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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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In solcher Stimmung giebt es keine größere Er¬
leichterung, als einen Theil seiner Last auf einen An¬
deren abzuwälzen, und so wendete ich mich denn, so¬
bald das Gefährt auf die weniger holpernde Landstraße
eingelenkt hatte, gegen den Begleiter, dessen milde Ge¬
lassenheit mich empörte.

"Wenn wir zu spät kommen, Probst," sagte ich
"wenn die Trauung vollzogen ist, so haben Sie eine
schwere Verantwortung auf sich geladen. Sie, der
Sie den Frevel hindern konnten und in bequemer
Scheu vor der Anklage es unterließen."

"Darf der Beichtstuhl zur Anklagebank werden,
Fräulein Hardine?" entgegnete er, "und war ich nicht
in der Lage des Beichtigers, der ein anvertrautes Ge¬
heimniß zu bewahren hat?"

"Sie hatten das Geheimniß nicht von einem
Beichtkinde, nicht zuerst wenigstens vom einem Beicht¬
kinde empfangen. Uebrigens sprechen Sie mit dieser
Auffassung sich selbst das Urtheil. Dem Manne, dem
Freunde, mochte Zartgefühl die Zunge binden; dem
Seelsorger war es Pflicht, ein Verbrechen seines Beicht¬
kindes zu verhüten."

"Und was thun, Fräulein Hardine?"

"Rathen, warnen, bedräuen; für die erste christ¬

In ſolcher Stimmung giebt es keine größere Er¬
leichterung, als einen Theil ſeiner Laſt auf einen An¬
deren abzuwälzen, und ſo wendete ich mich denn, ſo¬
bald das Gefährt auf die weniger holpernde Landſtraße
eingelenkt hatte, gegen den Begleiter, deſſen milde Ge¬
laſſenheit mich empörte.

„Wenn wir zu ſpät kommen, Probſt,“ ſagte ich
„wenn die Trauung vollzogen iſt, ſo haben Sie eine
ſchwere Verantwortung auf ſich geladen. Sie, der
Sie den Frevel hindern konnten und in bequemer
Scheu vor der Anklage es unterließen.“

„Darf der Beichtſtuhl zur Anklagebank werden,
Fräulein Hardine?“ entgegnete er, „und war ich nicht
in der Lage des Beichtigers, der ein anvertrautes Ge¬
heimniß zu bewahren hat?“

„Sie hatten das Geheimniß nicht von einem
Beichtkinde, nicht zuerſt wenigſtens vom einem Beicht¬
kinde empfangen. Uebrigens ſprechen Sie mit dieſer
Auffaſſung ſich ſelbſt das Urtheil. Dem Manne, dem
Freunde, mochte Zartgefühl die Zunge binden; dem
Seelſorger war es Pflicht, ein Verbrechen ſeines Beicht¬
kindes zu verhüten.“

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[95/0099] In ſolcher Stimmung giebt es keine größere Er¬ leichterung, als einen Theil ſeiner Laſt auf einen An¬ deren abzuwälzen, und ſo wendete ich mich denn, ſo¬ bald das Gefährt auf die weniger holpernde Landſtraße eingelenkt hatte, gegen den Begleiter, deſſen milde Ge¬ laſſenheit mich empörte. „Wenn wir zu ſpät kommen, Probſt,“ ſagte ich „wenn die Trauung vollzogen iſt, ſo haben Sie eine ſchwere Verantwortung auf ſich geladen. Sie, der Sie den Frevel hindern konnten und in bequemer Scheu vor der Anklage es unterließen.“ „Darf der Beichtſtuhl zur Anklagebank werden, Fräulein Hardine?“ entgegnete er, „und war ich nicht in der Lage des Beichtigers, der ein anvertrautes Ge¬ heimniß zu bewahren hat?“ „Sie hatten das Geheimniß nicht von einem Beichtkinde, nicht zuerſt wenigſtens vom einem Beicht¬ kinde empfangen. Uebrigens ſprechen Sie mit dieſer Auffaſſung ſich ſelbſt das Urtheil. Dem Manne, dem Freunde, mochte Zartgefühl die Zunge binden; dem Seelſorger war es Pflicht, ein Verbrechen ſeines Beicht¬ kindes zu verhüten.“ „Und was thun, Fräulein Hardine?“ „Rathen, warnen, bedräuen; für die erſte chriſt¬

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/99>, abgerufen am 25.11.2024.