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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

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Thaler vermacht hatte. Solch einen Schatz in der
Tasche, und dazu fünfundzwanzig Jahre, Gesundheit,
leichtes Herz und Augen, die nach Schönheit dürsteten
und weit offen waren für die Lieblichkeit der Welt
-- er genoß sein Glück mit gerührter Seele. Ueber¬
muth war ihm fremd.

Er war hart auferzogen worden, hatte früh ums
Brot arbeiten müssen, seinem Vater, der Steinmetz
und schwach auf der Brust war, früh beispringen
müssen. Und wenn der Vater ein Grabkreuz zu meißeln
bekam, da war allemal Jemand gestorben, den der
kleine Alfred auch gekannt hatte, und zugleich mit der
Freude über den Auftrag kam eine weinende Nach¬
barin in die Thür, und der Kleine sah lieber frohe
Gesichter. So ging ihm der Ernst des Lebens früh¬
zeitig auf. -- Nun lebten die Eltern wohlversorgt
bei seiner älteren Schwester, die einen vermögenden
Holzhändler geheirathet hatte, und ihm war durch
das Vermächtniß des Onkels der heißeste Lebens¬
wunsch erfüllt. Was hatte er denn bis jetzt gelernt?
Er war der beste Schüler gewesen in der Gewerbe¬
schule, zu der er zwei Stunden weit täglich hatte
marschiren müssen. Pah, eine Gewerbeschule, die 's
ja schon durch ihren Namen ansagt, daß sie nichts
mit der Kunst zu schaffen habe. Danach freilich hatte
er bei einem tüchtigen Bildhauer in Hamburg ar¬
beiten dürfen, fünf Jahre lang. Aber hatte nicht

Thaler vermacht hatte. Solch einen Schatz in der
Taſche, und dazu fünfundzwanzig Jahre, Geſundheit,
leichtes Herz und Augen, die nach Schönheit dürſteten
und weit offen waren für die Lieblichkeit der Welt
— er genoß ſein Glück mit gerührter Seele. Ueber¬
muth war ihm fremd.

Er war hart auferzogen worden, hatte früh ums
Brot arbeiten müſſen, ſeinem Vater, der Steinmetz
und ſchwach auf der Bruſt war, früh beiſpringen
müſſen. Und wenn der Vater ein Grabkreuz zu meißeln
bekam, da war allemal Jemand geſtorben, den der
kleine Alfred auch gekannt hatte, und zugleich mit der
Freude über den Auftrag kam eine weinende Nach¬
barin in die Thür, und der Kleine ſah lieber frohe
Geſichter. So ging ihm der Ernſt des Lebens früh¬
zeitig auf. — Nun lebten die Eltern wohlverſorgt
bei ſeiner älteren Schweſter, die einen vermögenden
Holzhändler geheirathet hatte, und ihm war durch
das Vermächtniß des Onkels der heißeſte Lebens¬
wunſch erfüllt. Was hatte er denn bis jetzt gelernt?
Er war der beſte Schüler geweſen in der Gewerbe¬
ſchule, zu der er zwei Stunden weit täglich hatte
marſchiren müſſen. Pah, eine Gewerbeſchule, die 's
ja ſchon durch ihren Namen anſagt, daß ſie nichts
mit der Kunſt zu ſchaffen habe. Danach freilich hatte
er bei einem tüchtigen Bildhauer in Hamburg ar¬
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[5/0021] Thaler vermacht hatte. Solch einen Schatz in der Taſche, und dazu fünfundzwanzig Jahre, Geſundheit, leichtes Herz und Augen, die nach Schönheit dürſteten und weit offen waren für die Lieblichkeit der Welt — er genoß ſein Glück mit gerührter Seele. Ueber¬ muth war ihm fremd. Er war hart auferzogen worden, hatte früh ums Brot arbeiten müſſen, ſeinem Vater, der Steinmetz und ſchwach auf der Bruſt war, früh beiſpringen müſſen. Und wenn der Vater ein Grabkreuz zu meißeln bekam, da war allemal Jemand geſtorben, den der kleine Alfred auch gekannt hatte, und zugleich mit der Freude über den Auftrag kam eine weinende Nach¬ barin in die Thür, und der Kleine ſah lieber frohe Geſichter. So ging ihm der Ernſt des Lebens früh¬ zeitig auf. — Nun lebten die Eltern wohlverſorgt bei ſeiner älteren Schweſter, die einen vermögenden Holzhändler geheirathet hatte, und ihm war durch das Vermächtniß des Onkels der heißeſte Lebens¬ wunſch erfüllt. Was hatte er denn bis jetzt gelernt? Er war der beſte Schüler geweſen in der Gewerbe¬ ſchule, zu der er zwei Stunden weit täglich hatte marſchiren müſſen. Pah, eine Gewerbeſchule, die 's ja ſchon durch ihren Namen anſagt, daß ſie nichts mit der Kunſt zu ſchaffen habe. Danach freilich hatte er bei einem tüchtigen Bildhauer in Hamburg ar¬ beiten dürfen, fünf Jahre lang. Aber hatte nicht

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Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/21>, abgerufen am 23.04.2024.