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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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So enttäuschen! Und diese philisterhafte Er¬
kältungsfurcht! Warum sollte er nicht ohne Hut nach
Hause gehen? Er war schon im Begriff, fortzulaufen,
als sie mit einem großen grauen Filzhut in der Hand
eintrat.

"Nun kommen Sie, mein Mädchen ist schlafen
gegangen, und die Hausthür wird geschlossen sein."

Als sie die Treppen zusammen hinabgingen,
schlug es halb zwölf; ein Zugwind blies das Licht
aus. Ihr Kleid rauschte neben ihm auf der Stufe,
und er fühlte ihre warme Nähe. Wieder ergriff es
ihn wunderlich. Vielleicht war sie Nachts wieder,
was sie eigentlich war, flog es ihm durch den Kopf.
Er tastete leise nach ihr, umfing sie plötzlich und
küßte die Ahnungslose auf die Lippen. "Für all' die
süßen Lieder," hauchte er, "leide es nur! Muß ich
nicht auch all die Träume leiden?"

Sie hatte ihn schnell zurückgedrängt und das
Licht wieder entzündet.

"Gehen Sie," sagte sie traurig, ohne die Augen
zu erheben, "das war nicht recht, wir werden uns
nicht wiedersehen." -- Sie betonte die letzten Worte,
so daß sie einem Befehl gleichkamen, reichte ihm auch
nicht mehr die Hand, wie verlangend er die seine
ausstreckte, sondern schloß hastig die Thür hinter ihm.
Dann aber stand sie noch eine Weile, auf den Schritt
horchend, der drüben verklang. Als sie hinaufging,

So enttäuſchen! Und dieſe philiſterhafte Er¬
kältungsfurcht! Warum ſollte er nicht ohne Hut nach
Hauſe gehen? Er war ſchon im Begriff, fortzulaufen,
als ſie mit einem großen grauen Filzhut in der Hand
eintrat.

„Nun kommen Sie, mein Mädchen iſt ſchlafen
gegangen, und die Hausthür wird geſchloſſen ſein.“

Als ſie die Treppen zuſammen hinabgingen,
ſchlug es halb zwölf; ein Zugwind blies das Licht
aus. Ihr Kleid rauſchte neben ihm auf der Stufe,
und er fühlte ihre warme Nähe. Wieder ergriff es
ihn wunderlich. Vielleicht war ſie Nachts wieder,
was ſie eigentlich war, flog es ihm durch den Kopf.
Er taſtete leiſe nach ihr, umfing ſie plötzlich und
küßte die Ahnungsloſe auf die Lippen. „Für all' die
ſüßen Lieder,“ hauchte er, „leide es nur! Muß ich
nicht auch all die Träume leiden?“

Sie hatte ihn ſchnell zurückgedrängt und das
Licht wieder entzündet.

„Gehen Sie,“ ſagte ſie traurig, ohne die Augen
zu erheben, „das war nicht recht, wir werden uns
nicht wiederſehen.“ — Sie betonte die letzten Worte,
ſo daß ſie einem Befehl gleichkamen, reichte ihm auch
nicht mehr die Hand, wie verlangend er die ſeine
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[24/0040] So enttäuſchen! Und dieſe philiſterhafte Er¬ kältungsfurcht! Warum ſollte er nicht ohne Hut nach Hauſe gehen? Er war ſchon im Begriff, fortzulaufen, als ſie mit einem großen grauen Filzhut in der Hand eintrat. „Nun kommen Sie, mein Mädchen iſt ſchlafen gegangen, und die Hausthür wird geſchloſſen ſein.“ Als ſie die Treppen zuſammen hinabgingen, ſchlug es halb zwölf; ein Zugwind blies das Licht aus. Ihr Kleid rauſchte neben ihm auf der Stufe, und er fühlte ihre warme Nähe. Wieder ergriff es ihn wunderlich. Vielleicht war ſie Nachts wieder, was ſie eigentlich war, flog es ihm durch den Kopf. Er taſtete leiſe nach ihr, umfing ſie plötzlich und küßte die Ahnungsloſe auf die Lippen. „Für all' die ſüßen Lieder,“ hauchte er, „leide es nur! Muß ich nicht auch all die Träume leiden?“ Sie hatte ihn ſchnell zurückgedrängt und das Licht wieder entzündet. „Gehen Sie,“ ſagte ſie traurig, ohne die Augen zu erheben, „das war nicht recht, wir werden uns nicht wiederſehen.“ — Sie betonte die letzten Worte, ſo daß ſie einem Befehl gleichkamen, reichte ihm auch nicht mehr die Hand, wie verlangend er die ſeine ausſtreckte, ſondern ſchloß haſtig die Thür hinter ihm. Dann aber ſtand ſie noch eine Weile, auf den Schritt horchend, der drüben verklang. Als ſie hinaufging,

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/40>, abgerufen am 25.04.2024.