Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren Most zugeschoben und ihr gar noch einen Wein
gezahlt hatte, damit sie doch auch einmal "recht
lustig" werde, und wie die alte, dicke Person, die den
Mittag ein Essen für zwanzig Gäste hatte bereiten
müssen, gar nicht lustig, sondern sehr schläfrig ge¬
worden und endlich im Garten des Bärenwirths in
Gaisburg völlig eingeschlafen war. Wie die Monika
damals gekichert und mit der Schlafenden ihren
Scherz getrieben, und wie sie zuletzt ganz stille neben ihm
gesessen und seine Hand gedrückt hatte, immer heißer,
immer fester, daß es war, als wüchsen ihre Hände inein¬
ander. Und dazu hatte sie kein Wort mehr geredet,
ihn nur angesehen von Zeit zu Zeit mit ihren
feurigen, großen Augen. Und er selbst hatte auch
nichts schwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬
geschnürt gewesen, und so sehr es ihn verlangt, den
Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das
war unmöglich gewesen, so hatten ihre Augen ihn
in derselben Stellung festgehalten. In diesen Stun¬
den war es ihm zum erstenmal zur Gewißheit ge¬
worden, daß er sie heirathen müsse, obwohl sie ein
ganz armes Mädchen sei. Er war ja zum guten
Glück sein eigner Herr und konnte heirathen, wen er
wollte. Vater und Mutter waren früh weggestorben;
ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die
alte Base, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten
der Bäckerei vorstand, die ihm von den Eltern her

ihren Moſt zugeſchoben und ihr gar noch einen Wein
gezahlt hatte, damit ſie doch auch einmal „recht
luſtig“ werde, und wie die alte, dicke Perſon, die den
Mittag ein Eſſen für zwanzig Gäſte hatte bereiten
müſſen, gar nicht luſtig, ſondern ſehr ſchläfrig ge¬
worden und endlich im Garten des Bärenwirths in
Gaisburg völlig eingeſchlafen war. Wie die Monika
damals gekichert und mit der Schlafenden ihren
Scherz getrieben, und wie ſie zuletzt ganz ſtille neben ihm
geſeſſen und ſeine Hand gedrückt hatte, immer heißer,
immer feſter, daß es war, als wüchſen ihre Hände inein¬
ander. Und dazu hatte ſie kein Wort mehr geredet,
ihn nur angeſehen von Zeit zu Zeit mit ihren
feurigen, großen Augen. Und er ſelbſt hatte auch
nichts ſchwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬
geſchnürt geweſen, und ſo ſehr es ihn verlangt, den
Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das
war unmöglich geweſen, ſo hatten ihre Augen ihn
in derſelben Stellung feſtgehalten. In dieſen Stun¬
den war es ihm zum erſtenmal zur Gewißheit ge¬
worden, daß er ſie heirathen müſſe, obwohl ſie ein
ganz armes Mädchen ſei. Er war ja zum guten
Glück ſein eigner Herr und konnte heirathen, wen er
wollte. Vater und Mutter waren früh weggeſtorben;
ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die
alte Baſe, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten
der Bäckerei vorſtand, die ihm von den Eltern her

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0178" n="162"/>
ihren Mo&#x017F;t zuge&#x017F;choben und ihr gar noch einen Wein<lb/>
gezahlt hatte, damit &#x017F;ie doch auch einmal &#x201E;recht<lb/>
lu&#x017F;tig&#x201C; werde, und wie die alte, dicke Per&#x017F;on, die den<lb/>
Mittag ein E&#x017F;&#x017F;en für zwanzig Gä&#x017F;te hatte bereiten<lb/>&#x017F;&#x017F;en, gar nicht lu&#x017F;tig, &#x017F;ondern &#x017F;ehr &#x017F;chläfrig ge¬<lb/>
worden und endlich im Garten des Bärenwirths in<lb/>
Gaisburg völlig einge&#x017F;chlafen war. Wie die Monika<lb/>
damals gekichert und mit der Schlafenden ihren<lb/>
Scherz getrieben, und wie &#x017F;ie zuletzt ganz &#x017F;tille neben ihm<lb/>
ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;eine Hand gedrückt hatte, immer heißer,<lb/>
immer fe&#x017F;ter, daß es war, als wüch&#x017F;en ihre Hände inein¬<lb/>
ander. Und dazu hatte &#x017F;ie kein Wort mehr geredet,<lb/>
ihn nur ange&#x017F;ehen von Zeit zu Zeit mit ihren<lb/>
feurigen, großen Augen. Und er &#x017F;elb&#x017F;t hatte auch<lb/>
nichts &#x017F;chwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬<lb/>
ge&#x017F;chnürt gewe&#x017F;en, und &#x017F;o &#x017F;ehr es ihn verlangt, den<lb/>
Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das<lb/>
war unmöglich gewe&#x017F;en, &#x017F;o hatten ihre Augen ihn<lb/>
in der&#x017F;elben Stellung fe&#x017F;tgehalten. In die&#x017F;en Stun¬<lb/>
den war es ihm zum er&#x017F;tenmal zur Gewißheit ge¬<lb/>
worden, daß er &#x017F;ie heirathen mü&#x017F;&#x017F;e, obwohl &#x017F;ie ein<lb/>
ganz armes Mädchen &#x017F;ei. Er war ja zum guten<lb/>
Glück &#x017F;ein eigner Herr und konnte heirathen, wen er<lb/>
wollte. Vater und Mutter waren früh wegge&#x017F;torben;<lb/>
ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die<lb/>
alte Ba&#x017F;e, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten<lb/>
der Bäckerei vor&#x017F;tand, die ihm von den Eltern her<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0178] ihren Moſt zugeſchoben und ihr gar noch einen Wein gezahlt hatte, damit ſie doch auch einmal „recht luſtig“ werde, und wie die alte, dicke Perſon, die den Mittag ein Eſſen für zwanzig Gäſte hatte bereiten müſſen, gar nicht luſtig, ſondern ſehr ſchläfrig ge¬ worden und endlich im Garten des Bärenwirths in Gaisburg völlig eingeſchlafen war. Wie die Monika damals gekichert und mit der Schlafenden ihren Scherz getrieben, und wie ſie zuletzt ganz ſtille neben ihm geſeſſen und ſeine Hand gedrückt hatte, immer heißer, immer feſter, daß es war, als wüchſen ihre Hände inein¬ ander. Und dazu hatte ſie kein Wort mehr geredet, ihn nur angeſehen von Zeit zu Zeit mit ihren feurigen, großen Augen. Und er ſelbſt hatte auch nichts ſchwätzen können, die Kehle war ihm wie zu¬ geſchnürt geweſen, und ſo ſehr es ihn verlangt, den Arm um des Mädchens Nacken zu legen, auch das war unmöglich geweſen, ſo hatten ihre Augen ihn in derſelben Stellung feſtgehalten. In dieſen Stun¬ den war es ihm zum erſtenmal zur Gewißheit ge¬ worden, daß er ſie heirathen müſſe, obwohl ſie ein ganz armes Mädchen ſei. Er war ja zum guten Glück ſein eigner Herr und konnte heirathen, wen er wollte. Vater und Mutter waren früh weggeſtorben; ihm lebten nur der Ohm, der ihn erzogen, und die alte Baſe, die jetzt daheim mit gemietheten Leuten der Bäckerei vorſtand, die ihm von den Eltern her

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/178
Zitationshilfe: Frapan, Ilse: Bittersüß. Novellen. Berlin, 1891, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/frapan_bittersuess_1891/178>, abgerufen am 09.10.2024.