaltſam zurück,
ſobald ſie wieder aufſteigen wollte. Er gerieth zu¬
letzt in eine ſolche Verträumung hinein, daß es ihm
deutlich war, als ſage Jemand ihm ins Ohr: „Geh
nach Hauſe, ſie iſt wieder da.“ Er ſtürmte nun heim
und trat klopfenden Herzens in ſein Zimmerchen; es
war von außen verſchloſſen, das kam ihm garnicht
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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