zum Bewußtsein. Als er ein leises Rascheln hörte, fuhr er zusammen und tastete noch im Dunkeln auf seiner Bettdecke umher, ob nicht etwa das Kätzchen wieder dasitze. Er fand natürlich nichts, nur auf dem Fußboden lag ein Brief, den der Postbote durch die Thürritze geschoben haben mochte. Bei der unruhig flackernden Kerze las er die Adresse; es war seines Meisters Handschrift; er legte den Brief ungelesen bei Seit'. Doch war mit den bekannten markigen Zügen soviel Tageslicht in seine Dämmerung gefallen, daß er sich wieder einmal wie einen Dritten, der ihn nicht viel anging, betrachten konnte. Also weil man das Höchste nicht erreichen kann, zum Faullenzer werden, der überhaupt nicht mehr den Finger rührt; weil man auf eine schöne Stimme gehorcht, die leider einem häßlichen Körper gehört, sich einreden, man sei ver¬ liebt, natürlich hoffnungslos, unglücklich! So also hat das Leben bei meinem ersten Ausflug auf mich gewirkt; so schwach findet es mich. Bin ich aber schwach, so tauge ich nichts und thäte gut, mich sel¬ ber zu begraben. Hab' ich dazu Lust? Ach nein, auch das nicht! Was will ich denn? Nun, etwas leisten und glücklich sein! Gut, so fange an lieber zu arbeiten, gleich morgen schon! Und verliebe Dich nicht wieder in eine Stimme ohne Körper. Die Stimme ist Dir aus dem Weg gegangen, Du hast's ja
zum Bewußtſein. Als er ein leiſes Raſcheln hörte, fuhr er zuſammen und taſtete noch im Dunkeln auf ſeiner Bettdecke umher, ob nicht etwa das Kätzchen wieder daſitze. Er fand natürlich nichts, nur auf dem Fußboden lag ein Brief, den der Poſtbote durch die Thürritze geſchoben haben mochte. Bei der unruhig flackernden Kerze las er die Adreſſe; es war ſeines Meiſters Handſchrift; er legte den Brief ungeleſen bei Seit'. Doch war mit den bekannten markigen Zügen ſoviel Tageslicht in ſeine Dämmerung gefallen, daß er ſich wieder einmal wie einen Dritten, der ihn nicht viel anging, betrachten konnte. Alſo weil man das Höchſte nicht erreichen kann, zum Faullenzer werden, der überhaupt nicht mehr den Finger rührt; weil man auf eine ſchöne Stimme gehorcht, die leider einem häßlichen Körper gehört, ſich einreden, man ſei ver¬ liebt, natürlich hoffnungslos, unglücklich! So alſo hat das Leben bei meinem erſten Ausflug auf mich gewirkt; ſo ſchwach findet es mich. Bin ich aber ſchwach, ſo tauge ich nichts und thäte gut, mich ſel¬ ber zu begraben. Hab' ich dazu Luſt? Ach nein, auch das nicht! Was will ich denn? Nun, etwas leiſten und glücklich ſein! Gut, ſo fange an lieber zu arbeiten, gleich morgen ſchon! Und verliebe Dich nicht wieder in eine Stimme ohne Körper. Die Stimme iſt Dir aus dem Weg gegangen, Du haſt's ja
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zum Bewußtſein. Als er ein leiſes Raſcheln hörte,
fuhr er zuſammen und taſtete noch im Dunkeln auf
ſeiner Bettdecke umher, ob nicht etwa das Kätzchen
wieder daſitze. Er fand natürlich nichts, nur auf dem
Fußboden lag ein Brief, den der Poſtbote durch die
Thürritze geſchoben haben mochte. Bei der unruhig
flackernden Kerze las er die Adreſſe; es war ſeines
Meiſters Handſchrift; er legte den Brief ungeleſen bei
Seit'. Doch war mit den bekannten markigen Zügen
ſoviel Tageslicht in ſeine Dämmerung gefallen, daß
er ſich wieder einmal wie einen Dritten, der ihn nicht
viel anging, betrachten konnte. Alſo weil man das
Höchſte nicht erreichen kann, zum Faullenzer werden,
der überhaupt nicht mehr den Finger rührt; weil
man auf eine ſchöne Stimme gehorcht, die leider einem
häßlichen Körper gehört, ſich einreden, man ſei ver¬
liebt, natürlich hoffnungslos, unglücklich! So alſo
hat das Leben bei meinem erſten Ausflug auf mich
gewirkt; ſo ſchwach findet es mich. Bin ich aber
ſchwach, ſo tauge ich nichts und thäte gut, mich ſel¬
ber zu begraben. Hab' ich dazu Luſt? Ach nein,
auch das nicht! Was will ich denn? Nun, etwas
leiſten und glücklich ſein! Gut, ſo fange an lieber
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/58>, abgerufen am 24.11.2024.
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