ihren Most zugeschoben und ihr gar noch einen Wein gezahlt hatte, damit sie doch auch einmal "recht lustig" werde, und wie die alte, dicke Person, die den Mittag ein Essen für zwanzig Gäste hatte bereiten müssen, gar nicht lustig, sondern sehr schläfrig ge¬ worden und endlich im Garten des Bärenwirths in Gaisburg völlig eingeschlafen war. Wie die Monika damals gekichert und mit der Schlafenden ihren Scherz getrieben, und wie sie zuletzt ganz stille neben ihm gesessen und seine Hand gedrückt hatte, immer heißer, immer fester, daß es war, als wüchsen ihre Hände inein¬ ander. Und dazu hatte sie kein Wort mehr geredet, ihn nur angesehen von Zeit zu Zeit mit ihren feurigen, großen Augen. Und er selbst hatte auch nichts schwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬ geschnürt gewesen, und so sehr es ihn verlangt, den Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das war unmöglich gewesen, so hatten ihre Augen ihn in derselben Stellung festgehalten. In diesen Stun¬ den war es ihm zum erstenmal zur Gewißheit ge¬ worden, daß er sie heirathen müsse, obwohl sie ein ganz armes Mädchen sei. Er war ja zum guten Glück sein eigner Herr und konnte heirathen, wen er wollte. Vater und Mutter waren früh weggestorben; ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die alte Base, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten der Bäckerei vorstand, die ihm von den Eltern her
ihren Moſt zugeſchoben und ihr gar noch einen Wein gezahlt hatte, damit ſie doch auch einmal „recht luſtig“ werde, und wie die alte, dicke Perſon, die den Mittag ein Eſſen für zwanzig Gäſte hatte bereiten müſſen, gar nicht luſtig, ſondern ſehr ſchläfrig ge¬ worden und endlich im Garten des Bärenwirths in Gaisburg völlig eingeſchlafen war. Wie die Monika damals gekichert und mit der Schlafenden ihren Scherz getrieben, und wie ſie zuletzt ganz ſtille neben ihm geſeſſen und ſeine Hand gedrückt hatte, immer heißer, immer feſter, daß es war, als wüchſen ihre Hände inein¬ ander. Und dazu hatte ſie kein Wort mehr geredet, ihn nur angeſehen von Zeit zu Zeit mit ihren feurigen, großen Augen. Und er ſelbſt hatte auch nichts ſchwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬ geſchnürt geweſen, und ſo ſehr es ihn verlangt, den Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das war unmöglich geweſen, ſo hatten ihre Augen ihn in derſelben Stellung feſtgehalten. In dieſen Stun¬ den war es ihm zum erſtenmal zur Gewißheit ge¬ worden, daß er ſie heirathen müſſe, obwohl ſie ein ganz armes Mädchen ſei. Er war ja zum guten Glück ſein eigner Herr und konnte heirathen, wen er wollte. Vater und Mutter waren früh weggeſtorben; ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die alte Baſe, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten der Bäckerei vorſtand, die ihm von den Eltern her
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ihren Moſt zugeſchoben und ihr gar noch einen Wein
gezahlt hatte, damit ſie doch auch einmal „recht
luſtig“ werde, und wie die alte, dicke Perſon, die den
Mittag ein Eſſen für zwanzig Gäſte hatte bereiten
müſſen, gar nicht luſtig, ſondern ſehr ſchläfrig ge¬
worden und endlich im Garten des Bärenwirths in
Gaisburg völlig eingeſchlafen war. Wie die Monika
damals gekichert und mit der Schlafenden ihren
Scherz getrieben, und wie ſie zuletzt ganz ſtille neben ihm
geſeſſen und ſeine Hand gedrückt hatte, immer heißer,
immer feſter, daß es war, als wüchſen ihre Hände inein¬
ander. Und dazu hatte ſie kein Wort mehr geredet,
ihn nur angeſehen von Zeit zu Zeit mit ihren
feurigen, großen Augen. Und er ſelbſt hatte auch
nichts ſchwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬
geſchnürt geweſen, und ſo ſehr es ihn verlangt, den
Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das
war unmöglich geweſen, ſo hatten ihre Augen ihn
in derſelben Stellung feſtgehalten. In dieſen Stun¬
den war es ihm zum erſtenmal zur Gewißheit ge¬
worden, daß er ſie heirathen müſſe, obwohl ſie ein
ganz armes Mädchen ſei. Er war ja zum guten
Glück ſein eigner Herr und konnte heirathen, wen er
wollte. Vater und Mutter waren früh weggeſtorben;
ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die
alte Baſe, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten
der Bäckerei vorſtand, die ihm von den Eltern her
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Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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