Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

leicht, "die Kleine hat diesen Namen für mich aus¬
gedacht, weil ich ihr manchmal den Text lese; ich bin
der einzige Protestant, den sie kennt, und obgleich sie
keine rechte Idee von dem Unterschiede hat, nennt sie
mich doch auch manchmal "Ketzerl". Er erröthete
wieder. "Sie ist nicht wie Andre, es ist keine Bos¬
heit dabei, Sie dürfen das glauben," sagte er eifrig,
"ich könnte Ihnen Züge erzählen, Züge von Güte
-- o nicht gegen mich, -- nein, darauf gründe ich
meine einzige Hoffnung, sie kann mich nicht ausstehen
-- das ist doch immerhin eine Auszeichnung."

Alfred streifte ihn mit einem verwunderten Sei¬
tenblick. O diese Liebe! Ein ernsthafter Mann mit
einem großen Bart, gewiß zehn Jahre älter als er,
und ganz erfüllt von diesem kleinen Mädchen! Es
ist doch etwas Unheimliches, dachte er. Und zugleich
sehnte er sich, diesen unheimlichen Zwang auch ein¬
mal im vollen Umfang an sich zu erleben. Der Kuß
auf der Treppe fiel ihm wieder ein. Es schoß ihm
heiß durch die Glieder. Das hier war doch Alles nur
Spielerei.

Das Fräulein trat wieder aus dem Haus, hinter
ihr das Mädchen mit einem Brett voll Bierkrügen.
Zuletzt erschien der Vater auf der Treppe und rief in
den Garten hinab: "Bier! Bier!"

Ein zustimmender Ruf antwortete, und die jun¬
gen Leute stiegen zu der Veranda hinauf, wo auf

leicht, „die Kleine hat dieſen Namen für mich aus¬
gedacht, weil ich ihr manchmal den Text leſe; ich bin
der einzige Proteſtant, den ſie kennt, und obgleich ſie
keine rechte Idee von dem Unterſchiede hat, nennt ſie
mich doch auch manchmal „Ketzerl“. Er erröthete
wieder. „Sie iſt nicht wie Andre, es iſt keine Bos¬
heit dabei, Sie dürfen das glauben,“ ſagte er eifrig,
„ich könnte Ihnen Züge erzählen, Züge von Güte
— o nicht gegen mich, — nein, darauf gründe ich
meine einzige Hoffnung, ſie kann mich nicht ausſtehen
— das iſt doch immerhin eine Auszeichnung.“

Alfred ſtreifte ihn mit einem verwunderten Sei¬
tenblick. O dieſe Liebe! Ein ernſthafter Mann mit
einem großen Bart, gewiß zehn Jahre älter als er,
und ganz erfüllt von dieſem kleinen Mädchen! Es
iſt doch etwas Unheimliches, dachte er. Und zugleich
ſehnte er ſich, dieſen unheimlichen Zwang auch ein¬
mal im vollen Umfang an ſich zu erleben. Der Kuß
auf der Treppe fiel ihm wieder ein. Es ſchoß ihm
heiß durch die Glieder. Das hier war doch Alles nur
Spielerei.

Das Fräulein trat wieder aus dem Haus, hinter
ihr das Mädchen mit einem Brett voll Bierkrügen.
Zuletzt erſchien der Vater auf der Treppe und rief in
den Garten hinab: „Bier! Bier!“

Ein zuſtimmender Ruf antwortete, und die jun¬
gen Leute ſtiegen zu der Veranda hinauf, wo auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0050" n="34"/>
leicht, &#x201E;die Kleine hat die&#x017F;en Namen für mich aus¬<lb/>
gedacht, weil ich ihr manchmal den Text le&#x017F;e; ich bin<lb/>
der einzige Prote&#x017F;tant, den &#x017F;ie kennt, und obgleich &#x017F;ie<lb/>
keine rechte Idee von dem Unter&#x017F;chiede hat, nennt &#x017F;ie<lb/>
mich doch auch manchmal &#x201E;Ketzerl&#x201C;. Er erröthete<lb/>
wieder. &#x201E;Sie i&#x017F;t nicht wie Andre, es i&#x017F;t keine Bos¬<lb/>
heit dabei, Sie dürfen das glauben,&#x201C; &#x017F;agte er eifrig,<lb/>
&#x201E;ich könnte Ihnen Züge erzählen, Züge von Güte<lb/>
&#x2014; o nicht gegen mich, &#x2014; nein, darauf gründe ich<lb/>
meine einzige Hoffnung, &#x017F;ie kann mich nicht aus&#x017F;tehen<lb/>
&#x2014; das i&#x017F;t doch immerhin eine Auszeichnung.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Alfred &#x017F;treifte ihn mit einem verwunderten Sei¬<lb/>
tenblick. O die&#x017F;e Liebe! Ein ern&#x017F;thafter Mann mit<lb/>
einem großen Bart, gewiß zehn Jahre älter als er,<lb/>
und ganz erfüllt von die&#x017F;em kleinen Mädchen! Es<lb/>
i&#x017F;t doch etwas Unheimliches, dachte er. Und zugleich<lb/>
&#x017F;ehnte er &#x017F;ich, die&#x017F;en unheimlichen Zwang auch ein¬<lb/>
mal im vollen Umfang an &#x017F;ich zu erleben. Der Kuß<lb/>
auf der Treppe fiel ihm wieder ein. Es &#x017F;choß ihm<lb/>
heiß durch die Glieder. Das hier war doch Alles nur<lb/>
Spielerei.</p><lb/>
        <p>Das Fräulein trat wieder aus dem Haus, hinter<lb/>
ihr das Mädchen mit einem Brett voll Bierkrügen.<lb/>
Zuletzt er&#x017F;chien der Vater auf der Treppe und rief in<lb/>
den Garten hinab: &#x201E;Bier! Bier!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Ein zu&#x017F;timmender Ruf antwortete, und die jun¬<lb/>
gen Leute &#x017F;tiegen zu der Veranda hinauf, wo auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0050] leicht, „die Kleine hat dieſen Namen für mich aus¬ gedacht, weil ich ihr manchmal den Text leſe; ich bin der einzige Proteſtant, den ſie kennt, und obgleich ſie keine rechte Idee von dem Unterſchiede hat, nennt ſie mich doch auch manchmal „Ketzerl“. Er erröthete wieder. „Sie iſt nicht wie Andre, es iſt keine Bos¬ heit dabei, Sie dürfen das glauben,“ ſagte er eifrig, „ich könnte Ihnen Züge erzählen, Züge von Güte — o nicht gegen mich, — nein, darauf gründe ich meine einzige Hoffnung, ſie kann mich nicht ausſtehen — das iſt doch immerhin eine Auszeichnung.“ Alfred ſtreifte ihn mit einem verwunderten Sei¬ tenblick. O dieſe Liebe! Ein ernſthafter Mann mit einem großen Bart, gewiß zehn Jahre älter als er, und ganz erfüllt von dieſem kleinen Mädchen! Es iſt doch etwas Unheimliches, dachte er. Und zugleich ſehnte er ſich, dieſen unheimlichen Zwang auch ein¬ mal im vollen Umfang an ſich zu erleben. Der Kuß auf der Treppe fiel ihm wieder ein. Es ſchoß ihm heiß durch die Glieder. Das hier war doch Alles nur Spielerei. Das Fräulein trat wieder aus dem Haus, hinter ihr das Mädchen mit einem Brett voll Bierkrügen. Zuletzt erſchien der Vater auf der Treppe und rief in den Garten hinab: „Bier! Bier!“ Ein zuſtimmender Ruf antwortete, und die jun¬ gen Leute ſtiegen zu der Veranda hinauf, wo auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/50
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/50>, abgerufen am 19.04.2024.