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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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mein Peterl wiedergebracht haben und bitt' um Ent¬
schuldigung wegen der Belästigung," sagte die Sän¬
gerin ruhig, "und wenn die Musik Sie Abends ge¬
nirt, so kann ich zu andrer Zeit singen --"

"O nein -- nicht doch -- es war ja nur --
weil -- sein Sie mir nicht böse --"

"Weil Ihnen mein Gesicht nicht gefällt?" sagte
sie leise, -- "da sein Sie nur ruhig, mir gefällt's
auch nicht; nein, ich bin nicht böse, es sind schon
mehr an mir verschrocken. -- Nicht dorthin, bitte, da
geht's hinaus. Warten Sie, die Treppen möchten
schon dunkel sein."

Sie nahm einen Leuchter vom Clavier und be¬
gleitete ihn hinaus. "Sie haben keinen Hut, Sie
wohnen im Haus hier?" fragte sie. Als sie hörte,
er habe ihn vergessen, bat sie ihn, mit umzukehren.
"Es möcht' kalt sein, so über die Straß'; 's ist noch
ein Hut da vom verstorbenen Bruder, warten Sie."

Er saß in Beklemmung und wagte kaum, sich in
dem bücherreichen, behaglichen Zimmer umzusehen.
Ach, diese schlichte, unbefangene Freundlichkeit über¬
zeugte ihn, daß er leider nicht geträumt habe. Die
süße Märchenstimme war körperlos, und die Bilder
alle, die er geschaut, waren trügende Luftspiegelungen
gewesen, die er nimmermehr würde festhalten können.
Eine Art Erbitterung gegen die Sängerin ergriff ihn.
Verlocken und dann enttäuschen!

mein Peterl wiedergebracht haben und bitt' um Ent¬
ſchuldigung wegen der Beläſtigung,“ ſagte die Sän¬
gerin ruhig, „und wenn die Muſik Sie Abends ge¬
nirt, ſo kann ich zu andrer Zeit ſingen —“

„O nein — nicht doch — es war ja nur —
weil — ſein Sie mir nicht böſe —“

„Weil Ihnen mein Geſicht nicht gefällt?“ ſagte
ſie leiſe, — „da ſein Sie nur ruhig, mir gefällt's
auch nicht; nein, ich bin nicht böſe, es ſind ſchon
mehr an mir verſchrocken. — Nicht dorthin, bitte, da
geht's hinaus. Warten Sie, die Treppen möchten
ſchon dunkel ſein.“

Sie nahm einen Leuchter vom Clavier und be¬
gleitete ihn hinaus. „Sie haben keinen Hut, Sie
wohnen im Haus hier?“ fragte ſie. Als ſie hörte,
er habe ihn vergeſſen, bat ſie ihn, mit umzukehren.
„Es möcht' kalt ſein, ſo über die Straß'; 's iſt noch
ein Hut da vom verſtorbenen Bruder, warten Sie.“

Er ſaß in Beklemmung und wagte kaum, ſich in
dem bücherreichen, behaglichen Zimmer umzuſehen.
Ach, dieſe ſchlichte, unbefangene Freundlichkeit über¬
zeugte ihn, daß er leider nicht geträumt habe. Die
ſüße Märchenſtimme war körperlos, und die Bilder
alle, die er geſchaut, waren trügende Luftſpiegelungen
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Eine Art Erbitterung gegen die Sängerin ergriff ihn.
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[23/0039] mein Peterl wiedergebracht haben und bitt' um Ent¬ ſchuldigung wegen der Beläſtigung,“ ſagte die Sän¬ gerin ruhig, „und wenn die Muſik Sie Abends ge¬ nirt, ſo kann ich zu andrer Zeit ſingen —“ „O nein — nicht doch — es war ja nur — weil — ſein Sie mir nicht böſe —“ „Weil Ihnen mein Geſicht nicht gefällt?“ ſagte ſie leiſe, — „da ſein Sie nur ruhig, mir gefällt's auch nicht; nein, ich bin nicht böſe, es ſind ſchon mehr an mir verſchrocken. — Nicht dorthin, bitte, da geht's hinaus. Warten Sie, die Treppen möchten ſchon dunkel ſein.“ Sie nahm einen Leuchter vom Clavier und be¬ gleitete ihn hinaus. „Sie haben keinen Hut, Sie wohnen im Haus hier?“ fragte ſie. Als ſie hörte, er habe ihn vergeſſen, bat ſie ihn, mit umzukehren. „Es möcht' kalt ſein, ſo über die Straß'; 's iſt noch ein Hut da vom verſtorbenen Bruder, warten Sie.“ Er ſaß in Beklemmung und wagte kaum, ſich in dem bücherreichen, behaglichen Zimmer umzuſehen. Ach, dieſe ſchlichte, unbefangene Freundlichkeit über¬ zeugte ihn, daß er leider nicht geträumt habe. Die ſüße Märchenſtimme war körperlos, und die Bilder alle, die er geſchaut, waren trügende Luftſpiegelungen geweſen, die er nimmermehr würde feſthalten können. Eine Art Erbitterung gegen die Sängerin ergriff ihn. Verlocken und dann enttäuſchen!

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/39>, abgerufen am 26.04.2024.